Im Alltag mit Gott gibt’s keine Langeweile
Die Tage hinter den Klostermauern von Maria Stern sind durchgetaktet. Es wird viel gebetet, doch es warten auch andere Aufgaben auf die Schwestern. Weshalb eine noch mit 90 Kleidung flickt und zwei am Telefon besondere Dienste erledigen
Auf der Pinnwand am Kircheneingang des Klosters Maria Stern, den nur die Schwestern vom Kloster aus benutzen, sind kleine Kärtchen angebracht. Hinter jedem Zettel verbirgt sich ein persönliches Schicksal. Schwere Krankheiten, Angst vor Prüfungen, Arbeitslosigkeit oder die Sorge, keine bezahlbare Wohnung zu finden. Auch die Großmutter eines kleinen Mädchens hat sich auf einem der Zettel an die Schwestern im Mutterhaus Sterngasse gewandt – ihre vierjährige Enkeltochter ist schwer krank. Deshalb hat sie im Kloster angerufen und um Beistand gebeten. Die Sorge wurde an der Pforte notiert und auf der Pinnwand angebracht. 29 Schwestern und die Generaloberin leben in dem Kloster. „Wer von dort aus in die Kirche geht, wirft einen Blick auf die Pinnwand und schließt die Menschen in sein Gebet mit ein“, erklärt Schwester Fernanda Röder.
Die 76-Jährige führt durch die verschiedenen Gebäude, die durch Übergänge oder einen Innenhof samt überdachtem Kreuzgang miteinander verwoben sind. Dort finden auch Prozessionen statt, beispielsweise an den sogenannten Bitt-Tagen vor Christi Himmelfahrt. Ein Höhepunkt ist das Osterfeuer am Abend des Karsamstag. „Dazu finden sich viele Gläubige ein und feiern gemeinsam mit den Schwestern die Liturgie der Osternacht“, erzählt Schwester Fernanda. An diesem Nachmittag ist es sonnig, die Bänke im Schatten des Kreuzgangs laden zum Verweilen ein. Der Blick fällt auf prächtige Rosensträucher, wilden Wein, der sich die Säulen hinaufrankt, und einen Brunnen, der die Vogelpredigt des heiligen Franziskus darstellt.
Nur verweilt in dieser ruhigen, besinnlichen Atmosphäre niemand – so nah am Trubel der Innenstadt und doch so weit weg, jenseits der Klostermauern. „Nein, das machen wir vielleicht am Wochenende. Unter der Woche haben wir dafür gar keine Zeit“, sagt Schwester Fernanda und lacht. Ihr Tagesablauf ist durchgetaktet und wird von den Gottesdiensten vorgegeben. An Werktagen startet ihr Tag mit der Laudes, dem Morgengebet um 6.40 Uhr, es folgt die heilige Messe um 7 Uhr und die Mittagshore um 11.45 Uhr, die ein Teil des Stundengebets der katholischen Kirche ist. Abends wird um 17.10 Uhr der Rosenkranz gebetet, um 17.35 Uhr findet die Vesper, das Abendgebet, statt. In der Zwischenzeit gehen die Schwestern ihren Beschäftigungen nach. Neben dem geistlichen Dienst arbeiten sie – zum Teil bis ins hohe Alter.
Schwester Fernanda, die aus der Nähe von Würzburg stammt, lebt schon seit 60 Jahren in Augsburg. Früh trat sie in den Orden der Sternschwestern ein, studierte in München Schulmusik für das Lehramt an Gymnasien und unterrichtete dann bis 2008 Musik am Gymnasium Maria Stern. Sie habe immer gerne unterrichtet – im Klassenunterricht, in Chor und Orchester. Im Mutterhaus widmet sie sich der Kirchenmusik, spielt nun auch Orgel, probt mit dem Schwesternchor und umrahmt Feste wie besondere Geburtstage. „Das gemeinsame Feiern ist sehr wichtig. Ein Höhepunkt sind die alljährlichen Professjubiläen.“Dazu probt sie mit dem Schwesternchor, in dem auch Schwestern aus den Augsburger Filialen mitwirken. Sie übt auch mit den Schwestern für das Breviersingen, das einen hohen Stellenwert hat. Einige Schwestern sind einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen, waren Lehrerinnen, Erzieherinnen oder Krankenschwestern. Im Ruhestand kommen sie allerdings nur selten zur Ruhe. „Nach dem Frühstück arbeite ich im Sekretariat“, erzählt Schwester Fernanda.
Insgesamt gibt es in der deutschen Provinz des Klosters 86 weltliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Schwestern unterstützen. Viele Aufgaben erledigen die Franziskanerinnen aber selbst. Nachdem in der Ordensgemeinschaft wenige junge Schwestern nachkommen, tun sie ihre Arbeit bis ins hohe Alter. Schwester Silvana zum Beispiel kümmert sich um das Archiv des Mutterhauses. Dort stapeln sich Ordner und Mappen, in denen Korrespondenz, Fotos und weitere Dokumente der Ordensgemeinschaft aufbewahrt werden.
Neben dem Mutterhaus gibt es in Bayern noch sieben Filialen – alles zusammen bildet die deutsche Provinz. Daneben gibt es Niederlassun
gen in Brasilien und Mosambik. Mit den Klosterschätzen hat Schwester Silvana Vitrinen bestückt. „Das ist ein kleines Museum geworden“, sagt sie. Im Lauf der Zeit hat sich einiges angesammelt – nach der Schließung von Filialen kommen viele Unterlagen hinzu. „Bis 2013 haben wir einen Raum für das Archiv genutzt. Das wurde aber zu eng. Jetzt sind es zwei Räume“, berichtet sie.
Schwester Fernanda führt durch das Kloster. Seit sie als Lehrerin in den Ruhestand gegangen ist, lebt sie in der Innenstadt. Sie engagiert sich auch in der Pfarrei St. Moritz, in deren Territorium sich das Kloster befindet. „Kloster und Pfarrei hatten schon immer gute Beziehungen. Schwestern waren und sind ehrenamtlich dort als Lektoren und Kommunionhelferinnen tätig.“Schwester Fernanda ist auch im Pfarrgemeinderat. Auf Anregung von Provinzoberin Schwester Beda findet die Freitagabendmesse von St. Moritz um 18 Uhr in der Sternkirche
statt. Schwester Fernanda: „Das Angebot wird von vielen ,Moritzern‘ angenommen und lässt auch die Schwesterngemeinschaft das Miteinander erleben.“
Aber auch innerhalb der Klostermauern gibt es viel zu organisieren – runde Geburtstage, Professjubiläen – der Tag, an dem das Ordensgelübde gefeiert wird – oder auch Trauerfeiern für verstorbene Schwestern. Das Miteinander ist etwas Besonderes. Die Schwestern feiern gemeinsam Geburtstage, Jubiläen und Weihnachten; wer im Alter pflegebedürftig wird, um den kümmern sie sich im ordenseigenen Altenund Pflegeheim in Bergheim. Die Schwestern verbringen ihr Leben zusammen, sie beten, sie wirken in kirchlichen und pastoralen Diensten und in der geistlichen Begleitung, sie kümmern sich um Menschen am Rand der Gesellschaft. „Oberin Monika organisiert von September bis März Sonntagmittag ein Essen für obdachlose Menschen“, erzählt Schwester Fernanda.
Es gibt für Interessierte einen ökumenischen Bibelkreis, für Gehörlose eine Bibelstunde und für Kinder einen Bibelgarten. Schwester Dominika hat ihn gestaltet. „Dabei hat sie Bibelstellen wie die Hochzeit zu Kana, das Abendmahl oder das Kohlenfeuer am See nachgestellt und erklärt es den Kindern, die zu uns zu Besuch kommen“, zeigt Schwester Fernanda die verschiedenen Bereiche in dem kleinen idyllischen Garten.
Beim Rundgang durch das Kloster fällt ein Blick durch den verglasten Stern einer Holztür in die kleine Hauskapelle. Der Stern ist ein wiederkehrendes Symbol in den Gebäuden der Ordensgemeinschaft. Er geht auf die Ursprünge des Ordens zurück. Zwei Augsburger Bürgerstöchter gründeten 1258 in ihrem Haus „zum Stern“eine „Sammlung“, um mit Gleichgesinnten ein gottgefälliges Leben zu führen. Der Namenszusatz „Maria“wird erst seit dem 17. Jahrhundert verwendet. Die Franziskanerinnen halten auch heute noch fest an ihren Traditionen. Sie tragen ein Kleid, das nicht in der Altkleidersammlung landet, wenn sich eine Naht löst oder ein Loch bildet. Dann schreitet Schwester Ildefonsa zur Tat: Die 90-Jährige flickt die Kleider der Schwestern. „Das ist eine Wohltat für mich. Ich mache es gern“, sagt sie und lächelt. Dafür zieht sie sich in das Nähzimmer zurück. Dort hat sie ihre Ruhe, der Blick fällt durch das offene Fenster auf den Mittleren Lech und einige Tomatenstöcke. Früher war sie Handarbeitslehrerin, hat unter anderem 13 Jahre in der ehemaligen Pension des Ordens in Venedig gearbeitet.
Einen Gang, ein Treppenhaus und einige Türen weiter ist das Büro von Schwester Monika, der Hausoberin. Sie organisiert den Haushalt der Gemeinschaft, hat Urlaube, das Wohlbefinden der Schwestern und Besucher im Blick. Die ehemalige Erzieherin managt den Ablauf im Haus. Sie bastelt aber auch Leuchtsterne, die beim Adventsbasar, der Jahr für Jahr am Wochenende vor Beginn des Christkindlesmarktes stattfindet, verkauft werden. „Die leuchtenden Phosphorbänder kaufe ich mir dafür aus Altbeständen von der Bundeswehr im Internet“, verrät die findige Schwester.
Schwester Antonie, die Provinzökonomin, kümmert sich um die zeitlichen Güter der Gemeinschaft, die der Versorgung der Schwestern in gesunden und kranken Tagen und der Absicherung ihrer apostolischen Tätigkeiten dienen. „Arbeit hält jung“, sagt sie und bereitet gerade das Provinzkapital vor, bei dem im November rund 30 gewählte Delegierte ihre Mitschwestern vertreten. „Dabei wird unter anderem über Anschaffungen und Umbauten gesprochen.“Das wirtschaftliche Kerngeschäft laste auf den Schultern der Franziskanerinnen, weiß Schwester Beda. „Wir versuchen, das alles selber zu bewerkstelligen. Das ist auch eine Vertrauenssache“, sagt die Provinzoberin. Sie hat die deutsche Provinz im Blick, die über 100 Schwestern zählt. „Ich schaue darauf, dass es allen gut geht und dass sie im Krankheitsfall gut betreut werden.“Sie schreibt geistliche Anregungen, gibt Themen für Besinnungstage vor, hält Sitzungen der Provinzleitung und Schwesterntreffen ab.
Ein Nachmittag vergeht im Kloster wie im Flug. Schon bereitet Schwester Rosalinde die Abendvesper vor. Sie kümmert sich um den Blumenschmuck in der Sternkirche, richtet Kelche und Hostien vor, legt das Messgewand und die Albe heraus. „Grün wird sonntags getragen.“Wenn es Abend wird, endet auch der Dienst der Schwestern Carissima und Fidelia, die sich die Arbeit an der Pforte teilen. Nicht selten klingelt jemand und fragt nach etwas zu Essen oder Geld. In E-Mails und Anrufen werden den Schwestern die Nöte der Menschen anvertraut. Bei den Sternschwestern finden sie ein offenes Ohr.
Nächste Woche nehmen wir Sie mit nach Oberhausen, wo Menschen aus vielen Nationen zusammenleben.
Seit dem Jahr 1258 an Ort und Stelle
Kloster Maria Stern