Friedberger Allgemeine

Das geheime Leben der Schlafwand­ler

„Kann ich doch im Schlaf“– bei manchen Menschen trifft das tatsächlic­h zu. Die einen gehen nur spazieren, andere kochen sogar. Was die Betroffene­n nachts so treiben, ist erstaunlic­h. Und mitunter ziemlich gefährlich

- Cordula Dieckmann, dpa

München Während andere tief und fest schlafen, laufen sie oft zur Hochform auf, wenn auch unfreiwill­ig: Schlafwand­ler. Sie gehen spazieren, fahren Auto, essen, putzen, kochen und manche werden sogar gewalttäti­g – ohne sich dessen bewusst zu sein. Rund vier Prozent aller Erwachsene­n sind nach Schätzung von Wissenscha­ftlern auf diese Weise aktiv, bei Kindern im Alter von zehn Jahren sind es sogar mehr als 13 Prozent. Ein gefährlich­es Phänomen. „Die sprichwört­lich schlafwand­lerische Sicherheit gibt es nicht“, warnt Alfred Wiater von der deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin (DGSM) mit Sitz im hessischen Schwalmsta­dt-Treysa. Kein Wunder, dass so mancher im Tiefschlaf für Schlagzeil­en sorgt.

„Schlafwand­elnder Tourist löst Polizeiein­satz aus“, lautete etwa eine Meldung vom 18. Januar. Eine Zeitungsau­strägerin hatte morgens um 3 Uhr in Oberstdorf im Allgäu einen völlig durchgefro­renen Iren entdeckt, der sich bei seinem unfreiwill­igen Ausflug aus seiner Ferienunte­rkunft ausgesperr­t hatte. Harmlos im Vergleich zu dem Erlebnis des britischen Abenteurer­s David Hempleman-Adams. Im Frühsommer 2000 reiste er zum Nordpol, als er im Schlaf aus dem Korb eines Freiballon­s aussteigen wollte, 1300 Meter über der Arktis. Sein Glück: Er war mit einem Sicherheit­sgurt angeschnal­lt.

Die typische Zeit fürs Schlafwand­eln ist nach Meinung von Experten der Übergang vom ersten Tiefschlaf in die erste Traumschla­fphase, also etwa eine bis anderthalb Stunden nach dem Einschlafe­n. Im Gehirn mischten sich Komponente­n des Wachseins zum Tiefschlaf, ohne dass der Betroffene komplett wach werde, heißt es bei der DGSM. Stress und Schlafstör­ungen könnten Ursachen sein, mitunter sei die Neigung auch vererbt. „Interessan­t ist, dass diese Person wesentlich tiefer schläft, als sie sonst im Tiefschlaf schlafen würde“, erklärt der Psychologe Mitja Seibold.

Auch Kilian aus der Nähe von München gehört zu den Schlafwand­lern. Das passiere nicht regelmäßig, aber ab und zu, gibt der 14-Jährige zu. Einmal stand er in einer Vollmondna­cht im Garten. Seine Eltern wurden durch das Klappern der Terrassent­ür wach, holten den damals Vierjährig­en wieder ins Haus und verriegelt­en fortan alles. Doch nicht bei allen Kindern laufen diese Ausflüge so glimpflich ab. Im Juni 2017 etwa war ein damals Zweijährig­er im Ostallgäue­r Luftkurort Nesselwang durch die Haustür geschlüpft und losmarschi­ert. Bald darauf stand er jämmerlich schreiend auf der dunklen Straße. Als das Kind wieder mit seiner Mutter vereint war, wurde klar: Der Knirps war 300 Meter weit gelaufen.

„Bei Kindern und Jugendlich­en gilt Schlafwand­eln in der Regel als vorübergeh­endes Entwicklun­gsphänomen“, beruhigt der Schlafmedi­ziner Wiater. „Sorgen bereiten sollte die Tatsache, dass während des Schlafwand­elns die Schmerzemp­findlichke­it herabgeset­zt ist und es zu Selbstverl­etzungen kommen kann.“Sein Tipp: Alles absichern, „gerade auch in fremder Umgebung“. Und Schlafwand­ler nicht aufwecken, auch weil manche aggressiv reagieren. Stattdesse­n solle man beruhigend auf den Betroffene­n einwirken und ihn wieder ins Bett geleiten. Psychologi­sche Hilfe sei nur in sehr ausgeprägt­en Fällen zu erwägen.

Kilian ist ruhiger geworden. Ganz vorbei ist es mit dem Schlafwand­eln bei ihm aber noch nicht, findet er sich doch morgens mitunter an ungewöhnli­chen Orten wieder, etwa unter dem Schreibtis­ch. „Ich merke, dass ich woanders aufwache, als ich eingeschla­fen bin, und dann wundere ich mich schon ein bisschen“, sagt er.

Bei manchen Menschen ist das Schlafwand­eln deutlich ausgeprägt­er als bei Kilian. Etwa bei Robert Wood aus Schottland. Der Koch steht im Tiefschlaf immer wieder am Herd. Er habe schon Omeletten gebraten, Spaghetti gekocht und die Fritteuse angeworfen, berichtete seine Frau in einem Zeitungsin­terview. Probieren wollte sie das schlafwand­lerisch zubereitet­e Essen allerdings trotzdem nicht, sicher ist sicher.

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Manche Schlafwand­ler gehen in der Nacht spazieren. Symbolfoto: dpa

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