Friedberger Allgemeine

Die erste Bombe fiel auf Wielun

Eine Zeitzeugin erinnert sich

-

Als Zofia Burchacins­ka am 1. September 1939 im Morgengrau­en von den Motoren der deutschen Bomber geweckt wird, glaubt sie zunächst, es seien die Kühe im Stall. Niemand in der kleinen polnischen Stadt Wielun rechnet mit einem Angriff. Dann aber hört Zofia einen Knall, kurz darauf stürzt ein Teil der Decke ein. Die Elfjährige rettet sich mit einem Sprung in den Hinterhof.

Es ist der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Schon wenige Minuten bevor von der SMS „SchleswigH­olstein“die ersten Schüsse auf ein polnisches Munitionsl­ager auf der Halbinsel Westerplat­te abgefeuert werden, fallen die ersten Bomben auf Wielun. Um 14 Uhr liegt eine der ältesten Städte Polens in Schutt und Asche. Noch am Vorabend hat Adolf Hitler hektisch die Vorbereitu­ngen für den Überfall vorangetri­eben. Unter anderem fordert er, das nach dem Ersten Weltkrieg von Deutschlan­d abgetrennt­e Danzig gehöre zurück ins Reich – die polnische Regierung lehnt das strikt ab.

Gegen 22.30 Uhr hat der Rundfunk über einen angeblich polnischen Überfall auf einen deutschen Sender berichtet. Das „Unternehme­n Tannenberg“ist im Gange. Reinhard Heydrichs Reichssich­erheitshau­ptamt hat das Täuschungs­manöver von langer Hand vorbereite­t. SS-Männer werden in polnische Uniformen gesteckt, Leichen von ermordeten KZ-Insassen ausgelegt, um Todesopfer vorzugauke­ln. Die angebliche polnische Provokatio­n liefert Hitler den Vorwand zum Generalang­riff: „Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgesc­hossen.“Bis zur Kapitulati­on Japans am 2. September 1945 sterben 55 Millionen Menschen. Sechs Millionen Juden werden ermordet, mehr als drei Millionen sowjetisch­e Soldaten verlieren in Gefangensc­haft ihr Leben. Am Ende liegt Europa in Trümmern, das britische Empire geht zu Ende, die USA steigen zur Weltmacht auf. Der Zweite Weltkrieg verändert die Welt für immer.

Mit Polen als Anfangsgeg­ner kann Hitler auf das Wohlwollen von Konservati­ven und Militärs setzen. Wie kein Land steht der Nachbar für die empfundene Schmach, die viele Deutsche mit dem Versailler Vertrag verbinden, dem Polen seine Unabhängig­keit verdankt. Im „Blitzkrieg“überrollen Hitlers Truppen die polnischen Linien. Wielun wird zum Symbol für den rücksichts­losen Vernichtun­gsfeldzug der Nazis durch Osteuropa.

Bürgermeis­ter Pawel Okrasa deutet vom Turm des Rathauses auf ein weißes Gebäude aus dem 18. Jahrhunder­t. Davor wollen am Sonntag die Präsidente­n Polens und Deutschlan­ds, Andrzej Duda und Frank-Walter Steinmeier, des Kriegsbegi­nns gedenken. Es ist das erste Mal, dass ein ranghoher Vertreter Deutschlan­ds zum Weltkriegs­gedenken nach Wielun kommt. Anschließe­nd treffen sich die Staatschef­s mit Zeitzeugen, darunter Zofia Burchacins­ka. In der Bombennach­t floh sie mit ihrer Mutter von Keller zu Keller, dann barfuß durch die brennenden Straßen und raus auf die Felder.

„Meine Füße waren erst Weihnachte­n verheilt“, sagt die 91-jährige Apothekeri­n. Das Martyrium des Krieges war für sie damit aber nicht vorbei. Burchacins­ka verlor ihren Bruder, der im Warschauer Aufstand gegen die Deutschen getötet wurde. Als sie selbst 1945 nach Wielun zurückkehr­te, erkannte sie ihre Stadt nicht wieder, so verwüstet war sie: „Mein Vater musste mir den Weg zur Schule zeigen.“

 ??  ?? Z. Burchacins­ka
Z. Burchacins­ka

Newspapers in German

Newspapers from Germany