Friedberger Allgemeine

Hat sich Boris Johnson verzockt?

Für den Premiermin­ister folgt derzeit ein Rückschlag auf den nächsten. Jetzt wendet sich sogar sein Bruder ab

- VON KATRIN PRIBYL

London Diese Woche dürfte sich für Boris Johnson wie eine Ewigkeit anfühlen. Es läuft nicht für den Premiermin­ister, die Rückschläg­e kommen mittlerwei­le beinahe im Stundentak­t. Nun hat sogar die eigene Familie genug. Gestern warf sein jüngerer Bruder, Jo Johnson, aus Protest gegen den kompromiss­losen Kurs hin, gab sein Amt als Staatssekr­etär sowie sein Mandat als konservati­ver Abgeordnet­er auf. „Ich war in den vergangene­n Monaten zerrissen zwischen Loyalität zur Familie und dem nationalen Interesse – es ist eine unauflösba­re Spannung“, schrieb er auf Twitter und versah seine Nachricht am Ende mit #overandout – „aus und vorbei“.

Ist es das auch schon bald für Boris Johnson? Er stelle solch eine Bedrohung dar, dass ihm selbst sein eigener Bruder nicht vertraue, kommentier­te die Labour-Abgeordnet­e Angela Rayner gestern den überrasche­nden Schritt. Johnson steht unter immensem Druck. In den eigenen Reihen der Konservati­ven Partei regt sich zunehmend Widerstand, nachdem er diese Woche 21 rebellisch­e Tory-Abgeordnet­e aus der Fraktion ausgeschlo­ssen hat, darunter Schwergewi­chte wie Alterspräs­ident Ken Clarke, Ex-Schatzkanz­ler Philip Hammond oder Nicholas Soames, Enkel von Kriegsprem­ier Winston Churchill. Sie hatten mit der Opposition paktiert und so der Regierung gleich zwei schwere Niederlage­n im Parlament zugefügt.Das Unterhaus segnete einen Gesetzentw­urf ab, der einen ungeordnet­en Brexit ohne Abkommen verhindern soll. Nun braucht es noch die Zustimmung vom Oberhaus, womit bis zum heutigen Freitag gerechnet wird. Doch damit nicht genug. Johnsons rabenschwa­rzer Tag endete damit, dass sein Antrag auf Neuwahlen abgelehnt wurde. Darüber hinaus büßte er diese Woche seine Mehrheit ein. Bevor sein Bruder hinschmiss, war bereits Phillip Lee zu den Liberaldem­okraten übergelauf­en.

Der europaskep­tische Hardliner will trotzdem nicht aufgeben. Gestern eröffnete Johnson inoffiziel­l den Wahlkampf, indem er sich am Abend mit einer Rede an das Volk wenden wollte. Die Menschen sollten, so der Premier, die Möglichkei­t erhalten, zu entscheide­n: zwischen ihm, Boris Johnson, der in Brüssel einen Deal aushandeln wolle, und falls dies scheitere, am 31. Oktober ohne Abkommen aus der EU scheiden würde. Oder Jeremy Corbyn, der in Brüssel mit „seinem Kapitulati­onsgesetz“ankäme, um eine weitere Verschiebu­ng betteln und jegliche Bedingunge­n akzeptiere­n würde, „die die EU unserer Nation aufdrängt“. Der konservati­ve Regierungs­chef spekuliert darauf, dass die opposition­elle Labour-Partei einlenkt, sobald das No-No-Deal-Gesetz in Kraft tritt

. Das könnte bereits am Montag der Fall sein. Die Regierung plant, noch am selben Tag ein Votum im Unterhaus anzuberaum­en, um so vor dem Stichtag am 31. Oktober Neuwahlen abzuhalten. Boris Johnson pocht auf den 15. Oktober, zwei Tage vor dem EU-Gipfel, auf dem er mit Brüssel einen neuen Vertrag vereinbare­n will.

Mittlerwei­le bezweifeln sogar skeptische Parteikoll­egen, dass der Regierungs­chef es ernst meint mit seiner Ankündigun­g, sich mit der EU auf einen Kompromiss einigen zu wollen. Vielmehr befürchten seine Kritiker, dass Johnsons Plan darin besteht, sich mit Hilfe einer Neuwahl ein Mandat für einen NoDeal-Brexit zu beschaffen. Die Frage ist, ob sich Labour darauf einlässt. Opposition­schef Jeremy Corbyn zögert noch, Neuwahlen zuzustimme­n, auch wenn er seit Monaten nichts anderes gefordert hatte.

Der Premier dagegen sollte Corbyns Weigerung gestern „eine feige Beleidigun­g der Demokratie“nennen. Etliche Labour-Abgeordnet­e pochen darauf, erst nach dem 31. Oktober abstimmen zu lassen. Plötzlich könnte ihnen die Zwangspaus­e, die Johnson dem Parlament verordnet hat, bei ihrem Hinhaltepl­an zugutekomm­en. Schafft es Johnson nicht, vorher die nötige Zweidritte­lmehrheit zu erzielen, um Neuwahlen auszurufen, würde die Zeit für einen Wahltermin noch im Oktober vermutlich zu knapp.

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Foto: Daniel Leal-Olivas, dpa Es ist zum Haareraufe­n: Eine ganze Serie von Tiefschläg­en muss der britische Regierungs­chef Boris Johnson derzeit verkraften.

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