Er war einer der 69 Abgeschobenen
Marof hatte einen guten Job und eine Wohnung in Kaufbeuren. Der Flüchtling war voll integriert. Doch das half ihm alles nichts. Am Morgen des 3. Juli 2018 wurde er abgeholt und musste zurück nach Afghanistan. Wie ihm jetzt seine Rückkehr gelungen ist
Kaufbeuren Marof ist ein zurückhaltender Mensch. Mit leiser Stimme berichtet der 33-Jährige, wie er es geschafft hat, ein Jahr nach seiner Abschiebung nach Deutschland zurückzukommen. Ohne Hilfe eines Unterstützerkreises mit Waltraud Schürmann an der Spitze hätte er wohl keine Chance gehabt. Die pensionierte Schulleiterin begleitete den Weg ihres Schützlings, den sie einst im Asylbewerberheim der Regierung von Schwaben im Ostallgäuer Rieden kennengelernt hat, intensiv. Sie kümmerte sich um nötige Papiere, schaltete die Politik ein und sammelte Geld, um Marofs Familie zu fördern. Denn mit der Abschiebung des jungen Mannes versiegte auch die Lebensgrundlage seiner Frau, seiner drei Kinder, seiner Mutter und eines Neffen. Marof hatte sie alle von Deutschland aus ernährt.
Er war hier voll integriert, hatte fünf Jahre lang einen guten Job als Schweißhelfer bei der BurkhardGruppe in Kaufbeuren. Doch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Fortan lebte er mit der Angst, die Polizei könne vor seiner Tür stehen. Am 3. Juli 2018 in der Früh war es tatsächlich so weit. Marof wurde aus seiner Wohnung in Kaufbeuren abgeholt. Über Memmingen ging es nach München und spät am Abend flog eine Maschine 69 Afghanen nach Kabul, begleitet von mehreren Polizisten, berichtet Marof. In der afghanischen Hauptstadt empfing ihn die dortige Polizei. Sie wollte ihm aber nichts Böses und hieß ihn einfach willkommen. Er durfte ohne weitere Probleme zu seiner Familie in deren Heimatprovinz. Nach zehn Jahren sah er sie wieder. Denn schon 2008 war Marof aus seiner Heimat geflüchtet. Über Iran, die Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich und Belgien gelangte er schließlich 2011 nach Deutschland. Nach kurzer Zeit in einem Aufnahmezentrum in München wurde er Rieden zugeteilt. Er lernte rasch Deutsch, fand schließlich Arbeit, konnte seiner Familie finanziell helfen. Er trägt nicht nur die Sorge für seine Frau und seine Kinder, sondern auch für seine Mutter. Denn sein Vater starb bereits 2004. Sein Bruder wurde 2008 erschossen. Seine beiden Söhne sind mit elf und 15 Jahren noch zu jung, um Geld zu verdienen. Das will Marof nun schnellstmöglich nachholen. Am 2. September beginnt er beim Betrieb von Melanie Pölt in Germaringen eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Diese Anstellung war die Grundlage, um ein Arbeitsvisum für eine ganz legale Ausreise aus Afghanistan zu erhalten. Wie bereits berichtet, wurde es von der deutschen Botschaft in Pakistans Hauptstadt Islamabad ausgestellt. Über die Ausländerbehörde bei der Stadt Kaufbeuren erhält der 33-Jährige laut Rechtsreferent Thomas Zeh nun eine Aufenthaltsgenehmigung, die für die Dauer seiner Lehrzeit – also drei Jahre lang – gelte. Marof freut sich darauf, in seine Wohnung zurückzukehren. Der Freundeskreis hatte sich in der Zwischenzeit um einen Zweitmieter gekümmert, der nun wieder auszieht. „Ich freue mich, zurück zu sein und ohne Angst schlafen zu können“, sagt Marof. Um sein Lehrlingsgehalt aufzubessern, wird er zehn Wochenstunden wieder bei der Burkhard-Gruppe arbeiten. Dort hat er vergangene Woche schon vorbeigeschaut. Die Wiedersehensfreude bei all seinen Kollegen sei groß gewesen, berichtet er und lächelt. Firmenchefin Tanja Burkhard, die sich ebenfalls hartnäckig für die Rückkehr ihres „sehr zuverlässigen“Mitarbeiters eingesetzt hat, spricht von einem „absoluten GänsehautMoment“. Vor seiner Abschiebung hatte sie Marof bereits für eine Weiterbildung zum Schweißer vorgesehen. Sie hatte nur gute Erfahrungen mit ihm gemacht. „Er war in fünf Jahren nur zwei Tage krank, hat mich als Chefin voll akzeptiert und es gab nie interkulturelle Probleme.“Eine Ausbildung in ihrem Unternehmen sei leider nicht möglich, da er die Voraussetzungen für die Metallbranche nicht erfüllen könne.
Der Helferkreis besorgte ihm deshalb eine andere Lehrstelle bei Melanie Pölt. Die Malermeisterin und stellvertretende Obermeisterin der Maler- und Lackiererinnung Kaufbeuren weiß um die Probleme des Handwerks. Es gebe kaum Nachwuchs, weil die Arbeitsbedingungen viele junge Menschen abschreckten: Man müsse bei schlechtem Verdienst früh aufstehen, bei jedem Wetter auf die Baustellen. „Ausbildung ist ein Muss, sonst haben wir Aufträge, aber niemanden, der sie ausführt“, sagt sie. Mit einem Flüchtling hat sie schon gute Erfahrungen gemacht. Leider habe dieser im zweiten Lehrjahr Deutschland verlassen müssen. Nun nimmt Pölt einen neuen Anlauf: Neben Marof fängt am 2. September auf jeden Fall noch ein anerkannter Asylbewerber aus Gambia in ihrem Betrieb an und eventuell ein junger Albaner, der allerdings in seiner Heimat noch auf ein entsprechendes Arbeitsvisum von der deutschen Botschaft wartet.
Neben der Nachwuchsproblematik im Handwerk ist für Pölt aber auch die Nächstenliebe ausschlaggebend: „Ich möchte jedem Menschen, der aus einem Kriegsgebiet kommt, die Chance geben, hier einen Neuanfang zu machen.“
Marof freut sich bereits auf seine neue Arbeit. Zur Berufsschule muss er nach Kempten fahren, doch mit der Bahn sei dies kein Problem. Dort gibt es laut Pölt für die Lackiererund Malerlehrlinge die Möglichkeit, eine sonderpädagogische Einrichtung mit kleinen Klassen von nur acht bis zwölf Schülern zu besuchen. Das sei für den Erfolg der Ausbildung von Nicht-Muttersprachlern sinnvoller als die großen Klassen an der Kaufbeurer Berufsschule.