So sieht die Zukunft aus
Wie stellt man aus, was noch gar nicht existiert? Das neue Museum Futurium in Berlin versucht sich an einer Antwort. Die fällt kunterbunt aus – und teilweise verblüffend
Berlin So sieht also die Zukunft aus? Eine kleine Wahlkabine, ausgestattet mit Bildschirm und Kamera. Wer hineinlächelt, bekommt in Sekundenschnelle von einem Computer mitgeteilt, bei welcher politischen Partei der Besucher bei der nächsten Wahl vermutlich sein Kreuzchen setzt. Dabei liest der Computer mit Künstlicher Intelligenz politische Vorlieben allein aus den Gesichtszügen der „Wähler“heraus. Die Trefferquote ist erstaunlich hoch. „Smile to Vote“heißt das Projekt: „Lächle, um zu wählen!“
Die Wahlkabine der Zukunft steht mitten im Berliner Regierungsviertel. Dort ist am Donnerstag das Futurium eröffnet worden. Das Haus – eine Mischung aus Museum, Experimentierwerkstatt und Bildungsort – will hinter riesigen Glasfassaden auf gut 3000 Quadratmetern zeigen, wie die Zukunft der Menschheit aussehen könnte. Das Konzept dahinter ist knifflig. Wie lässt sich etwas ausstellen, das noch nicht existiert? „Die eine Zukunft gibt es nicht“, betont Stefan Brandt, Direktor des 58 Millionen Euro teuren Futuriums. Er sieht sein Haus als Plattform für mögliche Zukunftsentwürfe – ob es dann auch so komme, müsse offen bleiben.
Dabei geht es nicht um reines Wünsch-dir-was. Das Futurium, das von außen aussieht wie eine riesige Virtual-Reality-Brille, ist ein Haus der Wissenschaften und hat seine Bodenhaftung in der Gegenwart. Ausprobieren und mitreden soll hier jeder können – auch Kinder. Die Grundfrage prangt in riesigen Lettern an der dunklen vorspringenden Glasfassade an der Spree: Wie wollen wir leben? Hinter dem Futurium mit seinem Jahresetat von fast 19 Millionen Euro stehen das Bundesforschungsministerium, die großen deutschen Forschungsgemeinschaften, Stiftungen und die forschende Industrie und Stiftungen. Letzteres hat auch schon die Kritik heraufbeschworen, die Wirtschaft werde das Futurium zur Imagepflege nutzen. Doch Direktor Brandt entgegnet, das Haus sei in seiner programmatischen Ausrichtung vollständig unabhängig von seinen Gesellschaftern. Für Deutschland ist die Idee eines Zukunftsmuseums neu, aber bald nicht mehr einzigartig – das nächste soll bereits 2020 als Außenstelle des Deutschen Museums in Nürnberg eröffnen.
Ob das neue Haus zieht, ist die große Frage an seine eigene Zukunft. Bisher haben es Showrooms einzelner Forschungseinrichtungen nicht immer leicht. Auf dem Weg durch seine Etagen wirbelt das Futurium seine Besucher herum wie der weiße „Tornado“, eine große Kunstinstallation, die auf dem Weg ins Obergeschoss von der Decke baumelt. Er stehe für die unglaubliche Beschleunigung der Welt in den vergangenen 200 Jahren, erläutert Ausstellungschefin Gabriele Zipf. Dann geht es hinein in den Tunnel, der zum Themenbereich Technik führt. Hier prasseln offene Fragen auf den Besucher ein: Mit welchen Technologien wollen wir leben, was sollen Roboter können – und was besser nicht? Im „Denkraum Mensch“können Besucher ihr eigenes Verhalten hinterfragen: Wie halten sie es mit Klimaschutz und Konsum? Den moralischen Zeigefinger gibt es hier nicht – aber zum vertieften Nachdenken hängt eine große Liegeschaukel von der Decke. Im Bereich Natur präsentiert sich ein Mosaik erneuerbarer Energien wie bei einer Wahrsagerin in Glaskugeln: Kann Energie in Zukunft vom Mond kommen?
Neugier ist die beste Voraussetzung für den Bastelkeller des Futuriums. Zukunftsforscher und Spieledesigner David Weigend hat hier im Labor, kurz Lab, einen Hightech-Spielplatz voller interaktiver Monitore und Plattformen entstehen lassen. In einer Ecke zischt, gurgelt und blinkt es, wenn Besucher unter Philipp Besleys Installation „Noosphere“stehen. Der kanadische Architekt spielt hier auf philosophischer und naturwissenschaftlicher Ebene mit der Frage, wie wir in Zukunft wohnen könnten. Doch was soll ein filigranes, überlebensgroßes wolkenartiges Kunstwesen voller Sensoren dazu aussagen? „Es ist ein Beispiel für lebende Architektur“, erläutert Stefanie Holzheu, Referentin für das Lab. „Sie reagiert auf jeden, der sich nähert.“Könnte es also sein, dass wir in Zukunft nach Hause kommen, unsere vier Wände uns den Puls fühlen und dann Entspannungsmusik abspielen oder einen Sandsack samt Boxhandschuhen aus der Deckenluke werfen?
Fantasie macht sich zumindest gut im Futurium. Warum sollte die Zukunft des Wohnens nur aus Beton bestehen oder so steril aussehen wie bei Raumschiff Enterprise? Es sind solche Gedankenspiele, zu denen das Museum in all seinen Bereichen einladen will.
Doch wie funktioniert diese hellseherische Wahlkabine, die an unserem Lächeln unsere Wahlvorlieben erkennt? „Wir haben die Porträts von allen Bundestagsabgeordneten eingescannt und angenommen, dass sie ihre eigene Partei wählen würden“, erläutert Stefanie Holzheu. Den Rest erledigt ein Computer, der über seine Kamera die Gesichter der Besucher mit dem einprogrammierten Wissen abgleicht.
Ulrike von Leszczynski, dpa
Nils Erich, epd
Das Futurium spielt mit der Fantasie