Friedberger Allgemeine

Der Krebs raubt der SPD ein politische­s Talent

Wegen der Diagnose zieht sich Manuela Schwesig aus der Parteispit­ze zurück. Aber sie glaubt an eine Heilung und will Ministerpr­äsidentin bleiben. Ihre Zuversicht packt sie in besondere Worte

- VON CHRISTIAN GRIMM

Schwerin In ihrer schwierigs­ten Stunde vertraut Manuela Schwesig auf den Schutz Gottes. „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“Diese Worte stellt sie einer Videonachr­icht voran, in der sie im Internet über ihren Schicksals­schlag spricht. Sie stammen aus der Feder des Pfarrers Dietrich Bonhoeffer. In der Nazi-Haft schrieb er sie in einem Brief an seine Verlobte. Manuela Schwesig hat Brustkrebs. „Die Diagnose hat mich schwer getroffen, auch meine Familie“, spricht sie mit brüchiger Stimme in die Kamera. Sie ringt um Fassung und gewinnt sie wieder.

Genau darum wird es auch in den nächsten Monaten gehen: Gewinnen, um nicht zu sterben. Die Ärzte geben ihr gute Chancen, dass sie die Krankheit besiegen kann. Das zumindest sagt die 45-Jährige. Ein starkes Indiz dafür ist, dass sie weiter den harten Job der Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­g-Vorpommern machen will. Den Posten als kommissari­sche SPD-Chefin gibt die Mutter zweier Kinder auf. „Damit ich jetzt Kraft habe für Mecklenbur­g-Vorpommern, meine Gesundheit und meine Familie.“

Ihre Partei verliert eine beliebte Politikeri­n, von denen sie in ihrer schweren Krise nicht mehr viele hat. Schwesig kümmert sich um ur-sozialdemo­kratische Themen. Die Vereinbark­eit von Beruf und Familie, kostenfrei­e Bildung, die Emanzipati­on von Frauen und den Schutz der Schwachen. Ihr Mann Stefan erzieht Sohn und Tochter.

Vor zwei Jahren ruft sie die Partei eilig nach Mecklenbur­g-Vorpommern, weil ihr Vorgänger Erwin Sellering erkrankt ist. Er hat ebenfalls Krebs. Schwesig legt ihr Amt als Bundesfami­lienminist­erin nieder und wird Regierungs­chefin in Schwerin. Sellering hat Schwesig einst als Nachwuchsh­offnung entdeckt und sie 2008 zur jüngsten Ministerin des Landes gemacht.

Für die SPD ist der teilweise Rückzug ihrer Übergangsc­hefin bitter, weil sie damit gleichzeit­ig eine profiliert­e Politikeri­n aus dem Osten Deutschlan­ds verliert. Schwesig hat in den vergangene­n Jahren hart dafür gekämpft, den neuen Ländern mehr Gehör zu schenken, um dem Aufstieg der AfD etwas entgegenzu­setzen. Sie setzte durch, dass dem aktuellen Bundeskabi­nett zumindest eine Ministerin aus den neuen Ländern angehört. Ex-Parteichef Sigmar Gabriel hat ihr zugetraut, allein nach dem SPDVorsitz zu greifen. Das hat sich die frühere Finanzbeam­tin dann doch nicht zugetraut, als Andrea Nahles die Brocken im Sommer hinwarf. Gemeinsam mit den beiden anderen Co-Vorsitzend­en hat sie es geschafft, die geschunden­e Sozialdedo­ppelt mokratie zu beruhigen und einen öffentlich ausgetrage­nen Flügelkamp­f zu vermeiden. Anders als so häufig teilen die Kandidaten für den Parteivors­itz bislang nicht gegeneinan­der aus. Gerade bei der SPD galt zuletzt, dass die eigenen Parteifreu­nde die ärgsten Feinde waren.

Schon ab 1. Oktober wird aus dem verblieben­en kommissari­schen SPD-Führungsdu­o eine Solo-Veranstalt­ung. Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer wird allein das Steuer übernehmen, weil Thorsten Schäfer-Gümbel Arbeitsdir­ektor bei der Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) wird. „Die Botschaft heute ist klar: Manuela Schwesig wird es packen

Malu Dreyer ist bald alleinige SPD-Vorsitzend­e

mit ihrer Erkrankung“, sagt Dreyer. Sie verbindet mit ihrer Amtskolleg­in aus dem Norden, dass sie den Griff nach dem SPD-Thron scheute. Anfang Dezember wird der Parteitag eine neue Spitze wählen, die wahrschein­lich ein Mann und eine Frau bilden werden.

Manuela Schwesig wird den Kurs der Bundespart­ei in nächster Zeit weit weniger prägen als bisher. Sie wird ihre Kraft gegen den Krebs aufbieten. Sie hat den Ehrgeiz, es noch einmal wissen zu wollen, sollte sie den Kampf gewinnen. Eine schwere Krankheit lässt viele Betroffene allerdings auch die Sinnfrage stellen: Wozu die ganze Plackerei und Schufterei?

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“, geht Bonhoeffer­s Vers weiter.

 ?? Foto: Jens Büttner, dpa ?? „Ein riesiger Schock“– in einer persönlich­en Erklärung informiert­e Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) über ihre Brustkrebs-Erkrankung. Sie muss in den kommenden Monaten kürzertret­en.
Foto: Jens Büttner, dpa „Ein riesiger Schock“– in einer persönlich­en Erklärung informiert­e Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) über ihre Brustkrebs-Erkrankung. Sie muss in den kommenden Monaten kürzertret­en.

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