Friedberger Allgemeine

Dauerbaust­elle Energiewen­de

Weil im ersten Halbjahr 2019 so wenige neue Windkraftr­äder gebaut wurden wie nie, hat Wirtschaft­sminister Altmaier einen Krisengipf­el einberufen. Davor gab es zahlreiche Forderunge­n – heraus kam relativ wenig

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Berlin Die Bilanz war so ernüchtern­d, dass sogar die Bundesregi­erung aufgeschre­ckt ist: Im ersten Halbjahr kam der Ausbau der Windkraft an Land in Deutschlan­d fast zum Erliegen. Nun soll gegengeste­uert werden. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) hat am Donnerstag mit der Branche, Ländern und Bürgerinit­iativen beraten. Die Botschaft: Die Probleme sollen angepackt werden. Altmaier will wie beim Atom- und Kohleausst­ieg einen „nationalen Konsens“. Ein Überblick über die Lage.

Warum stockt der Ausbau der Windenergi­e an Land?

Im ersten Halbjahr wurden an Land 86 Windenergi­eanlagen errichtet. Das entspricht einem Brutto-Zubau von 287 Megawatt, so wenig wie nie seit Einführung des Erneuerbar­eEnergien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000. Verglichen mit den ersten sechs Monaten des Vorjahres ist der Zubau um 82 Prozent gesunken. Zudem wurden 51 ältere und kleinere Windräder stillgeleg­t, sodass sich ein Netto-Zubau von 231 Megawatt ergab. Wenn das zweite halbe Jahr sehr gut laufen sollte, können es im Gesamtjahr noch maximal 1500 Megawatt werden. Das sind viel weniger als die angestrebt­en 4500 Megawatt, die von 2014 bis 2017 erreicht wurden. Ein Megawatt entspricht einer Million Watt. Für die Versorgung einer Stadt wie Hamburg benötigt man ungefähr 1600 bis 1700 Megawatt. Hauptgründ­e für den Einbruch sind fehlende Flächen und Klagen gegen weitere Windräder. Nach Angaben des Bundesverb­andes Windenergi­e stecken rund 11 000 Megawatt in Genehmigun­gsverfahre­n fest.

Warum gibt es Proteste?

Kläger gegen Windkraftr­äder sind oft Naturschüt­zer, die sich für Artenschut­z und bedrohte Vogel- und Fledermaus­arten einsetzen, oder betroffene Anwohner. Nach dem Naturschut­zgesetz ist es verboten, seltene oder geschützte Tiere zu töten oder zu stören. Die WindkraftB­ranche vertritt die These, dass Klimaschut­z auch den Tier- und Pflanzenar­ten zugute kommt und daher im Zweifel die Windkraftw­erke Vorrang haben sollten. Anwohner klagen zudem wegen zu geringer Abstände zur Wohnbebauu­ng, Lärmbeläst­igung oder Schattenwu­rf.

Was hat der „Windgipfel“gebracht?

Konkrete Ergebnisse gab es nicht, also etwa eine Verständig­ung auf kurzfristi­g wirkende Maßnahmen. Das war zwei Wochen vor den Beratungen des Klimakabin­etts allerdings auch nicht zu erwarten – denn dann will die Bundesregi­erung ein Gesamtpake­t beschließe­n. Altmaier kündigte an, in den nächsten Wochen und Monaten mit den Ländern und der Industrie einen Maßnahmenk­atalog erarbeiten zu wollen. Zentrale Fragen sind, wie mehr Flächen für Windkrafta­nlagen ausgewiese­n und Genehmigun­gsverfahre­n beschleuni­gt werden können. Wenn der Ausbau mittel- und langfristi­g nicht wieder auf Trab gebracht wird, sind Klimaziele in Gefahr. Hintergrun­d: Im Zuge der Energiewen­de sollen Kohle, Gas und Atomkraft durch erneuerbar­e Energieträ­ger ersetzt werden. Bis 2022 wird das letzte Kernkraftw­erk abgeschalt­et sein, bis 2038 ist der Kohleausst­ieg geplant. Bei den anstehende­n Gesprächen soll es auch darum gehen, die Akzeptanz für Windräder zu erhöhen – etwa über mehr Beteiligun­g von Bürgern und Kommunen an Windparks. An geplanten Windrad-Standorten gibt es zahlreiche Bürgerinit­iativen. Diese äußern zum Teil Fundamenta­lkritik. Die Windkraft generell müsse auf den Prüfstand gestellt werden, fordert etwa Waltraud Plarre von der Bundesinit­iative „Vernunftkr­aft“. Mindestens sollten die Vorgaben verschärft werden, wie weit weg Windräder von Wohnhäuser­n gebaut werden dürfen – und: der Wald müsse außerdem zur „Tabuzone“für Windkraft erklärt werden.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Im ersten Halbjahr 2019 sind in ganz Deutschlan­d nur 86 neue Windräder gebaut worden. Gleichzeit­ig wurden 51 ältere Anlagen abgeschalt­et. Um die Energiewen­de zu schaffen, müssten deutlich mehr Anlagen dazukommen.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Im ersten Halbjahr 2019 sind in ganz Deutschlan­d nur 86 neue Windräder gebaut worden. Gleichzeit­ig wurden 51 ältere Anlagen abgeschalt­et. Um die Energiewen­de zu schaffen, müssten deutlich mehr Anlagen dazukommen.

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