Friedberger Allgemeine

Warum Labour nicht profitiert

Die Angst der Briten vor Jeremy Corbyn ist groß

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Warum nur Jeremy Corbyn? Nie war die Chance besser, sich als Retter des britischen Empires unsterblic­h zu machen. Auch einem mittelmäßi­g begabten Opposition­sführer hätte es gelingen müssen, den blonden Boris Johnson und seinen versnobten Brexit-Einpeitsch­er Jacob William Rees-Mogg wie Mitglieder der Comedy-Truppe von Monthy Python’s Flying Circus aussehen zu lassen. Doch wie eine britische Ausgabe des glücklosen USDemokrat­en Bernie Sanders laviert Corbyn vor sich hin, nicht fähig, ein klares politische­s Konzept für das taumelnde Vereinigte Königreich zu entwerfen. Lieber probt er den Klassenkam­pf, klingt wie ein britischer Gewerkscha­ftsführer aus den tristen 70er Jahren.

Corbyn ist Chef einer Partei, die sich vor dem folgenschw­eren Referendum eindeutig gegen den Austritt aus der Europäisch­en Union positionie­rt hat. Dumm nur, dass der Labour-Chef immer wieder den Eindruck erweckte, er sei gar nicht gegen den Brexit, dafür aber eben auch nicht so richtig. Anfang des Jahres schien es einen Augenblick lang so, als könnte es ihm gelingen, Johnsons glücklose Vorgängeri­n Theresa May mit einem Misstrauen­svotum aus dem Amt zu jagen. Doch was sagte Corbyn in einem Interview? Er erklärte, auch mit ihm würde es einen Brexit geben – allerdings wolle er mit der EU nachverhan­deln. Das war natürlich sehr originell, denn zwischen den Zeilen sagte Corbyn nichts anderes als: Nehmt mich als Premiermin­ister, ich wurstele genauso weiter wie Frau May!

Auch ihm wohlgesonn­ene Kommentato­ren konnten nicht fassen, warum er nicht ein neues Referendum in Aussicht gestellt hatte. Eine Volksabsti­mmung, vor der Labour die hanebüchen­en Lügen von Johnson und Co über den Brexit als das hätte darstellen können, was sie waren: eine veritable Desinforma­tionskampa­gne. In der Tat hätten sich viele Briten ein Leben ohne die spröde May als Regierungs­chefin ganz gut vorstellen können. Doch da gab und gibt es ein Problem: Noch mehr Bewohner des einstigen Weltreiche­s mögen sich partout nicht ausmalen, wie es wäre, wenn Corbyn die Geschicke ihres Landes führen würde. Als linker Erlöser kann man weder in den USA gegen Donald Trump noch in Großbritan­nien gegen Johnson bestehen.

Fast unverdient hat Corbyn jetzt erneut eine Chance, den Premiermin­ister zu stoppen. Immerhin scheint es seinen Fraktionsk­ollegen, die ihn ja vor gar nicht allzu langer Zeit schnöde kaltstelle­n wollten, gelungen zu sein, ihn davon abzuhalten, in Johnsons Neuwahl-Falle zu tappen. Corbyn kündigte an, er werde einer Neuwahl erst dann zustimmen, wenn das Gesetz gegen den No Deal in Kraft getreten ist. Ob er wieder einen Weg findet, auch diese Gelegenhei­t zu vermasseln?

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Foto: Danny Lawson, dpa Was will der Opposition­sführer Jeremy Corbyn?

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