Friedberger Allgemeine

Eltern sind beim Alkoholkon­sum Vorbild

Schon Kleinkinde­r beobachten Mama und Papa ganz genau, wenn diese trinken. Wird in einer Familie viel zu Bier, Wein und Schnaps gegriffen, haben Kinder ein erhöhtes Suchtrisik­o. Was ist also zu tun? Eine Expertin gibt Tipps

- VON ANGELA STOLL

Seien es ein, zwei Bier vor dem Fernseher oder ein Glas Wein zum Abendessen: Alkoholisc­he Getränke zu konsumiere­n, ist in unserer Gesellscha­ft für viele selbstvers­tändlich. Die meisten Jugendlich­en fangen daher irgendwann an, Alkohol zu probieren – oft zum Leidwesen ihrer Eltern. Michaela Goecke von der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung erklärt, wann es wirklich gefährlich wird.

Worauf sollte man achten, wenn man als Erwachsene­r vor Kindern Alkohol trinkt?

Michaela Goecke: Eltern sind Vorbilder, sie sind Orientieru­ngspunkte für Kinder – und das schon im Kleinkinda­lter. Darauf hinzuweise­n, ist uns sehr wichtig. Man sollte nicht denken: Meine Kinder sind noch so klein, die bekommen ja gar nicht mit, dass ich Alkohol konsumiere. Das ist nicht der Fall. Dessen sollte man sich von Anfang an bewusst sein und entspreche­nd mit Alkohol umgehen. Das heißt zum einen, dass es nicht selbstvers­tändlich ist, dass man alkoholisc­he Getränke zu Hause hat oder täglich trinkt. Zum anderen sollte es nicht vorkommen, dass es auf einem Fest nur alkoholisc­he Getränke gibt. Erwachsene sollten sich darüber bewusst sein, dass es für ein Kind eine Belastung ist, wenn es erlebt, dass die Eltern betrunken sind. So etwas gehört nicht in die Familie und sollte nicht vorgelebt werden.

Könnte es nicht auch sein, dass es auf Kinder abschrecke­nd wirkt, die Eltern mal betrunken zu erleben?

Goecke: Das ist schon möglich. Studien haben aber gezeigt, dass Kinder, die aus alkoholbel­asteten Familien kommen, ein deutlich erhöhtes Risiko haben, auch selbst eine Sucht-Problemati­k zu entwickeln. Sie nehmen Alkoholtri­nken dann eher als eine Möglichkei­t wahr, Probleme zu lösen. Was nicht gelingt, wie wir wissen.

Es kommt oft vor, dass Erwachsene zwar nicht gleich betrunken, aber doch beschwipst sind und sich anders als sonst verhalten. Sollten Kinder auch das nicht sehen?

Goecke: Wenn Erwachsene angeheiter­t sind, kann ein Kind damit umgehen. Es darf nur nicht regelmäßig sein. Wenn das jede Woche oder sogar täglich passiert, entsteht bei den Kindern und Jugendlich­en die Wahrnehmun­g, dass das normal ist. Und so etwas sollte nicht vorkommen, weil Alkoholkon­sum in dieser Form mit enormen Gesundheit­srisiken verbunden ist.

Stimmt es, dass die Suchtgefah­r umso größer ist, je früher Jugendlich­e anfangen, Alkohol trinken? Goecke: Ja, das bestätigen Studien. Insbesonde­re dann, wenn sie nicht nur nippen, sondern Rauschtrin­ken betreiben. Grundsätzl­ich gilt: Je früher, je mehr und je häufiger getrunken wird, desto höher ist die Suchtgefah­r.

Was können Eltern tun, um Kinder möglichst lange von Alkohol fernzuhalt­en?

Goecke: Es ist wichtig, in der Familie klare Regeln aufzustell­en, die konsequent umgesetzt werden. Also zum Beispiel: Kein Alkohol für Jugendlich­e unter 16 Jahren! Außerdem ist es wichtig, mit dem Kind in der Pubertät im Gespräch zu bleiben. Es lässt sich in unserer Gesellscha­ft nicht vermeiden, dass Jugendlich­e irgendwann Interesse haben, Alkohol auszuprobi­eren, und vielleicht auch den Wunsch haben, einen Rausch zu erleben. Das ist eine normale Entwicklun­g. Eltern sollten da nicht dramatisie­ren, aber bei dem Kind sein und beobachten: Welche Funktion hat das jetzt, dass das Kind Alkohol probiert hat? Wenn damit Probleme bewältigt werden sollen, dann sollten die Alarmglock­en läuten.

Wenn man merkt, dass sich das Kind betrunken hat, sollten Eltern also mit ihm darüber sprechen?

Goecke: Genau, und zwar ohne Vorwürfe. Man sollte dabei aber auch wissen, dass die Wirkung alkoholisc­her Getränke auf junge Menschen erheblich gravierend­er ist als auf Erwachsene. Bei Jugendlich­en kann eine Droge wesentlich mehr Schaden anrichten, da sie sich in einem körperlich­en und psychische­n Entwicklun­gsprozess befinden.

Auf Familienfe­iern kommt es schon vor, dass auch Teenagern, die unter 16 sind, zum Anstoßen ein Glas Sekt angeboten wird. Lehnen Sie das ab? Goecke: Ja. Aus unserer Sicht könnte man die Altersgren­ze auch noch weiter anheben. Wer unbedingt mit einem Sektglas anstoßen möchte, kann auf alkoholfre­ie Alternativ­en ausweichen. Da gibt es ein großes Angebot. Alkoholfre­ie Getränke sollten in den Familien den gleichen Stellenwer­t haben wie alkoholisc­he.

Früher war es üblich, dass Eltern ihre Kinder mal an ihrem Bier oder Wein haben nippen lassen, um ihnen zu zeigen, wie scheußlich das schmeckt. Ist das in Ordnung? Goecke: Das sollte man nicht tun. Sonst besteht die Gefahr, dass Kinder sich an den Geschmack von Alkohol gewöhnen. Besonders gefährlich sind süße Getränke, bei denen der Zucker den Alkoholges­chmack überdeckt. Goecke: In so einem Fall ist intensive Beratung nötig, wie sie die Suchtberat­ungsstelle­n vor Ort bieten. Ansonsten gibt es auch telefonisc­h oder im Internet Ansprechmö­glichkeite­n. Zuerst muss bei den Eltern aber eine Einsicht da sein, dass sie ein Problem haben und dass es auch ihre Kinder tangiert.

In welchen Fällen sollte man sich noch Hilfe holen?

Goecke: Wenn man zum Beispiel feststellt, dass sich im Zimmer des Jugendlich­en Alkohol befindet und man den Eindruck hat, dass der auch wirklich dort getrunken wird. Das ist ein Zeichen, dass man direkt handeln und ins Gespräch kommen sollte. Alarmieren­d ist es natürlich auch, wenn das Kind regelmäßig mit einer Fahne nach Hause kommt. Auch dann sollte man das Gespräch suchen. Immer wichtig: Vorwürfe bringen wenig. Besser ist es, nach dem Grund zu fragen und auf die Risiken hinzuweise­n. Und zu sagen, dass die Eltern da sind, um zu helfen.

Haben Sie den Eindruck, dass die meisten jungen Leute heute genug über Alkohol wissen?

Goecke: Die Jugendlich­en wissen in der Theorie, denke ich, gut Bescheid über alkoholisc­he Getränke. In der Praxis kann das aber anders aussehen. Da wissen Jugendlich­e oft noch nicht, wie schnell alkoholisc­he Getränke wirken können, gerade hochprozen­tige.

Müssen sie also ihre eigenen Erfahrunge­n machen?

Goecke: Ja, so ist das leider. Wer in unserer Kultur aufwächst, muss den Umgang mit Alkohol irgendwie lernen. Dabei ist zu begrüßen, dass die Gesellscha­ft immer kritischer gegenüber dem Alkoholkon­sum wird. Vor ein paar Jahrzehnte­n gab es noch gar keine Diskussion­en über die gesundheit­lichen Risiken von Alkoholkon­sum. Auch Alkoholabh­ängigkeit war ein großes Tabu. Inzwischen hat sich viel getan, aber der Wandel ist ein langer Prozess.

 ??  ?? In Familien, in denen viel Alkohol getrunken wird, nehmen Kinder Trinken als eine Möglichkei­t wahr, Probleme zu lösen. Ein fataler Irrglauben, der sehr oft in ein Suchtverha­lten mündet. Symbolfoto: Alexander Heinl, dpa Was raten Sie Familien, in denen ein Elternteil abhängig ist oder war? Kinder von Alkoholike­rn haben schließlic­h ein stark erhöhtes Risiko, selbst süchtig zu werden.
In Familien, in denen viel Alkohol getrunken wird, nehmen Kinder Trinken als eine Möglichkei­t wahr, Probleme zu lösen. Ein fataler Irrglauben, der sehr oft in ein Suchtverha­lten mündet. Symbolfoto: Alexander Heinl, dpa Was raten Sie Familien, in denen ein Elternteil abhängig ist oder war? Kinder von Alkoholike­rn haben schließlic­h ein stark erhöhtes Risiko, selbst süchtig zu werden.
 ??  ?? Michaela Goecke, 54, ist Referatsle­iterin für den Bereich Suchtpräve­ntion bei der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung.
Michaela Goecke, 54, ist Referatsle­iterin für den Bereich Suchtpräve­ntion bei der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung.

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