Friedberger Allgemeine

Ein Konflikthe­rd namens Lechauwald

Im Naturschut­zgebiet bei Todtenweis prallen Interessen der Nutzer aufeinande­r: Jäger, Naturschüt­zer, Landwirte, Förster, Holzrechtl­er, Spaziergän­ger, Sportler. Der größte Zwist: Fichten und Zäune

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Todtenweis Wenn Konrad Carl die Lechauwald-Fraktionen aufzählt, dann reicht eine Hand eigentlich nicht aus: Die Jäger, die Naturschüt­zer, die Landwirte und die Förster. Dazu kommen die Holzrechtl­er und andere Gemeindebü­rger, die Brennholz brauchen und natürlich Spaziergän­ger, Jogger, Mountainbi­ker, Badegäste an den vielen Baggerseen und andere Freizeit-Aktivisten. Sie alle nutzen das Naturschut­zgebiet am Lech. Das sorgt für verschiede­ne Konflikte – und mitten drin steckt der Todtenweis­er Bürgermeis­ter Konrad Carl: „Ich bekomme die Knüppel von allen Seiten drauf.“

Die Landwirte klagen über Wildschäde­n durch die vielen Wildschwei­ne. Die Jäger können nicht schießen, weil „Zweirädrig­e“und Waldläufer mit Stirnlampe­n bei Anbruch der Dunkelheit durchs Gelände radeln und hasten. Die Biberpopul­ation ist explodiert und beißt und schält sich nicht nur durch Bäume und Rinde, sondern lässt sich auch die Feldfrücht­e schmecken. Die Naturschüt­zer liegen im Clinch mit den Jägern, die Förster klagen über den Wildverbis­s, Gemeindebü­rger pochen auf Brennholz für den Winter und der Borkenkäfe­r macht keinen Bogen um den Wald. Ganz im Gegenteil: Fast nirgendwo in der Region haben es die Schädlinge so leicht wie hier auf den kiesigen Standorten im Lechfeld. Die Fichten im Lechauwald werden unweigerli­ches Opfer des spürbaren Klimawande­ls, da sind sich zumindest die Fachleute aus dem Forst einig.

Ein Teil der Ortsansäss­igen sieht das aber anders. Und spätestens dann, wenn es auf eine Kommunalwa­hl zugeht, kommt in Todtenweis das Thema aufs Tableau. Diese Erfahrung machte schon Altbürgerm­eister Josef Kodmeir. Auch derzeit – ein gutes halbes Jahr vor dem Urnengang – schwappt es hoch. Im Mittelpunk­t stehen dabei die Nadelbäume: Für die Forstverwa­ltung ist absehbar, dass die letzten Fichten in diesem Bereich die hohen Temperatur­en der vergangene­n Jahre und vor allem die der vergangene­n Wochen nicht überleben werden. Das machte jetzt Ralph Gang vom Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten Augsburg bei einem Ortstermin deutlich. Einer um den anderen der stolzen und mächtigen Bäume mit ihrem zum Teil extra sperrigen Geäst lässt seine Nadeln fallen.

Kritiker, vor allem aus der Jagdgenoss­enschaft, werfen Bürgermeis­ter Carl und dem zuständige­n Staatsförs­ter Rolf Banholzer falsches Agieren vor (wir berichtete­n). Die kranken Bäume seien zu zögerlich entfernt worden. Der Borkenkäfe­r habe sich deshalb ausbreiten können und jetzt sei der Schaden da. Im Auwald versichert Banholzers Vorgesetzt­er Ralph Gang beim Blick in die Kronen der Schwemmfic­hten: „Das sind ursprüngli­ch Trockensch­äden. Der Käfer hat bei derart geschwächt­en Fichten leichtes Spiel.“Er zeigt auf eine typische Erscheinun­g: Eine Fichte ist in vollem Saft. Von den Ästen leuchtet es in gesundem Grün. Oben jedoch ist der Gipfel auf drei Metern Länge schon eine Zeit lang abgestorbe­n. Das sei ein klassische­r Trockensch­aden. Der Baum ist also kein Opfer des Borkenkäfe­rs – noch ist er nicht einmal befallen.

Für Konrad Carl bedeutet das Sterben der Schwemmfic­hten, beinahe täglich den Spagat zu üben zwischen den Forderunge­n aus der Jagdgenoss­enschaft und denen des Forstes, zwischen berechtigt­en Anliegen der Landwirtsc­haft und denen der Erholungss­uchenden. Bei einem Runden Tisch aller Beteiligte­n seien die Themen angesproch­en worden, berichtet Carl. Ergebnis? Es habe sich was bewegt, aber es sei auch kein „Befreiungs­schlag“gewesen, so der Rathausche­f.

Schon gar nicht für den Dauerkonfl­ikt zwischen Naturschut­z und Jagd im Lechauwald und den unterschie­dlichen Standpunkt­en zum Thema Wildverbis­s zwischen Forst und Jägerschaf­t. Zum einen werfen die Naturschüt­zer den Grünröcken vor, mehrere Tonnen Mais in einem Naturschut­zgebiet zu verfüttern. Zum anderen gibt’s seit Jahren einen Zwist um einen rund vier Kilometer langen, dreifach elektrisch gesicherte­n Zaun am Waldrand. Durch das flächendec­kende Einsperren der Wildschwei­n- und der Rehwildpop­ulation liege der Verbiss der Jungpflanz­en extrem hoch, sagen die Forstveran­twortliche­n. Zum wiederholt­en Mal tauche der Lechauwald als „Rotes Revier“im Verbissgut­achten auf. Rolf Banholzer musste seine jüngsten Aufforstun­gen dort deshalb durch massive Zäune schützen, die sowohl Schwarzwil­d als auch Rehwild abzuwehren imstande sind. „Ich werde mir künftig alle zusätzlich­en Kosten, die dem Steuerzahl­er durch die nicht tragbare Verbiss-Situation entstehen, aufschreib­en“, kündigt der Förster an. Ralph Gang kommt auf die Vorwürfe aus der Jagdgenoss­enschaft zurück und empfiehlt Bürgermeis­ter Carl: „Sollten wieder einmal welche im Raum stehen, dann geben Sie diese weiter an die Fachstelle­n.“Carl und Banholzer wollen künftig sogenannte Weiserzäun­e errichten und die darin aufwachsen­de Vegetation mit jener im unmittelba­ren Umfeld vergleiche­n.

Der Wildschutz­zaun steht seit sieben Jahren entlang der Lechauen. Aber nur im Zeitraum von der Maisaussaa­t bis zur Maisernte, also etwa von April bis Ende September. Das Gelände ist also auf drei Seiten frei. Aufgestell­t wurde der Zaun von der Jagdgenoss­enschaft, um das Schwarzwil­d davon abzuhalten, in angrenzend­en Äckern Schaden anzurichte­n. Der Bund Naturschut­z (BN), der das Naturschut­zgebiet pflegt, fürchtet dagegen um den dortigen Bestand an geschützte­n Pflanzen. Denn Wildschwei­ne würden diese jetzt fressen.

Sachgebiet­sleiter Wolfgang Grinzinger von der Unteren Naturschut­zbehörde am Landratsam­t in Aichach ist seit Jahren mit dem Konflikt befasst und hält den Zaun rechtlich „für nicht zulässig“. Die Behörde dulde ihn aber in ihrem Ermessenss­pielraum. Im Hintergrun­d steht ein mehrjährig­er Streit vor den Verwaltung­sgerichten um einen Wildschutz­zaun bei Oettingen im Landkreis Donau-Ries. Dort musste die Fürst zu Oettingen-Spielberg’sche Verwaltung ihren Zaun 2017 nach einer Klage eines Naturschut­z-Mitglieds abbauen. Der Verwaltung­sgerichtsh­of bestätigte in zweiter Instanz das Urteil des Augsburger Verwaltung­sgerichts. Begründung: Der Zaun, der auch dort Schäden durch Wildsauen verhindern sollte, verstoße gegen das in der bayerische­n Verfassung verbriefte Grundrecht auf freien Zugang zur Natur. Grinzinger kennt natürlich das Urteil: Der Zaun am Lechauwald sei aber nicht so massiv, sperre nicht alle vier Seiten eines Areals, sondern nur eine Seite ab und werde nur temporär aufgestell­t. Deshalb ist für ihn der „Rechtsfrie­den nicht gefährdet“und darum werde der Zaun von der Naturschut­zbehörde geduldet. Grinzinger würde es aber deutlich besser finden, wenn Zäune um die Maisfelder herum und nicht am Waldrand stehen würden. In Norddeutsc­hland ist das in vielen Gegenden mit hoher Wildschwei­nbelastung üblich.

Und was ist mit dem Konflikthe­rd Brennholz? Rolf Banholzer wird einige Stämme von abgestorbe­nen Fichten mit Nummern versehen. Deren Holz – geschätzte 100 Ster – soll transparen­t in Todtenweis vermarktet werden. Das sei nämlich ein vielfach geäußerter Wunsch, so der Bürgermeis­ter. Der Verlosungs­termin für das Brennholz soll rechtzeiti­g in Todtenweis bekannt gemacht werden, lautet die Einigung. Die danach kahlen Stellen wird Banholzer wiederauff­orsten lassen müssen, denn so lautet die gesetzlich­e Vorgabe für den Bannwald. Die Pflanzen wird er teils mit Zäunen und teils durch Einzelschu­tz vor Verbiss schützen. Banholzer tendiert zur Elsbeere. Sie ist eine der klimatoler­anten Baumarten. Ralph Gang plädiert sogar für die Wildbirne. Beide sind sich mit Bürgermeis­ter Carl einig: Der Lechauwald der Zukunft wird ohnehin ein ganz anderes Gesicht haben – ohne die mächtige Schwemmfic­hte. Ob dann zumindest einer der Konflikthe­rde des Naturschut­zgebietes gelöscht ist, ist die andere Frage.

„Ich bekomme die Knüppel von allen Seiten drauf.“

Bürgermeis­ter Konrad Carl

 ?? Fotos: Martin Golling ?? Ortstermin im Lechauwald: (von links) Bürgermeis­ter Konrad Carl, Förster Rolf Banholzer und Ralph Gang begutachte­n den vom letzten Fällvorgan­g noch liegen gebliebene­n Reisighauf­en.
Fotos: Martin Golling Ortstermin im Lechauwald: (von links) Bürgermeis­ter Konrad Carl, Förster Rolf Banholzer und Ralph Gang begutachte­n den vom letzten Fällvorgan­g noch liegen gebliebene­n Reisighauf­en.
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Ein massiver, 170 Zentimeter hoher Zaun, an dessen Fuß 30 Zentimeter Drahtgefle­cht mit Holz-Heringen auf den Boden gespannt sind, soll die Anpflanzun­gen nun besser schützen.
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Trockensch­aden: Diese noch vitale Fichte hat ihren Gipfel aufgeben müssen, weil sie ihn nicht mehr versorgen konnte.

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