„Religionen sollten sich unterstützen“
Die Theologin Elisabeth Naurath sagt, die Welt befinde sich in einer Mega-Krise. Wie sie in Lindau mit Vertretern verschiedener Glaubensrichtungen nach Problemlösungen sucht
Frau Naurath, an diesem Freitag endet die zehnte Weltkonferenz des Bündnisses „Religions for Peace“(Religionen für Frieden) in Lindau. Welches Hauptergebnis wird am Ende des Treffens von mehr als 900 Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Glaubensrichtungen stehen? Elisabeth Naurath: Der Geist und die Botschaft dieser Konferenz ist, dass wir eine globale Perspektive einnehmen und sagen: Die Religionen haben eine Verantwortung für die Weltgemeinschaft. Und die Weltgemeinschaft befindet sich in einer Mega-Krise, die etwa durch die Umweltproblematik, die Kriege und Konflikte und die sogenannte Flüchtlingskrise gekennzeichnet ist. Es wird eine Erklärung zu den fünf wichtigsten Themenbereichen geben, über die wir in Lindau gesprochen haben. Und es soll nicht nur bei Worten bleiben, sondern es sollen ganz konkret Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.
Sie sind als evangelische Theologin von der Universität Augsburg unter den deutschen Delegierten und bringen sich besonders beim Thema Schutz der Erde ein. Was genau hat das mit Religion zu tun?
Naurath: Der Klimawandel betrifft uns alle. Und gerade die Religionen haben hier eine große Verantwortung. Sie haben aber auch die große Chance, gemeinsam ihre Stimme für den Umweltschutz zu erheben.
Auch das wird in die Abschlusserklärung einfließen?
Naurath: In der Erklärung wird es zum Beispiel um den Schutz des Regenwaldes gehen. Der Umweltschutz ist meinem Eindruck nach Anliegen aller Weltreligionen und weltweit Thema, einfach, weil die Probleme schon so massiv sind. Das wird in Lindau sehr stark spürbar: Hier erzählen Menschen aus Inselstaaten über ihre Ängste, dass Inseln untergehen, über die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll oder über die Abholzung des Regenwaldes in Südamerika.
Überall auf der Welt gibt es blutige Konflikte zwischen Vertretern verschiedener Religionen. Sind Religionen Ursache von Gewalt?
Naurath: Im Gegenteil. Wir stellen ganz entschieden fest: Wenn es um Gewalt geht, hat das nichts mehr mit Religion zu tun. Religionen sind immer schon für spezielle Machtinteressen missbraucht worden. Umso wichtiger ist es, deutlich zu machen: Die Weltreligionen haben eigentlich einen ganz starken Friedensanspruch, sie betonen Vergebung und Versöhnung. Genau das kann bei der Vermittlung in Konflikten helfen. Vertreter von Religions for Peace und damit Religionsvertreter tun das, etwa in Nigeria oder Myanmar.
Eine von Thilo Sarrazins Thesen lautet: Der Islam sei „eine Gewaltideologie, die im Gewand einer Religion daherkommt“. Offensichtlich denken nicht wenige Menschen in Deutschland so wie er.
Naurath: Die These ist ein Vorurteil und offenbart einen wenig differenzierten Blickwinkel. Und wenn man genauer in die heiligen Texte schaut und auf den Geist, in dem sie entstanden sind, stellt man fest: Das Friedenspotenzial ist das tragende Moment.
Auch andere Religionen als der Islam wurden oder werden zur Rechtfertigung von Gewalt instrumentalisiert. Aus Myanmar sind hunderttausende muslimische Rohingya von nationalistischen Buddhisten vertrieben worden. Naurath: In Lindau trafen sich Vertreter beider Gruppen unter Vermittlung von Vertretern von Religions for Peace. Meines Wissens nach ist bereits in Myanmar vor unserer Konferenz etwas Gutes entstanden, eine Annäherung. Gelöst ist der Konflikt damit natürlich noch nicht.
Beim Thema Gleichberechtigung innerhalb von Religionsgemeinschaften wird es ebenfalls keine schnellen Lösungen geben, oder?
Naurath: Aber auch das Thema Gleichberechtigung ist inzwischen ein weltweites. Frauen muss nicht nur beim Dialog zwischen den Religionen mehr Gewicht gegeben werden. Denn viele Religionen haben fast ausschließlich männliche Repräsentanten. Naurath: Auf jeden Fall. Als Protestantin kann ich der katholischen Kirche zwar keine Reformprozesse empfehlen. Aber für mich als Theologin gibt es gar keinen Grund, weshalb Frauen in der katholischen Kirche nicht zu Priesterinnen geweiht werden sollten. Im Gegenteil: Für die katholische Kirche wären strukturelle Reformprozesse überaus wichtig, um zukunftsfähig zu bleiben. Naurath: Ja, denn wir haben gemerkt, dass sich zwar in deutschen Städten „Runde Tische der Religionen“bilden. Aber in diesen finden sich häufig nur Männer. In Augsburg ist das nicht anders. Deshalb wollten wir eine reine Frauengruppe – um eben die Stimme der Frauen stärker in den Dialog der Religionen miteinzubringen. Es ist zudem wichtig, die Frauen in den verschiedenen Religionen zu erreichen und ihre Themen und ihre Probleme zur Sprache zu bringen. Wir verstehen uns als Friedensstifterinnen.
Was haben Sie im vergangenen Jahr mit Ihrer Ortsgruppe erreichen können?
Naurath: Wir haben gemerkt, wie uns der Austausch beflügelt. Wir konnten viel stärker in das alltägliche Leben der jeweils anderen hineinschauen. Das Kennenlernen ist dann auch die Basis für gemeinsame Projekte. Es wird noch viel zu sehr übereinander gesprochen und viel zu wenig miteinander.
In Lindau ging es auch um den Schutz heiliger Stätten. Wie soll er gewährleistet werden? Mit verschlossenen Kirchentüren, Sicherheitspersonal? Naurath: Die Kommission, die sich mit diesem Thema befasst, tagt am Freitag noch. Aber eines wurde schon deutlich: Religionen können und sollten sich gegenseitig unterstützen und beschützen. Christliche Gruppen könnten sich doch vor Moscheen stellen und umgekehrt, um auf Bedrohungen zu reagieren.
Interview: Daniel Wirsching
Elisabeth Naurath, 54, ist Professorin für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Universität Augsburg.