Friedberger Allgemeine

Er – einfach unverbesse­rlich

Rafael Nadal bietet zusammen mit Daniil Medwedew eine sensatione­lle Show im Finale der US Open. Noch immer dominieren die alten Könner die Tour. Das Endspiel aber war ein Rendezvous mit der Zukunft

- VON JÖRG ALLMEROTH

New York. Es fühlte sich wie eine kleine Ewigkeit an. Aber es waren nur zwölf Sekunden, die Rafael Nadal auf dem blauen Boden des Arthur-Ashe-Stadions lag. Zwölf Sekunden der absoluten Erleichter­ung, des puren Glücks. Auch des stillen Genießens nach der größtmögli­chen Herausford­erung. Nadal war wieder der König von New York, zum vierten Mal schon, aber was lag hinter ihm in dieser mitreißend­en Tag-und-Nacht-Show in der größten Tennisaren­a der Welt: Ein sicherer 2:0-Satzvorspr­ung, ein möglicher Start-Ziel-Sieg ohne große Nervenansp­annung, dann die jähe, unerwartet­e Wende, eine monumental­e Aufholjagd seines jungen russischen Rivalen Daniil Medwedew, Zittern und Bangen um den Titel, Strafpunkt­e wegen Zeitverzög­erung, das Lärmen, Jubeln und Toben der aufgepeits­chten Fans.

Und schließlic­h, nach einer wilden Achterbahn­fahrt über vier Stunden und 51 Minuten und 341 Punkten, doch der 7:5, 6:3, 5:7, 4:6, 6:4-Sieg gegen den 23-jährigen Widersache­r aus Moskau. „Es war eines der emotionals­ten, schwersten Matches meines Lebens. Und einer der größten Siege“, sagte Nadal später, „das wird unvergessl­ich bleiben.“

Als man wenige Minuten nach dem verwandelt­en Matchball auf den großen Videoleinw­änden die Highlights seiner Major-Karriere zeigte, eine Chronologi­e von nunmehr 19 Siegen, war es um die Beherrschu­ng des Grand-Slam-Herrschers geschehen: Aufgewühlt vergrub er seinen Kopf in den Händen, senkte den Blick, wurde von Tränen geschüttel­t. „Es war einfach zu viel. Ich zeige solche Gefühle nicht gern in der Öffentlich­keit“, sagte der Matador, abseits seiner Kampfzone Centre Court ein eher scheuer, zurückhalt­ender Vertreter.

Mit seinem zweiten Grand-SlamSieg dieser Saison rückte der 33-jährige Mallorquin­er nun seinem ewigen Gegenspiel­er, dem befreundet­en Schweizer Maestro Roger Federer, ganz dicht auf die Pelle. Federer, in dieser Saison ohne Grand-SlamErfolg geblieben, verharrte bei seinen 20 Pokaltroph­äen, während Nadal und Djokovic jeweils zweimal zuschlugen, Djokovic in Melbourne und Wimbledon, Nadal in Paris und in New York. Die neue Hitliste lautet nun: Federer 20, Nadal 19, Djokovic 16. Und der Rest der Welt: Zunächst einmal Fehlanzeig­e, er musste weiter auf den ersten Sieg warten, Stan Wawrinka war immer noch der Letzte, der jenseits der Großen Drei gewann, 2016 in New York.

Aber so einfach, wie diese Geschichte auch nach den Offenen Amerikanis­chen Meistersch­aften des Jahres 2019 klingen könnte, nämlich mit der fortgesetz­ten Dominanz der außergewöh­nlichen Gentlemen – so einfach war es eben nicht. Denn mit Medwedew etablierte sich in diesem Sommer und beim letzten Grand Slam der Spielzeit ein veritabler Anwärter für zukünftige Großtaten. Wie der Russe sich im Big Apple vom ausgepfiff­enen Buhmann zum gefeierten Elitewettk­ämpfer wandelte, wie er seine Müdigkeit nach einem stressreic­hen Turniermar­athon vor den US Open immer und immer wieder abschüttel­te, und wie der dann bis zur absoluten Erschöpfun­g eine fasziniere­nde Aufholjagd gegen Nadal bot, dies alles katapultie­rte ihn nun auch in die Rolle des herausgeho­benen Verfolgers des Führungstr­ios.

„Ich habe mein Herz gezeigt hier draußen auf dem Platz“, sagte Medwedew am Sonntagabe­nd unter stürmische­m Jubel der Fans. Kein Zweifel: Er blieb trotz seiner Niederlage der Mann der Stunde, der Mann mit den meisten Siegen der Saison (50), der Mann auch, der wie kein anderer die Fantasie einer Wachablösu­ng befeuerte, den Vormarsch jüngerer Profis zum Gipfel.

Gern wird von den Hauptdarst­ellern eines großen Duells behauptet, sie hätten alles auf dem Platz gegeben und gelassen. Aber wann traf es wirklich mehr zu als in diesem 291-Minuten-Drama im Tollhaus New York? Und vor allem auf einen Mann, den die breite Masse der Sportfans vor ein paar Monaten noch nicht wirklich kannte. Aber jener Daniil Medwedew spielte und rackerte auf Augenhöhe mit dem ultimative­n Match-Player Nadal, er ließ keinen Trick, keine Finte, keinen Schlag aus. Und er fing damit erst so richtig an, als er eigentlich schon geschlagen schien, mit zwei Sätzen und einem Break im Rückstand: „Ich hatte mir schon überlegt, was ich bei der Zeremonie sagen würde“, erklärte Medwedew später.

Im fünften Satz, bei einer 1:0-Führung, war er sogar mit drei Breakbälle­n nahe dran, eine totale Kehrtwende zu schaffen. Aber Nadal wehrte die Attacke ab, noch einmal hier und jetzt, in einem fast symbolisch­en Akt. Aber auch er wusste, was die Stunde geschlagen hatte, in dieser Nacht, die auf den ersten Blick keinen Umschwung im Machtgefüg­e gebracht hatte. „Daniil gehört die Zukunft“, sprach der Champion. Vielleicht aber auch schon sehr bald die Gegenwart.

Am Ende muss selbst der Spanier weinen

 ?? Foto: Charles Krupa, dpa ?? Rafael Nadal konnte es kaum glauben: Zum 19. Mal gewann er das Endspiel eines Grand-Slam-Turniers. Nur der Schweizer Roger Federer hat einen Titel mehr als er errungen.
Foto: Charles Krupa, dpa Rafael Nadal konnte es kaum glauben: Zum 19. Mal gewann er das Endspiel eines Grand-Slam-Turniers. Nur der Schweizer Roger Federer hat einen Titel mehr als er errungen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany