Der VW-Chef und seine härteste Kritikerin
Tina Velo ist Klima-Aktivistin. Bei einer Diskussion forderte sie Herbert Diess heraus. Dem machte das sogar Spaß
Frankfurt am Main Tina Velo könnte auch Franziska Fahrrad oder Elvira E-Roller heißen. Die Frau mit dem langen, brünetten Haar tritt in der Öffentlichkeit mit einer Art Künstlernamen auf. Velo ist Klima-Aktivistin und Sprecherin der auf dem Gebiet kämpferisch auftretenden Initiative „Sand im Getriebe!“. Sie und ihre Mitstreiter wollen am Sonntag die Zugänge zur Internationalen Automobilausstellung IAA in Frankfurt blockieren. Velo ist 33.
Der angekündigte Akt des „zivilen Ungehorsams“erinnert an die widerständigen Taten Umwelt- und Friedensbewegter, die in den 80er Jahren etwa als Gegner atomarer westlicher Nachrüstung immer wieder die Zufahrt zum früheren USStützpunkt im baden-württembergischen Mutlangen blockiert haben. Töchter und Söhne dieser Widerstandsgeneration sind heute zum Teil in der Klimabewegung aktiv. Nach Energiekonzernen wie RWE, die nach wie vor auf Kohle setzen, greifen sie nun offener und hartnäckiger Autohersteller an. Velo nannte letztere Branche „hochgradig kriminell“. Sie sprach von „völlig unfähigen Verkehrsministern“, bezeichnete den Amtsinhaber Andreas Scheuer als „Auto-Verkaufsminister“, ja kritisierte den Wirtschaftszweig als „mafiös gestricktes Konglomerat“. Deshalb sagte Velo: „Wir sind bereit, die Grenze des legalen Protestes zu übertreten und mit unseren Körpern die Zugänge zur IAA zu blockieren.“Bei einem derart klaren Vorsatz ist ein Pseudonym von Vorteil. Die Eltern-Generation pflegte sich bei derlei Anlässen zu vermummen. Doch Details der Aktion am Sonntag verriet Velo nicht. Selbst Volkswagen-Chef Herbert Diess schaffte das trotz seiner einfühlsamen Art, mit der er auf die Revoluzzerin einging, nicht.
Der 60-Jährige gehört zur VaterGeneration der Velos und ihrer Freunde. Obwohl der Auto-Freund weiß, dass die Frau wohl seine derzeit härteste Kritikerin ist, wagte er sich in den Ring mit der Aktivistin. Der Ring war ein Raum in Frankfurt, wo vor der offiziellen Eröffnung der IAA am Donnerstag schon Journalisten über neue Fahrzeuge informiert werden. Als Ringrichter fungierte Malte Kreutzfeldt, Wirtschaftsund Umweltredakteur der linksalternativen Zeitung taz. Er musste aber kaum eingreifen.
Diess, heißt es aus seinem Umfeld, machten solche Diskussionsrunden Spaß. Doch trifft das auch auf eine Konfrontation mit einer Frau zu, die ihn und seine Berufsgenossen letztlich kriminelle Umwelttaten attestiert? Der in München geborene VW-Chef vermittelte während des Streitgesprächs aber den Eindruck, als ob er gerade am liebsten dieser Frau gegenübersitze und sich von ihr attackieren lasse.
Dabei blieb der einstige BMWVorstand – als ob er sich genau das zum Vorsatz gemacht hätte – gelassen. Er stritt sich mit Velo, ohne zu Kraftausdrücken zu greifen, die gerade das Bayerische im Überfluss zur Verfügung stellt. Diess lächelte die Provokateurin an, beugte sich öfter ein wenig väterlich zu ihr rüber. Allenfalls sagte er wiederholt zu der Frau: „Da tun Sie uns unrecht.“
Velo reizte derart viel Entspanntheit ihres Gegenübers umso mehr. Sie schaute den Mann mit ihren dunklen, groß wirkenden Augen ungläubig wie einen etwas kurios wirkenden Onkel an, nicht aber ohne gelegentlich das Lächeln ihres Gegenübers zu erwidern. Dabei fuhr sich Velo schon mal durch das Haar, atmete tief durch und rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, gerade wenn Diess als Gegner der Kohlekraft, leidenschaftlicher Fahrradfahrer und größter Fürsprecher der E-Mobilität in Deutschland zu punkten versuchte. Dann rechnete die Klimaaktivistin mit dem AutoMann ab: Sie unterstellte ihm, das neue Elektroauto ID.3 sei nur ein „Feigenblatt“und VW betreibe „Greenwashing“, versuche also, sich ökologisch reinzuwaschen. Dabei sind selbst die Elektro-Autos nicht nach dem Geschmack der Umweltbewegten. Die Frau machte ihrem Fantasienamen „Velo“alle Ehre, träumt sie doch von einer Welt, in der viele mit Rädern unterwegs sind und in der mehr Straßenbahnen sowie Elektrobusse fahren. Autos sind dann fast nur noch als Krankentransporter gefragt. Velo will den öffentlichen Raum, der für sie von Autos zugeparkt ist, für Menschen zurückerobern. „Ich sehne mich wieder nach Stille in der Nacht“, sagte sie. Bald ist klar: Die Frau verfolgt einen Traum, der dem Geschäftsmodell des VW-Bosses fundamental entgegenläuft.
Diess musste also Einspruch erheben, hat Velo doch der individuellen automobilen Mobilität den
Kritik an Verkehrsminister Andreas Scheuer
Die Klima-Aktivistin verfolgt einen Traum
Kampf angesagt. Ob sie denn an die Menschen auf dem Land denke, will der VW-Lenker wissen, und auch, inwiefern sie die vielen Arbeitsplätze der Branche berücksichtige.
Velo ist um keine Antwort verlegen. Sie deutete den Plan einer massenhaften beruflichen Umorientierung an, schließlich seien in ihrer Welt mehr Busfahrer gefragt. Und Deutschland brauche deutlich mehr Kräfte, die kranke sowie alte Menschen pflegen. Mit der Utopie kann Diess dann bei allem Verständnis für platzfressende Autos in Großstädten nichts anfangen. Am Ende sagte er einen Satz, wie er einem Vertreter seines Fachs gut zu Gesicht steht: „Das Auto bleibt Ausdruck persönlichen Lebensstils.“Velo lächelte den Mann süffisant an und stichelte: „In Ihrer Generation vielleicht schon.“Am Ende des Streitgesprächs schien doch noch ein zünftiger Generationen-Konflikt möglich.
Diess lief aber nicht in die VeloFalle. Auch er hat Träume, etwa von Städten, in denen viel mehr Elektroroller und E-Busse fahren. So blieb die Eskalation aus. Der Volkswagen-Chef und seine Herausforderin gaben sich die Hand.
Der VW-Mann lächelte sie an: „Wir können uns in einem Jahr oder so wieder treffen.“Velo gab keine Zusage und sagte nur: „Wir werden auf alle Fälle demonstrieren.“