Friedberger Allgemeine

Özdemir will es noch mal wissen

Seit die Grünen mit Robert Habeck und Annalena Baerbock durchgesta­rtet sind, ging es ungewohnt harmonisch zu. Doch jetzt steht in der Bundestags­fraktion ein Machtkampf an

- Teresa Dapp, dpa

Berlin Unterschri­eben haben sie mit grüner Tinte, wie auch sonst: „Herzlich, Eure Kirsten und Euer Cem“. Ein zweiseitig­es Bewerbungs­schreiben soll das Comeback von Cem Özdemir einleiten, dem Ex-Grünen-Chef, und ihn zusammen mit der bisher öffentlich recht unbekannte­n Kirsten KappertGon­ther zurück an die Spitze der Partei bringen. Die beiden wollen Fraktionsv­orsitzende im Bundestag werden – einen Platz, den die Amtsinhabe­r nicht freiwillig räumen.

Für Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter ist die grüne Tinte eine Kampfansag­e. In gut zwei Wochen wird gewählt. Göring-Eckardt und Hofreiter bekräftige­n noch am Sonntag, dass sie weitermach­en wollen. Die beiden sind seit sechs Jahren am Ruder, sie übernahmen die Bundestags­fraktion nach der aus Grünen-Sicht verkorkste­n Bundestags­wahl 2013. Es gibt Kritik an den beiden – an ihrem Führungsst­il, an seiner Außenwirku­ng. Seit die Partei mit Annalena Baerbock und Robert Habeck auf dem Doppelvors­itz neu durchgesta­rtet ist, kommen die 67 Bundestags-Grünen öffentlich weniger vor.

Zeit für einen Personalwe­chsel? Ganz so einfach ist es nicht. Fragt man die Grünen, warum sie so gut dastehen, gibt es drei öffentlich­e Antworten: Grüne Themen sind der Renner, es braucht einen klaren Gegenpol zur AfD, die Parteichef­s Robert und Annalena ziehen. Dazu kommt oft noch eine hinter der Hand: „Und wir streiten uns nicht mehr dauernd.“Als Bundesvors­itzender von 2008 bis 2018 war Özdemir Teil dieser Querelen, beharkte sich mit seiner Co-Vorsitzend­en Simone Peter, mit Ex-Minister Jürgen Trittin, mit dem linken Parteiflüg­el insgesamt. Der Schwabe gehört zu den sogenannte­n Realos, sogar zu den Oberrealos um Baden-Württember­gs Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n. Während Habeck und Baerbock die Mitte, den Ausgleich suchen, ist Özdemir einer, der polarisier­t.

Nur ein Beispiel: Gegen erhebliche­n Widerstand lud er den damaligen Daimler-Boss Dieter Zetsche, für viele Grüne ein echtes Feindbild, zum Parteitag ein. Göring-Eckardt und Hofreiter sind zwar auch Vertreter ihrer beiden Parteiflüg­el, vermeiden aber öffentlich­en Zoff und kommen gut miteinande­r aus. Sie führten die Fraktion „zusammen aus der Mitte heraus“, so verteidigt Göring-Eckardt am Sonntag ihre Linie. Hofreiter stößt ins gleiche Horn: Sie hätten die Fraktion „mit einem Blick für den Zusammenha­lt und den Ausgleich“geführt. Ob das für ein Duo Özdemir und KappertGon­ther auch gelten würde? Als Team sind sie bisher nur in einem Video sichtbar geworden, in dem die drogenpoli­tische Sprecherin und der bekennende Hanf-Liebhaber für die Entkrimina­lisierung von Cannabis warben.

Dass Özdemir noch Ehrgeiz hat, war kein Geheimnis. Als noch um eine Jamaika-Koalition von Union, FDP und Grünen gerungen wurde, sahen viele ihn schon als neuen Außenminis­ter, er selbst vielleicht auch. Aber Jamaika platzte, und der ehemalige Parteichef und Spitzenkan­didat fand sich als Vorsitzend­er des Verkehrsau­sschusses im Bundestag politisch in der dritten Reihe wieder.

Das Rampenlich­t schuf Özdemir sich seitdem nach Kräften selbst, hielt sich auch ohne Amt noch lange in den Listen der wichtigste­n und beliebtest­en Politiker. Da will er wieder hin. Warum meldet er sich dann erst so kurz vor der Wahl? Die Regeln der Grünen sind so, dass Özdemir ohne eine „linke Frau“an der Seite wohl chancenlos gewesen wäre. Am 24. September wählen die Abgeordnet­en normalerwe­ise erst eine weibliche Vorsitzend­e, dann wird der „offene Platz“besetzt. Zwei Frauen würde gehen, zwei Männer nicht. Dazu kommt eine ungeschrie­bene

Zwei Frauen würden gehen – zwei Männer nicht

Regel: Die Doppelspit­ze soll Realos und Parteilink­e repräsenti­eren. Dass Habeck und Baerbock an der Parteispit­ze damit gebrochen haben, macht diese Norm für die Fraktion umso wichtiger.

Özdemir konkurrier­t also nicht nur mit Hofreiter um den MännerPlat­z, sondern auch mit GöringEcka­rdt um den Realo-Platz. Und eine Frau vom linken Flügel war nicht ohne Weiteres zu finden, auch das war ein offenes Geheimnis. Nun ist sie da: Kirsten Kappert-Gonther, 52 Jahre alt, Ärztin aus Bremen, politisier­t in der Friedens- und AntiAtomkr­aft-Bewegung, erst seit 2017 im Bundestag.

Ob die beiden Erfolg haben können, scheint erst mal offen. Die beliebten Parteichef­s Habeck und Baerbock sollen sich jedenfalls nicht herausgefo­rdert fühlen: „Wir streben keine Spitzenkan­didatur im nächsten Bundestags­wahlkampf an“, schreiben Özdemir und Kappert-Gonther.

 ?? Foto: S. Puchner, dpa ?? Taxiert er gerade seine Chancen auf einen Topjob bei den Grünen? Cem Özdemir bewirbt sich mit Kirsten Kappert-Gonther um die Fraktionss­pitze.
Foto: S. Puchner, dpa Taxiert er gerade seine Chancen auf einen Topjob bei den Grünen? Cem Özdemir bewirbt sich mit Kirsten Kappert-Gonther um die Fraktionss­pitze.

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