Sein Herz gehört Schildkröten
Porträt Horst Köhler aus Wulfertshausen betreibt die Website „Schildi-Online“über artgerechte Haltung der Reptilien. Er erzählt, was ihn an ihnen fasziniert, was ihm Sorgen macht – und warum sie oft unterschätzt werden
Wulfertshausen Hunde und Katzen sind beliebte Haustiere. Aber auch weniger kuschelige Tiere haben viel zu bieten. Wer das ganz genau weiß, ist Horst Köhler aus Wulfertshausen. Er ist passionierter Schildkrötenfreund. „In den 1950er Jahren gab es bei Dehner in der Annastraße in Augsburg Schildkröten frisch aus Jugoslawien für drei Mark“, erzählt er über den Beginn seiner Liebe. Weil die Tiere in Holzkisten gepfercht waren, hatte seine Mutter Mitleid und kaufte gleich drei Stück. „Sie hatten die Augen geschlossen“, erinnert sich der 78-Jährige. Heute weiß er, dass sie sich in der Winterstarre befanden. „Damals dachten wir, sie sind krank, und wuschen ihnen die Augen mit Kamillentee aus.“Als er es besser wusste, schwor er sich, alle Informationen über die Schildkröten zu sammeln und weiterzugeben.
Im Lauf seines Lebens bereiste der Ingenieur viele Länder, in denen die Reptilien zu Hause sind, beispielsweise die Seychellen, die Galapagos-Inseln, Griechenland, die Türkei und „Prison Island“in der Nähe von Sansibar. Hier erforschte er die Aldabra-Riesenschildkröten. Er studierte ihr Verhalten im natürlichen Biotop, maß Temperatur, Feuchtigkeit und solare UVB-Einstrahlung entlang ihrer Wanderwege und an ihren Ruheplätzen. Diese Erkenntnisse setzte er in seine Pflegepraxis in Deutschland um.
Die Ergebnisse flossen auch in sein 2008 erschienenes Buch „Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys“ein. Darin geht es um die Pflege von Jungtieren bis zu einem Alter von sechs Jahren. Sein Wissen setzte der Experte außerdem natürlich für seine eigene Schildi-Familie Max, Moritz, Obelix, Butterfly, Kerby und Urmel ein. Die sechs Schildkröten waren der Grundstein für seine Zucht, die er seit den 1970er Jahren betrieb. „In jedem Jahr hatte ich an die 30 oder 40 Schildkröten-Babys“, erinnert sich der Wulfertshauser. Vor zwei Jahren trennte er sich von seinen Lieblingen. „Meine Frau Maria wollte im Garten auch mal Blumen anpflanzen können“, sagt er lachend.
Trotz aller Liebe zu den urtümlichen Reptilien können Schildkröten ihre Halter ganz schön stressen. Artgerechte Haltung, wie sie bei das A und O ist, setzt viel Wissen voraus. „Heute muss ich eine Schildkröte nur anschauen und ich weiß, wie es ihr geht“, sagt der Ingenieur. Er ist sich sogar ziemlich sicher, dass Tiere ein Gedächtnis haben. „Wenn ich sie nach der Winterstarre in ihr Freigehege bringe, wissen sie abends sofort, wo ihr Haus zum Übernachten ist“, sagt er. Er erinnert sich an eines seiner schönsten Erlebnisse mit Schildkröten: „Ich habe in der Türkei eine Schildkröte fotografiert, die mir bekannt vorkam“, erzählt er. Zuhause verglich er die Fotografie mit einer Aufnahme vor drei Jahren. Und es stellte sich heraus, dass er dieselbe Schildkröte fotografiert hatte.
Während seiner „Zuchtjahre“waren auch die Kinder des Kindergartens Wulfertshausen oft bei ihm. Er zeigte und erklärte den Kleinen alles rund um die Schildis. Er erklärte ihnen unter anderem die Sinnesorgane der Tiere: „Hören und Sehen gehören neben dem Riechen zu den wichtigsten Sinnesleistungen von Schildkröten. Allerdings besitzen die Tiere kein äußeres Ohr, daKöhler für ein recht kompliziert aufgebautes Innenohr.“
Die Kinder kommen nicht mehr, aber geblieben sind dem Schildkröten-Freund seine Vorträge, Fachartikel und seine Internetseite www.schildi-online.eu, die seit 2007 online ist. Hier zeigt der Wulfertshauser Haltungsbedingungen für seine gepanzerten Freunde, die möglichst gut an die natürlichen Bedingungen in den Herkunftsländern angelehnt sind. Sorgen bereiten ihm derzeit allerdings die äußerst günstigen Preise für Landschildkröten. „Ein streng geschütztes Wildtier mit der großartigen Faszination, Symbolik und einer derart alten Kulturgeschichte wie die der Landschildkröte hat es nicht verdient, wie auf einem Flohmarkt verramscht zu werden“, sagt er. Denn: „Wenn dies Schule macht, ist die Landschildkröte bald ein Tier ohne Wert, um das man sich nicht viel kümmern muss, denn für wenig Geld gibt es ja Ersatz.“Seine diesbezüglichen Artikel in Fachzeitschriften und Online-Portalen ernteten böse Worte.
Jedoch: Einen Hund oder eine Katze hätte sich Horst Köhler nie als Haustier vorstellen können. Schildkröten sind sein Leben. „Meine Favoriten unter den Landschildkröten sind die Riesenschildkröten“, sagt er mit leuchtenden Augen. „Seitdem ich diese faszinierenden Geschöpfe mit ihrer wechselvollen, meist tragischen Geschichte im Indischen Ozean und vor allem auf der Galapagos-Inselgruppe näher kennenlernen konnte, bin ich ein absoluter Fan.“
So betrauert er noch heute den Tod von „Lonesome George“, einer weltbekannten Galapagos-Riesenschildkröte, die er im Mai 2000 bei der Charles Darwin-SchildkrötenForschungsstation auf der Galapagos-Insel Santa Cruz gesehen hatte. „Lonsesome George“starb am 24. Juni 2012 als vermutlich letztes Individuum seiner Unterart im Alter von etwa 100 Jahren.