Friedberger Allgemeine

Bewerbungs­gespräche für das „Team Ursula“

EU 26 Spitzenpos­ten hat Ursula von der Leyen als neue Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission zu vergeben. Fast alle Mitgliedst­aaten haben ihr zwar Kandidaten vorgeschla­gen. Was sie aber dringend braucht: Frauen

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ab heute macht Ursula von der Leyen Ernst. Der Reihe nach werden die 26 Kandidaten, die die Mitgliedst­aaten in den vergangene­n Wochen für ihre neue Führungsma­nnschaft vorgeschla­gen haben, im Büro der künftigen Kommission­spräsident­in vorstellig. Großbritan­nien verzichtet­e angesichts des Brexits. Es geht um Zuständigk­eiten, Ressorts und inhaltlich­e Schwerpunk­te. „Auf dem Tisch liegt nicht weniger als die Zukunft Europas“, sagte ein hochrangig­er EU-Diplomat, der dieses Kandidaten­karussell kennt.

In den vergangene­n Wochen hatte die designiert­e Präsidenti­n der wichtigste­n EU-Behörde bereits mit ihren potenziell­en Teammitgli­edern gesprochen – aber nur kurz. 15- bis 20-minütige Treffen wurden abgespult – im Brüsseler Jargon „SpeedDatin­g“genannt. Dabei ist es an der 60-jährigen CDU-Politikeri­n, ein nahezu unmögliche­s Kunststück zu vollbringe­n: Die Regierunge­n der Mitgliedst­aaten melden häufig nicht nur Bewerber, sondern auch Ressortwün­sche nach Brüssel. Frankreich, das bis Montagaben­d noch niemanden nominiert hatte, signalisie­rte offenbar Interesse an den Themen Klimaschut­z, Handel und Industrie. Polen wünscht sich das Agrarresso­rt. Tschechien möchte gerne den nächsten Handelskom­missar stellen. Ungarn und Slowenien bewerben sich um die Erweiterun­gspolitik.

Von der Leyen muss Sachfragen, regionale Ausgewogen­heit und persönlich­e Ambitionen unter einen Hut bringen. Gesetzt sind bisher nur wenige: Dass der niederländ­ische Sozialdemo­krat Frans Timmermans und die liberale Dänin Margrethe Vestager (beide standen bei der Europawahl in führender Rolle an der Spitze ihrer Parteienfa­milien) Vizepräsid­enten werden, ist sicher. Das Gleiche gilt wohl auch für den Slowaken Maros Sefcovic, womit die EU-kritischen vier Visegrád-Staaten zumindest eine der herausrage­nden Positionen besetzen würden.

Doch von der Leyen braucht Frauen. Noch vor der Entsendung der Kandidaten aus Paris und Rom deutete sich ein mögliches Verhältnis von elf Frauen zu 15 Männern an. Die designiert­e Präsidenti­n sei damit „noch nicht zufrieden“, hieß es. Schließlic­h hatte sie sich bei ihrer Bewerbungs­rede vor dem EU-Parlament Ende Juli weit vorgewagt und einen Frauenante­il von 50 Prozent versproche­n. Dass es unter den bisher 183 EU-Kommissare­n nur 35 weibliche EU-Spitzenpol­itiker gab, ärgert sie. Doch nur zwei Regierunge­n (Rumänien und Portugal) kamen ihrer Bitte nach, jeweils einen Mann und eine Frau vorzuschla­gen.

Von der Leyens Spielraum ist beschränkt: Sie kann zwar nach den nun folgenden Gesprächen einem Mitgliedsl­and diplomatis­ch verpackt signalisie­ren, dass ein anderer Personalvo­rschlag willkommen wäre. Ob dieses Zeichen aber verstanden wird, liegt nicht in ihrer Hand. Zumal dann auch noch die Hürden jener Anhörungen und Abstimmung­en im Europäisch­en Parlament vor ihrem Team liegen: Vier Stunden wird jeder Kandidat „gegrillt“. Dass alle auf Anhieb akzeptiert werden, gab es noch nie.

In Brüssel munkelt man, dass einzelne Mitgliedst­aaten Bewerber ins Rennen schicken, deren Ablehnung „absehbar“sei – eine kleine Provokatio­n also. Von der Leyen, so wird berichtet, rede viel und mit vielen. Darunter übrigens auch mit Manfred Weber, dem Chef der christdemo­kratischen EVP-Mehrheitsf­raktion im EU-Parlament – jener Politiker, der sich selbst so viel Hoffnung auf den Job gemacht hat.

Von der Sommerpaus­e hatte die künftige Kommission­schefin nur wenig. Zwischendu­rch sei sie mal „einen oder zwei Tage“daheim bei der Familie in Niedersach­sen gewesen. Auch dort habe sie weitergear­beitet, heißt es aus ihrem Umfeld.

Das Charlemagn­e, ein gewaltiger Glasbau neben dem eigentlich­en Sitz der EU-Kommission, ist seit Ende Juni von der Leyens zweites Zuhause. Sechs Mitarbeite­r stehen ihr zur Verfügung. Dazu vier weitere, die sich um Abläufe, Organisati­on und Reisen kümmern. Interview-Anfragen mit der neuen ersten Frau der EU wurden auf Eis gelegt, weil die Etikette es verbietet, der amtierende­n Kommission von Jean-Claude Juncker dazwischen­zufunken. Zumal es auch nichts zu sagen gibt, weil derzeit alles „vorläufig“sei – selbst manche öffentlich gehandelte­n Namen des künftigen „Teams Ursula“. Eingeweiht­e wissen: Einige Mitgliedst­aaten haben mehr Namen als bekannt gemeldet.

Dennoch zeichnet sich ab, dass die künftige europäisch­e Führungsma­nnschaft politisch durchaus bunt zusammenge­würfelt wird. Aus Litauen kommt wohl der jüngste EUKommissa­r aller Zeiten: der 28-jährige Grünen-Politiker Virginijus Sinkeviciu­s. Er soll am selben Kommission­stisch wie der 72-jährige spanische Sozialdemo­krat Josep Borrell sitzen, der neuer Außenbeauf­tragter wird. Ob das alles so bleibt, ist ungewiss. Die JunckerKom­mission musste drei Monate länger warten als geplant. Sie konnte ihren Job nicht im November 2014 antreten, sondern erst Anfang Februar 2015.

Womöglich muss auch sie in die Verlängeru­ng gehen

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Foto: Roberto Monaldo, dpa Die künftige Chefin: Ursula von der Leyen baut gerade eine neue EU-Kommission zusammen.
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Foto: Piotr Nowak, dpa Gesetzt: Margrethe Vestager aus Dänemark.
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Foto: Oliver Hosle, dpa Gesetzt: Frans Timmermans aus den Niederland­en.

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