Wenn ein Patient von „Bombe“spricht
Ein Zwischenfall mit einem Syrer im Vincentinum hat viele Aspekte. Warum das Gericht eine Störung des öffentlichen Friedens, aber keine sexuelle Belästigung sieht
Im Alltag einer Klinik gibt es immer wieder Patienten, die Behandlungsabläufe nicht verstehen und nicht akzeptieren wollen – besonders wenn sie die deutsche Sprache nur wenig beherrschen. Sie erlebe das „öfter“, gab die Krankenschwester des Vincentinums gestern als Zeugin vor dem Amtsgericht zu Protokoll, „auch bei Deutschen“. Dann werde versucht, die Situation im Gespräch zu lösen.
Das gelang letztlich auch an jenem Mittwoch im Januar, nach einem sprachlich sehr schwierigen und emotionalen Disput, der sich über Stunden hinzog. Der heute 31-jährige Flüchtling aus Syrien nahm schließlich sein Abführmittel, die Darmspiegelung wurde am nächsten Tag durchgeführt. Dennoch musste er sich jetzt vor Richterin Ulrike Ebel-Scheufele wegen „versuchter Nötigung“, „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Gewalt“und „sexueller Belästigung“verantworten.
Zum Fall für die Justiz wurde die Episode, weil der Mann im Verlauf der Diskussion einmal mit einer Bombe drohte, die er im Namen Allahs werfen werde, falls man ihn aus der Klinik weisen würde. Krankenschwester und Pfleger empfanden diese Worte damals nicht als akut bedrohlich. Doch „weil ich nicht weiß, was in seinem Kopf wirklich vor sich geht“, so der Pfleger, wurden sie dennoch anderntags der Pflegedienstleitung gemeldet. Die verständigte die Polizei, die den Mann bei seiner Entlassung aus der Klinik in Empfang nahm. Eine Überprüfung durch den Staatsschutz ergab keine Hinweise auf eine Radikalisierung.
Vor Gericht kamen immer wieder die Kommunikationsprobleme an jenem Nachmittag zur Sprache. Der Patient habe das Abführmittel nicht nehmen wollen und ein Medikament verlangt, das die Pflegekräfte nicht kannten und auch nicht auf der Liste des Arztes fanden. Der Patient sei aggressiv aufgetreten, habe am Stützpunkt gegen den Türrahmen und in seinem Zimmer gegen die Wand geschlagen. Einmal habe der Mann, der Ende 2017 mit Frau und vier Kindern nach Deutschland gekommen war, die 48-jährige Krankenschwester, die ihm die Abläufe wollte, angeherrscht: „Du Frau, du nicht reden. In meiner Heimat Frauen nicht reden.“
Dann wieder machte er Anstalten zu gehen, um zu Hause das gewünschte Medikament zu holen. Als ihm die Schwester erläuterte, dann werde die Untersuchung abgebrochen, folgte die Drohung mit der Bombe. Die Schwester versuchte ihn zu beruhigen, argumentierte, dass man ihm als Flüchtling in Deutschland ja helfen wolle, und erwähnte, dass ihre Familie vor Jahren als Kriegsflüchtlinge aus BosnienHerzegowina hierhergekommen sei. Das führte offenbar zu einem Sinneswandel, nun umarmte der Mann die Krankenschwester, nannte sie „Gute Frau“und küsste sie auf den Kopf.
Letzteres stufte die Anklage noch als „sexuelle Belästigung“ein. Für Verteidiger Stefan Mittelbach eine falsche Bewertung, er wies auf „sozio-kulturelle Unterschiede“hin, das sei ein Zeichen der Entschuldigung. Staatsanwältin Alisa Starflinger konnte dem folgen und zog diesen Vorwurf zurück, ebenso die versuchte Nötigung.
Die Störung des öffentlichen Friedens durch die Drohung mit der Bombe wollte sie aber mit einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten ahnden. Der Verteidiger argumentierte mit der „schwierigen Kommunikation“und der „zunehmenerläutern den Verzweiflung“seines Mandaten, und dass sich dieser nach der Drohung ja schnell ruhig und konform verhalten habe. Er plädierte für eine Geldstrafe.
Richterin Ulrike Ebel-Scheufele folgte dem mit ihrem Urteil von 120 Tagessätzen zu 15 Euro. Diese Milde sei aber nur möglich, so betonte sie, weil sich der Angeklagte über seinen Verteidiger entschuldigt habe. „Ihm war mit Sicherheit klar, was Pfleger und Krankenschwester empfinden, wenn sie aus seinem Mund die Worte ,Bombe‘ und ,Allah‘ hören“, sagte sie und betonte: „Es ist ein Unding, wenn man gegenüber Pflegern, die einem helfen wollen, solche Worte gebraucht!“