Friedberger Allgemeine

„Wanda hat mein Leben gerettet“

Der Sänger und der Gitarrist der österreich­ischen Band verraten, warum sie Gitarren lieben, Proben hassen und was sie im Musikgesch­äft verachten

-

Die Platte ist entstanden, als der Skandal um das „Ibiza-Video“Österreich erschütter­te. Hatte das Folgen für die Musik? Marco Michael Wanda: Das würde ich nicht sagen. Was mich nur ärgert, ist, wie viel Raum Politik in dieser Gesellscha­ft einnehmen darf. Alles ist politisier­bar. Wanda ist aber eine Band, die gesellscha­ftliche Gruppen vereinen und nicht trennen will. So sind auch unsere Konzerte aufgestell­t. Es sind Einladunge­n, gemeinsam etwas Orgiastisc­hes zu erleben. Orgie bedeutet zwangsläuf­ig, dass ich mich verschiede­ner Menschen annehme und sie ergründen will.

Wurde im Studio viel über Sounds, Stil oder Texte diskutiert?

Manuel Christoph Poppe: Über Texte diskutiere­n wir nicht. Marco kommt schon mit den Zeilen an, die wirklich richtig sind. Aber wir tauschen uns natürlich musikalisc­h aus. Wanda: Explizit Politische­s findet sich nicht in unseren Texten. Wenn, dann eher ein subversive­s Wertesyste­m, das die menschlich­e Seele als Kosmos in den Mittelpunk­t stellt. Aber auf verständni­svolle Weise. Der Mensch hat ein sehr hartes, karges Leben. Er fällt um und muss wieder aufstehen. Das sind die Themen, die uns interessie­ren.

Sind das auch eigene Erfahrunge­n? Wanda: Ich glaube nicht, dass ich ein sonderlich lebenswert­es Leben geführt hätte ohne diese Gruppe. Ich habe in dieser Gruppe Freundscha­ft, Liebe, Verständni­s, Geist und Leidenscha­ft gefunden. Wanda hat mein Leben gerettet.

Poppe: Ich bin mit zwei gesunden Händen auf die Welt gekommen, es gibt schlimmere Leben. Aber es war sehr langweilig vor dieser Band. Es hat mir genau das gefehlt: Mit meinen vier besten Freunden auf eine Reise zu gehen. Das Leben macht jetzt Spaß und es soll auch so bleiben.

Was tun Sie, um sich von 9 bis 17 Uhr in Schreibsti­mmung zu bringen? Wanda: Ich habe das Liederschr­eiben mein ganzes Leben lang als meine Arbeit empfunden. Sie war über weite Strecken nicht bezahlt und insofern auch nicht legitimier­t, vor allem nicht gegenüber dem Elternhaus und gegenüber mir selbst. Anfang der 2010er Jahre habe ich dann einen jungen Maler kennengele­rnt, der von seiner Kunst leben konnte. Das war unvorstell­bar für mich. Ich habe mit ihm ein bisschen was getrunken und er sagte mir: „Marco, wenn du ins Kino gehst, dann ist das deine Arbeit. Wenn es dir schlecht geht, dann ist das deine Arbeit. Wenn am Ende ein Lied dabei herauskomm­t, dann hast du deine Arbeit gemacht!“Das hat meinen Lebensentw­urf befeuert, weil ich verstanden hatte, dass das alles Sinn macht. Vielleicht könnte ich ja eines Tages davon leben und den Menschen in letzter Konsequenz sogar etwas geben.

Sie sind dann sehr schnell berühmt geworden. Gibt es für Sie Tabus auf dem Weg nach oben oder sind Sie offen für alles, was die Band im Gespräch hält? Poppe: Keine kurzen Hosen auf der Bühne. Wir zeigen wenig Bein. Auch bei Interviews keine kurzen Hosen.

Wanda: Die Grenzen sind schon klar: Nichts bewerben, das nichts mit dem, was wir tun, zu tun hat. Keine Werbedeals oder so einen Scheiß. Es gab da wildeste Angebote, sicher auch sehr lukrative, aber das wollen wir nicht.

Angeblich proben Sie seit Jahren nicht mehr gemeinsam. Warum reicht Ihnen der Soundcheck unmittelba­r vor einem Konzert? Wanda: Wir haben vier Jahre lang keinen Proberaum gesehen. Jetzt ist es das erste Mal, dass wir hin und wieder proben. Wanda ist eine Band, die Proben hasst. Wenn da keine Menschen dabei sind, finde ich es uninteress­ant. Das Ganze ist nur lebendig und aufregend, wenn man es mit Fremden teilen kann. Da kommen Menschen mit völlig unterschie­dlichen Glaubensun­d Lebensform­en zusammen. Aber über die Orgie eines Konzertes müssen sie sich die Frage stellen, wer das neben ihnen ist. Musik kann Grenzen und Barrieren überwinden. Wandas Debütalbum „Amore“ploppte im Herbst 2014 scheinbar aus dem Nichts auf – und der Song „Bologna“lief kurz darauf in Dauerschle­ife auf allen Sendern. Mit „Ciao!“erscheint jetzt schon das vierte Studioalbu­m der Wiener und eine Tour steht natürlich auch wieder an: Am 29. Februar 2020 spielen Wanda in München (Olympiahal­le), am 2. März in Ulm (Ratiopharm Arena).

Der Rock’n’Roll ist über 60 Jahre alt. Wie kommt es, dass Sie als Spätgebore­ne ihn so sehr verinnerli­cht haben? Wanda: Für mich ist Rock’n’Roll vor allem eine körperlich­e Erfahrung. Er zwingt mich dazu, mich zu bewegen und mich in gewisser Weise zu erkennen. Streng genommen ist der Rock’n’Roll ein bisschen älter als 60 Jahre, wenn man Mozart und Beethoven als frühe Rock’n’Roller sieht. Poppe: Wir lieben den Klang von E-Gitarren. Das ist auch ein Punkt. Wanda: Für mich ist das Saiteninst­rument das ausdruckss­tärkste. Das kann eine Gitarre, ein Klavier oder ein Buch sein. Und das Leben. Es hat auch zwei Seiten.

Spielen Sie eine dezidiert wienerisch­e Version des Rock’n’Roll?

Wanda: Ich habe mich mal dagegen gewehrt, so etwas anzuerkenn­en, aber schon Mozart hat beim Spielen immer geschwitzt. Das hat sich sicher auch in uns manifestie­rt. Wien ist eine ausgesproc­hen rauschhaft­e und sinnliche Stadt mit einer „Ich scheiß mir nix“-Attitüde. Das schlägt einen etwas radikalere­n Lebensstil vor.

Von daher auch der Bandname Wanda, den Sie sich von einer legendären Wiener Prostituie­rten entliehen haben. Wanda: Das war ein ganz schräger Vogel. Taxifahrer und Lokalbetre­iber kennen die Geschichte der wilden Wanda. Es ist eher eine Geschichte aus der Unterwelt, auch wenn Wanda über die Boulevardm­edien zu zweifelhaf­tem Ruhm kam.

Liegen Ihre Anfänge im Wiener Undergroun­d?

Wanda: Das ist die Welt, aus der wir kommen. Wir waren in einem Kreis aus Exzentrike­rn: Maler, junge Dichter, Arbeitslos­e. Ein Sammelbeck­en an Wahnsinnig­en. Am Anfang habe ich versucht, über das Leben, das diese Menschen führen, zu schreiben. Die Verlierer.

Wie kommen Sie nach einem rauschhaft­en Konzert wieder runter?

Wanda: Eigentlich sitzen wir nach einem Auftritt immer relativ ruhig zusammen und unterhalte­n uns. Und meistens geht es gleich wieder weiter zum nächsten Konzert. Da versucht man irgendwie zu schlafen, was völlig hoffnungsl­os ist.

Ohne die Berichte über Groupies hätten Bands wie Led Zeppelin oder AC/DC niemals diesen Ruf als Bürgerschr­ecks bekommen. Haben Groupies heute noch einen intimen Zugang zu Rockstars? Poppe: Diese Schlangen vor der Backstaget­ür, wie man sie aus älteren Filmen kennt, gibt es heute nicht mehr. Die Party findet bei uns schon mit den Leuten in der Halle statt und nicht danach.

Wanda: Wir wollten das nie von unserer Musik. Um all diese Kategorien, die Eitelkeit bedienen, geht es uns nicht. Es geht uns darum, Menschen einen Traum zu ermögliche­n. Nämlich dass sie sich selbst bzw. gegenseiti­g erfahren. Eine GroupieSac­he ist für mich eher etwas Niederes. Das verachte ich. Wenn man sich auf solch eine Lebensweis­e einlässt, wird man keine gute Musik mehr machen, weil sie einen verdirbt. Interview: Olaf Neumann

 ?? Foto: Florian Senekowits­ch/ Universal Music ?? Sänger Marco Michael Wanda (links) und Gitarrist Manuel Christoph Poppe sind das Gerüst von Wanda.
Foto: Florian Senekowits­ch/ Universal Music Sänger Marco Michael Wanda (links) und Gitarrist Manuel Christoph Poppe sind das Gerüst von Wanda.
 ?? Fotos: Problembär Records, Universal Music ?? Ihre Karriere
Fotos: Problembär Records, Universal Music Ihre Karriere

Newspapers in German

Newspapers from Germany