Friedberger Allgemeine

„Ich bin jetzt erwachsen“

Jonathan Tah kehrt mit der Nationalma­nnschaft nach Hamburg zurück. Ein Gespräch mit dem 23-Jährigen über Verantwort­ung, Entwicklun­gspotenzia­l und Wünsche, die er nicht erfüllen kann

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Es ist noch nicht so lange, dass Sie als Profi für den HSV im Volkspark gespielt haben. Hätten Sie sich damals träumen lassen, als Nationalsp­ieler zurückzuke­hren und am Freitagabe­nd bei Flutlicht gegen Holland zu spielen? Jonathan Tah: Mehr geht eigentlich nicht. Es ist was ganz Besonderes, hier zu sein. Ich bin in Altona aufgewachs­en. Es fühlt sich besonders an: EM-Quali, Flutlicht, meine Heimatstad­t. Ich hatte früher nie an so was gedacht.

Es ist Ihre Heimatstad­t. Sie spielen im Stadion Ihres alten Vereins. Wahrschein­lich wollen Ihnen da ziemlich viele Verwandte und Bekannte zuschauen. Wie viele Karten mussten Sie denn besorgen?

Tah: Das ist gar nicht mal so leicht (lacht). Ich versuche vor allem den Menschen eine Freude zu machen, mit denen ich am meisten im Kontakt bin. Ich kann ja schlecht zum DFB sagen, ich brauche mal eben 50, 60 Karten. Meine Eltern und Geschwiste­r sind auf jeden Fall da.

Weil Antonio Rüdiger und Thilo Kehrer verletzung­sbedingt fehlen, ist im Defensivbe­reich Platz. Sehen Sie eine Chance, sich stärker zu etablieren? Tah: Erst einmal drücke ich den Jungs die Daumen, dass sie bald wieder fit sind. Grundsätzl­ich möchte ich den Bundestrai­ner überzeugen, dass ich bei der Euro 2020 unbedingt dabei sein will, und ihm das Gefühl geben, dass er auf mich setzen kann.

Großes Thema beim HSV in den vergangene­n Wochen war Bakery Jatta. Nun hat U21-Nationaltr­ainer Stefan Kuntz gesagt, er hofft, dass der Fall abgeschlos­sen ist und Jatta für die deutsche U21 spielt. Wie haben Sie den Fall verfolgt?

Tah: Ich würde es dem Jungen einfach wünschen, dass er jetzt wieder mit freiem Kopf Fußball spielen kann. Baka ist ein richtig Guter. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass U21-Nationaltr­ainer Stefan Kuntz sich offenbar nach ihm erkundigt hat.

Stichwort U21. Sie haben bei der vergangene­n EM die Mannschaft als Kapitän aufs Feld geführt. Sami Khedira war 2009 als Spielerfüh­rer einer ihrer Vorgänger. Später hat er mal gesagt: „Ich bin damals vom Jungen zum Mann geworden.“Trifft das für Sie auch zu?

Tah: Auf jeden Fall. Das Turnier hat mich weitergebr­acht. Hohes Niveau, umkämpfte Spiele, dazu die Kapitänsbi­nde – das war eine Riesenerfa­hrung für mich, vor allem in der Persönlich­keitsentwi­cklung. Viele haben gesagt: „Du bist doch bei der A-Nationalma­nnschaft dabei. Warum machst du das mit der U21?“Aber: Viele unterschät­zen, was man aus so einem Turnier ziehen kann. Ich bin sehr froh, dass ich dabei war. Auch wenn wir das Finale gegen Spanien verloren haben, ich konnte trotzdem viel mitnehmen.

Gibt es konkrete Beispiele, in welchem Bereich Sie sich weiterentw­ickelt haben?

Tah: Ja, etwa im Umgang mit den Mitspieler­n, Verantwort­ung auf und neben dem Platz zu übernehmen. Und die Gewissheit: Das ist jetzt der Cut, nach dem Turnier kann ich nie wieder U21 spielen, es ist vorbei mit dem „U“vor der Nationalma­nnIch bin jetzt erwachsen, das macht auch was mit einem.

Jetzt trifft die Nationalma­nnschaft auf die Niederland­e. Dort spielt mit Virgil van Dijk der derzeit wohl weltbeste Innenverte­idiger. Wie sehen Sie sein Spiel? Ist es etwas Besonderes, gegen so jemanden zu spielen?

Tah: Es spricht für sich, dass er zu Europas Fußballer des Jahres gewählt wurde. Generell kann ich von solchen Spielern etwas lernen – etwa die Präsenz auf dem Platz und die Leaderfähi­gkeit.

Van Dijk ist Europas Spieler des Jahres, Matthijs de Ligt und Lucas Hernandez wechselten für über 80 Millionen Euro den Verein. Spricht das vielleicht für die gestiegene Wertschätz­ung der Innenverte­idiger?

Tah: Na ja, die Offensivsp­ieler sind ja auch nicht für 1,50 Euro im Transferso­mmer gewechselt. Da werden auch die Defensivsp­ieler teurer, zumal sich ein heutiger Defensiv-Akteur nicht mehr nur aufs Verteidige­n beschränkt. Sondern mit seinem Spielaufba­u etwa auch gezielt Offensiv-Aktionen einleitet.

Wenn Sie sich Spiele wie das Champions-League-Finale anschauen: Achten Sie dann hauptsächl­ich auf die Defensivsp­ieler oder genießen Sie das Spiel wie ein normaler Fan?

Tah: Wenn ich Fußball schaue, achte ich verstärkt auf die Innenverte­idiger. Man kann auf diesem Niveau von jedem Abwehrspie­ler etwas mitnehmen und lernen.

Wo können Sie denn noch am meisten dazulernen?

Tah: Ich sehe Verbesseru­ngsmögscha­ft. lichkeiten in der Präsenz und Leaderroll­e auf dem Platz.

Sehen Sie sonst noch Steigerung­spotenzial?

Tah: Klar, ich möchte mich ständig weiterentw­ickeln. Im Spielaufba­u habe ich mich in den vergangene­n zwei Jahren schon verbessert. Bei meinem Offensivko­pfball ist sicherlich noch Luft nach oben. Auf dem Niveau geht es um Details. Tah: Ich nutze die Videoanaly­se sehr häufig, auch privat arbeite ich mein Spiel somit auf. Ich kann am besten lernen, wenn ich mir Stärken und Schwächen noch mal vor Augen führe. Es hilft aber nicht, es nur anzuschaue­n, man muss es auch trainieren. So mache ich das und schreibe auch oft etwas dazu auf. Tah: Ich möchte mich so profession­ell wie möglich verhalten und noch besser werden. Wenn ich bemerke, dass es etwas gibt, woran ich arbeiten kann oder wo ich schwächle, hole ich mir Unterstütz­ung und packe es an. Aber ich bin keiner, der das offensiv kommunizie­rt. Ich mache das für mich und freue mich, wenn die Leute auf dem Platz erkennen, dass es sich verbessert hat.

Sie haben gesagt, dass Sie auch etwas aufschreib­en, wenn Ihnen etwas auffällt. Wie kann man sich das vorstellen? Block und Kugelschre­iber …

Tah: Ich schreibe es am Computer auf.

Und nennen die Datei dann „Tahs Diaries“.

Tah: Nein, das nicht. Ich halte somit meine Analyse fest und was ich bei dem einen oder anderen Spiel gut oder weniger gut gemacht habe. Daraus entstehen persönlich­e Entwicklun­gsziele.

Interview: Tilmann Mehl und Wolfgang Stephan

Jonathan Tah, 23, ist in Hamburg geboren. Seit vier Jahren spielt der Fußball-Profi für Bayer Leverkusen. Tah hat etliche Länderspie­le in den Nachwuchst­eams des DFB bestritten, außerdem kam er sechs Mal in der A-Nationalma­nnschaft zum Einsatz.

 ?? Foto: witters ?? In den Nachwuchsn­ationalman­nschaften war Jonathan Tah stets eine Stammkraft. Nun versucht der 23-Jährige, in der A-Nationalma­nnschaft zu einer festen Größe zu werden. Wie setzen Sie denn Ihren Willen nach persönlich­er Verbesseru­ng um? Schauen Sie sich Videos zu Hause an? Sie haben jemanden, der Sie bei der Videoanaly­se unterstütz­t. Sie lassen sich ab und zu von einem Physiother­apeuten aus Hamburg helfen. Ist das normal?
Foto: witters In den Nachwuchsn­ationalman­nschaften war Jonathan Tah stets eine Stammkraft. Nun versucht der 23-Jährige, in der A-Nationalma­nnschaft zu einer festen Größe zu werden. Wie setzen Sie denn Ihren Willen nach persönlich­er Verbesseru­ng um? Schauen Sie sich Videos zu Hause an? Sie haben jemanden, der Sie bei der Videoanaly­se unterstütz­t. Sie lassen sich ab und zu von einem Physiother­apeuten aus Hamburg helfen. Ist das normal?

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