Der Krebs raubt der SPD ein politisches Talent
Wegen der Diagnose zieht sich Manuela Schwesig aus der Parteispitze zurück. Aber sie glaubt an eine Heilung und will Ministerpräsidentin bleiben. Ihre Zuversicht packt sie in besondere Worte
Schwerin In ihrer schwierigsten Stunde vertraut Manuela Schwesig auf den Schutz Gottes. „Von guten Mächten wunderbar geborgen.“Diese Worte stellt sie einer Videonachricht voran, in der sie im Internet über ihren Schicksalsschlag spricht. Sie stammen aus der Feder des Pfarrers Dietrich Bonhoeffer. In der Nazi-Haft schrieb er sie in einem Brief an seine Verlobte. Manuela Schwesig hat Brustkrebs. „Die Diagnose hat mich schwer getroffen, auch meine Familie“, spricht sie mit brüchiger Stimme in die Kamera. Sie ringt um Fassung und gewinnt sie wieder.
Genau darum wird es auch in den nächsten Monaten gehen: Gewinnen, um nicht zu sterben. Die Ärzte geben ihr gute Chancen, dass sie die Krankheit besiegen kann. Das zumindest sagt die 45-Jährige. Ein starkes Indiz dafür ist, dass sie weiter den harten Job der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern machen will. Den Posten als kommissarische SPD-Chefin gibt die Mutter zweier Kinder auf. „Damit ich jetzt Kraft habe für Mecklenburg-Vorpommern, meine Gesundheit und meine Familie.“
Ihre Partei verliert eine beliebte Politikerin, von denen sie in ihrer schweren Krise nicht mehr viele hat. Schwesig kümmert sich um ur-sozialdemokratische Themen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, kostenfreie Bildung, die Emanzipation von Frauen und den Schutz der Schwachen. Ihr Mann Stefan erzieht Sohn und Tochter.
Vor zwei Jahren ruft sie die Partei eilig nach Mecklenburg-Vorpommern, weil ihr Vorgänger Erwin Sellering erkrankt ist. Er hat ebenfalls Krebs. Schwesig legt ihr Amt als Bundesfamilienministerin nieder und wird Regierungschefin in Schwerin. Sellering hat Schwesig einst als Nachwuchshoffnung entdeckt und sie 2008 zur jüngsten Ministerin des Landes gemacht.
Für die SPD ist der teilweise Rückzug ihrer Übergangschefin bitter, weil sie damit gleichzeitig eine profilierte Politikerin aus dem Osten Deutschlands verliert. Schwesig hat in den vergangenen Jahren hart dafür gekämpft, den neuen Ländern mehr Gehör zu schenken, um dem Aufstieg der AfD etwas entgegenzusetzen. Sie setzte durch, dass dem aktuellen Bundeskabinett zumindest eine Ministerin aus den neuen Ländern angehört. Ex-Parteichef Sigmar Gabriel hat ihr zugetraut, allein nach dem SPDVorsitz zu greifen. Das hat sich die frühere Finanzbeamtin dann doch nicht zugetraut, als Andrea Nahles die Brocken im Sommer hinwarf. Gemeinsam mit den beiden anderen Co-Vorsitzenden hat sie es geschafft, die geschundene Sozialdedoppelt mokratie zu beruhigen und einen öffentlich ausgetragenen Flügelkampf zu vermeiden. Anders als so häufig teilen die Kandidaten für den Parteivorsitz bislang nicht gegeneinander aus. Gerade bei der SPD galt zuletzt, dass die eigenen Parteifreunde die ärgsten Feinde waren.
Schon ab 1. Oktober wird aus dem verbliebenen kommissarischen SPD-Führungsduo eine Solo-Veranstaltung. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer wird allein das Steuer übernehmen, weil Thorsten Schäfer-Gümbel Arbeitsdirektor bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wird. „Die Botschaft heute ist klar: Manuela Schwesig wird es packen
Malu Dreyer ist bald alleinige SPD-Vorsitzende
mit ihrer Erkrankung“, sagt Dreyer. Sie verbindet mit ihrer Amtskollegin aus dem Norden, dass sie den Griff nach dem SPD-Thron scheute. Anfang Dezember wird der Parteitag eine neue Spitze wählen, die wahrscheinlich ein Mann und eine Frau bilden werden.
Manuela Schwesig wird den Kurs der Bundespartei in nächster Zeit weit weniger prägen als bisher. Sie wird ihre Kraft gegen den Krebs aufbieten. Sie hat den Ehrgeiz, es noch einmal wissen zu wollen, sollte sie den Kampf gewinnen. Eine schwere Krankheit lässt viele Betroffene allerdings auch die Sinnfrage stellen: Wozu die ganze Plackerei und Schufterei?
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag“, geht Bonhoeffers Vers weiter.