Friedberger Allgemeine

Sein Herz gehört Schildkröt­en

Porträt Horst Köhler aus Wulfertsha­usen betreibt die Website „Schildi-Online“über artgerecht­e Haltung der Reptilien. Er erzählt, was ihn an ihnen fasziniert, was ihm Sorgen macht – und warum sie oft unterschät­zt werden

- VON CHRISTINE HORNISCHER

Wulfertsha­usen Hunde und Katzen sind beliebte Haustiere. Aber auch weniger kuschelige Tiere haben viel zu bieten. Wer das ganz genau weiß, ist Horst Köhler aus Wulfertsha­usen. Er ist passionier­ter Schildkröt­enfreund. „In den 1950er Jahren gab es bei Dehner in der Annastraße in Augsburg Schildkröt­en frisch aus Jugoslawie­n für drei Mark“, erzählt er über den Beginn seiner Liebe. Weil die Tiere in Holzkisten gepfercht waren, hatte seine Mutter Mitleid und kaufte gleich drei Stück. „Sie hatten die Augen geschlosse­n“, erinnert sich der 78-Jährige. Heute weiß er, dass sie sich in der Winterstar­re befanden. „Damals dachten wir, sie sind krank, und wuschen ihnen die Augen mit Kamillente­e aus.“Als er es besser wusste, schwor er sich, alle Informatio­nen über die Schildkröt­en zu sammeln und weiterzuge­ben.

Im Lauf seines Lebens bereiste der Ingenieur viele Länder, in denen die Reptilien zu Hause sind, beispielsw­eise die Seychellen, die Galapagos-Inseln, Griechenla­nd, die Türkei und „Prison Island“in der Nähe von Sansibar. Hier erforschte er die Aldabra-Riesenschi­ldkröten. Er studierte ihr Verhalten im natürliche­n Biotop, maß Temperatur, Feuchtigke­it und solare UVB-Einstrahlu­ng entlang ihrer Wanderwege und an ihren Ruheplätze­n. Diese Erkenntnis­se setzte er in seine Pflegeprax­is in Deutschlan­d um.

Die Ergebnisse flossen auch in sein 2008 erschienen­es Buch „Aufzucht europäisch­er Landschild­kröten-Babys“ein. Darin geht es um die Pflege von Jungtieren bis zu einem Alter von sechs Jahren. Sein Wissen setzte der Experte außerdem natürlich für seine eigene Schildi-Familie Max, Moritz, Obelix, Butterfly, Kerby und Urmel ein. Die sechs Schildkröt­en waren der Grundstein für seine Zucht, die er seit den 1970er Jahren betrieb. „In jedem Jahr hatte ich an die 30 oder 40 Schildkröt­en-Babys“, erinnert sich der Wulfertsha­user. Vor zwei Jahren trennte er sich von seinen Lieblingen. „Meine Frau Maria wollte im Garten auch mal Blumen anpflanzen können“, sagt er lachend.

Trotz aller Liebe zu den urtümliche­n Reptilien können Schildkröt­en ihre Halter ganz schön stressen. Artgerecht­e Haltung, wie sie bei das A und O ist, setzt viel Wissen voraus. „Heute muss ich eine Schildkröt­e nur anschauen und ich weiß, wie es ihr geht“, sagt der Ingenieur. Er ist sich sogar ziemlich sicher, dass Tiere ein Gedächtnis haben. „Wenn ich sie nach der Winterstar­re in ihr Freigehege bringe, wissen sie abends sofort, wo ihr Haus zum Übernachte­n ist“, sagt er. Er erinnert sich an eines seiner schönsten Erlebnisse mit Schildkröt­en: „Ich habe in der Türkei eine Schildkröt­e fotografie­rt, die mir bekannt vorkam“, erzählt er. Zuhause verglich er die Fotografie mit einer Aufnahme vor drei Jahren. Und es stellte sich heraus, dass er dieselbe Schildkröt­e fotografie­rt hatte.

Während seiner „Zuchtjahre“waren auch die Kinder des Kindergart­ens Wulfertsha­usen oft bei ihm. Er zeigte und erklärte den Kleinen alles rund um die Schildis. Er erklärte ihnen unter anderem die Sinnesorga­ne der Tiere: „Hören und Sehen gehören neben dem Riechen zu den wichtigste­n Sinnesleis­tungen von Schildkröt­en. Allerdings besitzen die Tiere kein äußeres Ohr, daKöhler für ein recht komplizier­t aufgebaute­s Innenohr.“

Die Kinder kommen nicht mehr, aber geblieben sind dem Schildkröt­en-Freund seine Vorträge, Fachartike­l und seine Internetse­ite www.schildi-online.eu, die seit 2007 online ist. Hier zeigt der Wulfertsha­user Haltungsbe­dingungen für seine gepanzerte­n Freunde, die möglichst gut an die natürliche­n Bedingunge­n in den Herkunftsl­ändern angelehnt sind. Sorgen bereiten ihm derzeit allerdings die äußerst günstigen Preise für Landschild­kröten. „Ein streng geschützte­s Wildtier mit der großartige­n Faszinatio­n, Symbolik und einer derart alten Kulturgesc­hichte wie die der Landschild­kröte hat es nicht verdient, wie auf einem Flohmarkt verramscht zu werden“, sagt er. Denn: „Wenn dies Schule macht, ist die Landschild­kröte bald ein Tier ohne Wert, um das man sich nicht viel kümmern muss, denn für wenig Geld gibt es ja Ersatz.“Seine diesbezügl­ichen Artikel in Fachzeitsc­hriften und Online-Portalen ernteten böse Worte.

Jedoch: Einen Hund oder eine Katze hätte sich Horst Köhler nie als Haustier vorstellen können. Schildkröt­en sind sein Leben. „Meine Favoriten unter den Landschild­kröten sind die Riesenschi­ldkröten“, sagt er mit leuchtende­n Augen. „Seitdem ich diese fasziniere­nden Geschöpfe mit ihrer wechselvol­len, meist tragischen Geschichte im Indischen Ozean und vor allem auf der Galapagos-Inselgrupp­e näher kennenlern­en konnte, bin ich ein absoluter Fan.“

So betrauert er noch heute den Tod von „Lonesome George“, einer weltbekann­ten Galapagos-Riesenschi­ldkröte, die er im Mai 2000 bei der Charles Darwin-Schildkröt­enForschun­gsstation auf der Galapagos-Insel Santa Cruz gesehen hatte. „Lonsesome George“starb am 24. Juni 2012 als vermutlich letztes Individuum seiner Unterart im Alter von etwa 100 Jahren.

 ?? Foto: Christine Hornischer ?? Schildkröt­en-Experte Horst Köhler mit seinem 2008 erschienen­en Buch „Aufzucht europäisch­er Landschild­kröten-Babys“. Seine eigene Zucht hat er vor zwei Jahren aufgegeben.
Foto: Christine Hornischer Schildkröt­en-Experte Horst Köhler mit seinem 2008 erschienen­en Buch „Aufzucht europäisch­er Landschild­kröten-Babys“. Seine eigene Zucht hat er vor zwei Jahren aufgegeben.

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