Erebos bringt neue Gefahr
Ursula Poznanski hat eine Fortsetzung zu ihrem preisgekrönten Jugendbuch geschrieben. Sie bedient sich dabei der aktuellen digitalen Möglichkeiten
Erebos ist zurück. Jenes elektronische Spiel mit dem Namen des Gottes der Finsternis aus der griechischen Mythologie, an dem sich Nick Dunmore vor zehn Jahren beinahe die Zähne ausgebissen hatte, meldet sich wie von selbst auf seinem PC zurück. Nicht genug damit: Auch auf dem Handy ist Nick mit dem rätselhaften Spiel verbunden – ständig und überall.
Und Erebos mischt sich skrupellos in Nicks Leben ein, beendet seine Beziehung und manipuliert seinen Alltag als Fotograf. Als er begreift, dass er selbst zu einer Spielfigur zu werden droht, rettet sich Nick über analoge Kommunikation, Postkarten und Briefe. Zusammen mit seinem Freund Victor versucht er, Erebos auszuhebeln. Als die beiden dann auch noch den alten Kumpel Speedy mit ins Boot holen, wird dieser zusammengeschlagen. Für Nick ein Omen, dass Erebos zu allem bereit ist...
Mit Erebos begann die sensationelle Karriere von Ursula Poznanski. Ihr Roman über ein Spiel, das die Spieler zu Marionetten macht, traf vor zehn Jahren den Puls der Zeit und brachte der Wiener Autorin den Jugendliteraturpreis ein. Eigentlich wollte Poznanski keine Fortsetzung dazu schreiben. Die Geschichte sei auserzählt, meinte sie.
Aber die Entwicklung künstlicher Intelligenz und von Sprachassistenten wie Alexa und Siri, dazu die Allgegenwart von Smartphones und die Abhängigkeit davon, überzeugte sie, das Thema Erebos noch einmal anzugehen – auch um die Gefahr aufzuzeigen, die in der Verselbstständigung Künstlicher Intelligenz liegt: „Es war ein wenig wie bei diesem Navi,“sagt jetzt der unbekannte Erebos-Spiele-Programmierer. „Ich habe ein Ziel eingegeben, und Erebos hat den Weg dorthin ausgerechnet. Nur, dass es außerdem das Fahrzeug gesteuert hat.“
Auch Erebos 2 entwickelt einen Sog, der die Lesenden hineinzieht in die Geschichte – und in das Spiel, bei dessen Ausstattung Ursula Poznanski ihrer Fantasie freien Lauf ließ. Nun tauchen Harpyien und Vampire, Spinnenmänner und Untote auf. Die Avatare der Spieler drohen im Morast zu versinken, erschlagen zu werden oder vom Himmel zu stürzen. Doch die Spieler sind weiter fasziniert von der gefährlichen Schönheit der künstlichen Welt.
Es ist nicht nur Nick, der sich zunehmend als Opfer eines perfiden Spiels empfindet („Ab sofort muss ich jedes Mal damit rechnen, dass du mein Leben ruinierst, wenn ich nicht sofort springe, sobald du pfeifst?“) – auch der schüchterne Schüler Derek wird als Spieler rekrutiert, sowohl am PC als auch im richtigen Leben. Wobei Erebos nicht mit Belohnungen geizt, wenn Derek die erteilten Aufträge zufriedenstellend ausführt. Auch Derek ist fasziniert von den Möglichkeiten, sich als schöner Vampir im Spiel neu zu erfinden, womöglich zum Helden zu werden und seiner heimlichen Liebe, der dunkelhäutigen Maia aus Somalia, zu imponieren. Denn auch Maia, davon ist Derek überzeugt, ist mit dabei in der Erebos-Welt.
Aber was will das Spiel bezwecken, das immer wieder davon raunt, dass die Zeit knapp wird, und verspricht, dass die Teilnehmer sich freispielen können? Wer steckt hinter den folgenschweren Schachzügen, die den Alltag auf den Kopf stellen? Und wer von den ehemaligen Erebos-Spielern ist noch mit von der Partie? Lange stochern Nick und Victor im Nebel, obwohl ihnen die Inszenierung der Erebos-Welt so manchen Hinweis liefern könnte.
Fast zu spät kommen sie einer unglaublichen Verschwörung in der wirklichen Welt auf die Spur. Die Bedrohung der Spielfiguren in der Erebos-Welt ist nichts gegen die reale Gefahr. Nur mit knapper Not entkommt Nick selbst einem Schlägerkommando. Immerhin verspricht Erebos, sich nicht mehr in sein Leben einzumischen …
Ursula Poznanski hat also Erebos in die Gegenwart geholt und mit einer ganz neuen Geschichte ausgestattet. Das Spiel bedient sich der aktuellen digitalen Möglichkeiten, um die Spieler für seine Zwecke zu manipulieren. Es schreckt dabei auch nicht vor existenzbedrohenden Eingriffen zurück. Rücksichtslos verfolgt Erebos sein Ziel – und sogar der Programmierer muss ohnmächtig zuschauen, wie seine Schöpfung aus dem Ruder läuft.
Ursula Poznanski will mit ihrem spannenden Roman weder Computerspiele noch sonstige digitale Spielereien an den Pranger stellen. Sie zeigt aber deutlich, welche Risiken ein verantwortungsloser Umgang mit ihnen bedeuten kann. Und das betrifft nicht nur die Jugend. Erebos 2 könnte zu interessanten Diskussionen zwischen den Generationen
führen.
Eine unglaubliche Verschwörung in der wirklichen Welt
»Ursula Poznanski: Erebos 2.
Verlag Loewe, 510 Seiten, 19,95 Euro – ab 13 Jahren