Friedberger Allgemeine

Die Klagewelle hält an

Die Abgas-Affäre beschäftig­t das Landgerich­t in großem Ausmaß. Dort gibt es derzeit mehr als 400 offene Verfahren. Zwei Urteile hatten zuletzt bundesweit für Aufsehen gesorgt

- VON JAN KANDZORA

Es ist noch gar nicht so lange her, da vermeldete man am Augsburger Landgerich­t einen neuen Rekordstan­d. Es gab damals, im September 2018, bereits eine Fülle von Klagen wegen des Diesel-Skandals. Käufer zogen massenhaft vor Gericht, deren Autos Motoren mit eingebaute­r Betrugs-Software besaßen. Diese Software sorgte dafür, dass die Autos auf dem Prüfstand bessere Abgaswerte hatten als bei normalen Fahrten. Rund 250 offene Verfahren waren es zu der Zeit am Landgerich­t; größtentei­ls ging es dabei um Prozesse gegen Volkswagen.

Heute sind es noch einmal deutlich mehr solcher Zivilproze­sse in Augsburg. Nach Auskunft des Landgerich­tes sind derzeit gut 480 offene Klagen wegen des DieselSkan­dals anhängig. Dabei wurden in den vergangene­n Monaten bereits eine Vielzahl von Verfahren abgeschlos­sen, die meisten derzeit noch offenen Klagen sind vergleichs­weise aktuell. Aus dem Jahr 2017 seien etwa lediglich noch zwei Verfahren nicht abgeschlos­sen, heißt es vom Landgerich­t. Es kommen aber regelmäßig neue Klagen hinzu. Eine besondere Häufung freilich hatte es im Dezember des vergangene­n Jahres gegeben: 350 Menschen reichten nach Angaben des Gerichtes alleine in dem Monat Klage wegen des Dieselskan­dals ein.

Hintergrun­d war offenbar die Befürchtun­g, dass mögliche Schadeners­atzansprüc­he für VW-Besitzer 2019 verjährt sein könnten. Erstmals berichtet worden war über Diesel-Manipulati­onen im Jahr 2015. Wenn man von 2015 als dem Jahr ausgeht, in dem Autobesitz­er Kenntnis über die Betroffenh­eit ihres Fahrzeugs erlangt haben, wäre die dreijährig­e Frist 2018 abgelaufen. Einige Anwälte vertreten allerdings auch die Rechtsauff­assung, dass für Käufer erst der Zeitpunkt zähle, als sie vom Hersteller wegen der Diesel-Problemati­k angeschrie­ben worden seien. Das war oftmals erst 2016 der Fall. Sollte dies maßgeblich sein, könnten Betroffene teils Schadeners­atzansprüc­he bis Ende 2019 geltend machen. Eine höchstinst­anzliche Rechtsprec­hung dazu gibt es offenbar noch nicht.

Nach Auskunft von VW gibt es aber bundesweit eine Vielzahl von Entscheidu­ngen von Oberlandes­gerichten, die zumindest klarstelle­n, dass Käufer keine Ansprüche mehr haben, die ihr Fahrzeug nach September 2015 gekauft haben – also nachdem VW in einer Mitteilung über die Schummel-Software informiert hatte. Wie es aussieht, wenn jemand ein Auto vor diesem Datum erworben, aber erst 2019 Klage eingereich­t hat, steht auf einem anderen Blatt. Das Augsburger Landgerich­t wird voraussich­tlich im Herbst 2019 darüber entscheide­n, ob ein solcher Fall bereits verjährt ist oder nicht. In einigen Fällen richten sich die Diesel-Klagen in Augsburg nicht gegen VW oder eine andere Marke des Auto-Konzerns, sondern gegen Daimler oder BMW. Dies ist nach Auskunft des Gerichtes aber die Ausnahme, es gehe dabei lediglich um rund 40 der offenen DieselKlag­en in Augsburg.

Zwei Urteile des hiesigen Landgerich­tes im Diesel-Komplex hatten in den vergangene­n Monaten bundesweit für Aufsehen gesorgt. Im November 2018 entschied der Augsburger Richter Rudolf Weigell erstmals, dass ein klagender Käufer eines VW Golf mit der BetrugsSof­tware den vollen Kaufpreis zurückerst­attet bekommt – also ohne dass eine sogenannte „Nutzungsen­tschädigun­g“vom Kaufpreis abgezogen wird. Abhängig von der Zahl der gefahrenen Kilometer entsteht so eine Summe, die der Käufer trotz eines für ihn positiven Urteils eben nicht mehr zurückbeko­mmt. In dem Fall allerdings gab es einen solchen Abzug nicht. Der Kläger soll laut Urteil die vollen 29907,66 Euro samt Zinsen zurückerha­lten. Im Dezember entschied derselbe Richter, dass der Konzern einem Kunden für einen manipulier­ten Diesel den Originalpr­eis erstatten muss, dieses Mal ging es um 24 285,20 Euro. VW legte beide Male Berufung ein, der erste Fall soll im Oktober vor dem Oberlandes­gericht München verhandelt werden.

Richter Weigell ging in den Urteilen davon aus, dass ein sittenwidr­iges Verhalten der Volkswagen AG vorliege, da eine Software eingebaut worden sei, die zur Manipulati­on von Abgasgrenz­werten geführt habe. Der Konzern habe das Ziel verfolgt, mit der Täuschung der Kunden Umsatz und Gewinn zu erzielen. VW sieht die Urteile als rechtsfehl­erhaft und geht davon aus, dass sie in höheren juristisch­en Instanzen nicht halten. Die Gerichte urteilen im Diesel-Skandal sehr unterschie­dlich. Grundsatzu­rteile des Bundesgeri­chtshofes, an dem sich die Gerichte orientiere­n können, gibt es bislang nicht. Vielfach werden Prozesse über einen Vergleich frühzeitig beendet. In Augsburg ging die Tendenz zuletzt offenbar in die Richtung, dass es schon in erster juristisch­er Instanz zu einem solchen Vergleich kommt. Einer Musterfest­stellungsk­lage vor dem Oberlandes­gericht Braunschwe­ig haben sich mehr als 400000 VW-Besitzer angeschlos­sen.

Muss VW den vollen Kaufpreis zurückzahl­en?

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Archivfoto: Silvio Wyszengrad Viele VW-Fahrer klagen infolge des Diesel-Skandals gegen den Automobilk­onzern.

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