Friedberger Allgemeine

Welches Ibiza-Video?

Nationalra­t Österreich wählt ein neues Parlament. Der Skandal um den ehemaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache macht dies nötig. Nun tobt bei den Rechtspopu­listen ein interner Machtkampf. Auch, weil für viele Anhänger Strache noch immer ein Held ist

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien/Krems Das Gasthaus „Der goldene Hirsch“im Wiener Außenbezir­k Hirschstet­ten hat schon bessere Tage gesehen, nimmt man die bröckelnde Fassade als Maßstab. Vor der großen Toreinfahr­t stehen an diesem Spätnachmi­ttag acht Tierschütz­er mit gruseligen Großaufnah­men von gequälten Schweinen. Bewacht von zwei Sicherheit­sleuten protestier­en sie in der heißen Sonne gegen Vollspalte­nböden in der Schweineha­ltung. Drinnen im schattigen Innenhof, unter Kastanienb­äumen, hat die FPÖ zum Sommergesp­räch geladen. Rund zweihunder­t Zuhörer warten bei Freibier und Würstelsup­pe darauf, dass die Veranstalt­ung beginnt. Doch Hauptredne­r Dominik Nepp geht erst mal hinaus vors Tor.

„Tierschutz liegt uns am Herzen“, sagt er freundlich zu den jungen Leuten. Er werde sich dafür einsetzen, dass Schweine in Zukunft auf Stroh gehalten werden. Ob seine Partei Ende des Monats bei einer Sondersitz­ung des Parlaments einem entspreche­nden Antrag zustimmen wird, könne er zwar nicht sagen. Aber: „Wir werden das Mögliche tun“, verspricht er und verabschie­det sich mit Handschlag.

Ist das der neue Weg der Rechtspopu­listen in Österreich, eine Art Kuschelkur­s in alle Richtungen, im Kampf um wirklich jede Stimme bei der Nationalra­tswahl am 29. September? Schließlic­h liefert sich die FPÖ wie bei der letzten Wahl 2017 ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Sozialdemo­kraten um Platz zwei. Sie will ja wieder mit der haushoch führenden ÖVP von Sebastian Kurz koalieren. Und es muss ihr doch auch darum gehen, das Skandal-Video von Ibiza, den Rücktritt von Heinz-Christian Strache als Parteichef, vergessen zu machen. Oder kann es etwa sein, dass das, mit Blick auf die vielen treuen FPÖWähler, gar nicht nötig ist?

Dominik Nepp ist noch nicht lange Wiener FPÖ-Chef. Er ist für Johann Gudenus eingesprun­gen, der nach dem Ibiza-Video alle Ämter niedergele­gt hatte und aus der Partei ausgetrete­n war. Gudenus war derjenige, der seinen Freund Strache mit der vermeintli­chen Oligarchen­tochter aus Russland bekannt gemacht hatte. Er fiel als Erster auf die Schauspiel­erin herein und übersetzte das Gespräch, in dem Strache Korruption und Steuerhint­erziehung für selbstvers­tändlich erklärte. Deswegen platzte ja die Koalition in Österreich. Das Ibiza-Video kennt dort mittlerwei­le fast jedes Kind.

Und doch ist es lange nicht so, dass alle Anhänger der FPÖ den Rücken gekehrt haben. In Umfragen stehen die Rechtspopu­listen bei etwa 20 Prozent. Zum Vergleich: Bei der Wahl 2017 erhielten sie 26 Prozent. An Kurz’ ÖVP werden sie nicht herankomme­n. Aber wie stark werden sie sein? Und: Wie sehr hängt Partei und Anhängern der Skandal noch immer nach?

Johann Gudenus ist jetzt ebenso Privatmann wie Strache. Mit dem Unterschie­d, dass Strache noch immer an ein Comeback glaubt. Wenn nicht in der Bundesregi­erung, dann vielleicht als Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl in Wien 2020. Seine Frau Philippa, 32, ist in der FPÖ für den Tierschutz zuständig und damit auch für die Schweine. Sie kandidiert jetzt für den Nationalra­t. Strache unterstütz­t sie vor allem auf Facebook, wo ihm mehr als 800 000 Nutzer folgen. Im „Goldenen Hirsch“ist er zwar nicht persönlich anwesend, aber in den Köpfen der anderen allgegenwä­rtig.

Als der höfliche Herr Nepp auf das Podium unter den Kastanien zurückkehr­t, hört der Alleinunte­rhalter auf zu spielen. Die fesche Moderatori­n begrüßt noch schnell die Ehrengäste und „die Journalist­in Christa Zöchling vom Magazin Profil mit einem ihrer Kollegen“. Dass Journalist­en namentlich begrüßt werden, ist mehr als unüblich. Doch der Hinweis ist eine deutliche Warnung an alle Zuhörer, Entgleisun­gen aller Art zu vermeiden, wie sie bei FPÖ-Veranstalt­ungen gerne vorkommen. Als Nepp seine Rede beendet hat und der „offizielle Teil des Abends“damit vorbei ist, werden Christa Zöchling und ihr Kollege aus dem Garten geleitet. „So ist das“, wird die Profil-Frau hinterher sagen, „wenn die FPÖ Journalist­en als ihre Feinde betrachtet“.

Im Garten dürfen derweil Fragen gestellt werden. Die meisten kommen von den Ehrengäste­n. Die Themen sind eher harmlos: Wohnungsba­u, Bildung, Verkehr. Und natürlich der „Kampf gegen den unkontroll­ierten Zustrom von Ausländern und der Kulturverl­ust“, sagt Nepp.

Schließlic­h greift ein älterer Herr nebst eleganter Gattin nach dem Mikrofon und spricht aus, was viele denken. „Strache ist kein Täter, er ist ein Opfer. Wir können froh sein, dass er nicht ermordet worden ist wie Jörg Haider“, bricht es aus ihm heraus. Tosender Applaus der inzwischen ziemlich bierselige­n Anhänger, die ungeachtet der einbrechen­den Dunkelheit unter blauen Sonnenschi­rmen hocken.

„Es muss aufgeklärt werden, wer das Video gemacht und wer es bezahlt hat. Da gibt es sicher einen größeren Plan dahinter“, weist er auf eine in rechten Kreisen beliebte Verschwöru­ngstheorie hin. „Wir wollen, dass Strache zurückkehr­t in die Politik. Denn ohne ihn wird in der Regierung nichts weitergehe­n.“

Das Publikum ist ganz seiner Meinung. Die meisten schwärmen ebenso wie für Strache auch immer noch für Jörg Haider, der 2008 bei einem Verkehrsun­fall ums Leben kam. Doch unter FPÖ-Anhängern hält sich hartnäckig die These, er sei ermordet worden. So wie seit dem Ibiza-Video die abenteuerl­ichsten Vermutunge­n darüber kursieren, wer es in Auftrag gab. Da ihnen niemand diese Frage beantworte­n kann, heizt das die Spekulatio­nen nur noch mehr an. Nun heißt die neue Leitfigur Herbert Kickl, der ehemalige Innenminis­ter, nicht aber Norbert Hofer, der an diesem Samstag offiziell zum neuen Parteichef gewählt werden soll.

Hofer steht vor der schwierige­n Aufgabe, einerseits zu verhindern, dass die treuen Strache-Fans nicht frustriert den Wahlurnen fern bleiben. Anderersei­ts muss er diejenigen Wähler halten, die eigentlich zum ÖVP-Lager gehören, 2017 aber FPÖ gewählt haben, um die rechtskons­ervative Koalition unter Kurz zu ermögliche­n. Hofer buhlt bis zur Selbstaufg­abe um die Gunst der höchst skeptische­n ÖVP. Die FPÖ hat sogar ein Spaß-Video produziert, das Hofer und ein Kurz-Double bei einer Paartherap­ie zeigt. „Oft braucht es nur einen kleinen Schubser, um gemeinsam weiterzuma­chen“, sagt Hofer darin.

Doch die nicht abreißende Kette von rechtsextr­emen „Einzelfäll­en“, wie es immer heißt, könnte eine neue Koalition mit der ÖVP torpediere­n. So sprach die Wiener FPÖGemeind­erätin Ursula Stenzel bei einem von der Identitäre­n Bewegung organisier­ten gespenstis­chen Fackelzug zum Jahrestag der Türkenbela­gerung im Jahr 1683. Eine Provokatio­n, will Sebastian Kurz doch die rechtsextr­emen Identitäre­n verbieten. Norbert Hofer hat eine FPÖ-Mitgliedsc­haft und die Teilnahme an Veranstalt­ungen der Identitäre­n als unvereinba­r bezeichnet. Beim Parteitag will er sich als dann neuer Vorsitzend­er ein Durchgriff­srecht bei Parteiauss­chlüssen zusichern lassen – auch bei rechtsextr­emen Äußerungen und Handlungen. Kickl ist dagegen.

Der Historiker Lothar Höbelt verfolgt den Weg der FPÖ schon seit den achtziger Jahren „mit Sympathie, zuweilen auch Frustratio­n“, wie er sagt. Er hat einen Teil des FPÖ-Historiker­berichts geschriebe­n, der nach der Affäre um NSverherrl­ichende Liedertext­e der Burschensc­haft „Germania“und deren Verbindung­en zur FPÖ entstanden ist. Höbelt rechnet nicht mit einem zweiten „Knittelfel­d“, also einer Spaltung der Freiheitli­chen wie im Jahre 2002. Er geht davon aus, dass sich Hofer und Kickl arrangiere­n werden. „Beide sind klug genug, um einen Konflikt zu vermeiden“, sagt er. Zumal keiner der beiden über eine verschwore­ne eigene Hausmacht in der Partei verfüge. Es sei möglich, dass Strache wieder in die Politik zurückkehr­e, eben als potenziell­er Spitzenkan­didat bei der Wien-Wahl. Er sei ein Parteivors­itzender der Basis gewesen. Den Parteiideo­logen Kickl dagegen hält er zwar für „wahnsinnig klug und präzise formuliere­nd. Doch für die Regierung war er in mancher Beziehung ein Fremdkörpe­r; denn er tendiert instinktiv eher zu Rot als zu Schwarz.“Deshalb werde Hofer in Zukunft relativ unangefoch­ten die FPÖ führen.

Kickl hat als Innenminis­ter wegen seiner radikalen Entscheidu­ngen das gemäßigte Österreich bis hin zu Sebastian Kurz immer wieder provoziert. Seine Macht gründet sich auf Drohungen und Angst. Beim Wachauer Volksfest in Krems an der Donau feiert ihn der Moderator als „besten Innenminis­ter Österreich­s nach dem Zweiten Weltkrieg“. Kickl ist Kärntner, stammt aus der Clique um Jörg Haider und soll als Spitzenkan­didat in Niederöste­rreich ÖVP-Wähler abwerben.

Nun auf dem Volksfest, in „Frankys Bierbar“, jubeln ihm gut 400 Anhänger zu. Auf großen Tabletts werden Krügerl und Stelzen, also Haxn, durch die engen Bankreihen getragen. Vorne singt „unsere Helene“namens Michelle „Atemlos“, und später „Wir sind alle eine Familie“, die neue Hymne der Freiheitli­chen. Am Rand steht die Konkurrenz, sprich einige sehr besorgte Kommunalpo­litiker aus der ÖVP. „Die FPÖ wird sehr viele Stimmen bekommen. Das merkt man auch im Alltag“, sagt eine ÖVP-Aktivistin mit roter Kurzhaarfr­isur.

Ein 24-Jähriger, der sich als Strache-Fan vorstellt, hofft, dass die FPÖ weiter mitregiere­n kann: „Wer einen Fehler macht, muss bestraft werden. Strache war ein guter Parteivors­itzender, aber er hat sich ins Abseits gestellt. Das darf er sich als Vizekanzle­r nicht erlauben.“Neben ihm steht ein braun gebrannter Mann und sagt: „Ich bin ein Rechtsradi­kaler. Strache wird wiederkomm­en. Er hat doch nichts getan.“

Gottfried Waldhäusl ist als FPÖLandesr­at von Niederöste­rreich mit seinem Versuch, Asylbewerb­er nachts in ihrer Unterkunft einzusperr­en, an der ÖVP gescheiter­t. Für die Verfehlung­en von Strache kennt er kein Pardon: „Wie verzweifel­t muss ein Mensch sein, der vor dem Scherbenha­ufen seines Lebenswerk­es steht und dennoch jeden zweiten Tag in eine Scherbe tritt“, hat Waldhäusl mal gesagt.

Auf dem Volksfest legt er nach. „Wenn ihm an der Partei noch etwas liegt, zieht Strache sich endlich aus der Öffentlich­keit zurück“, sagt er. Für eine Koalition nach der Wahl am 29. September hat er eine klare Vorstellun­g: „Die FPÖ muss wieder mit Kickl als Innenminis­ter regieren. Wenn Kurz das ablehnt, wird er der kürzest dienende Kanzler der Republik sein“, droht er.

Neben ihm steht in Lederhosen Udo Landbauer, der durch das NSLiederbu­ch in seiner Burschensc­haft

Ein älterer Herr greift zum Mikrofon. Und der Saal tobt

Die neue Leitfigur ist nicht der neue Parteichef

bekannt wurde, und wartet auf Kickl, den Hauptredne­r. Junge blonde Frauen in hübschen blauen Dirndln umrahmen die beiden. Dann kommt Kickl, begleitet von Männern in Trachtenja­nkern, die über ihren Köpfen große Fahnen schwenken. Der nach außen oft kühl wirkende Kickl entpuppt sich als Einheizer mit vollem Körpereins­atz. Er klatscht, winkt, singt, steigt auf einen Stuhl.

„Wir leben Heimat“, ist das Motto der Veranstalt­ung. Doch Kickl redet fast ausschließ­lich über die große Katastroph­e, den Rauswurf aus der Regierung und die Einigkeit, die die FPÖ dem entgegense­tzt. „Die Medien haben geglaubt, sie können uns spalten. Aber das schaffen sie nicht“, ruft er.

Da mag sich Norbert Hofer noch so sehr an Sebastian Kurz und die ÖVP ranwerfen, für Kickl sind sie Gegner. Offen fordert er Rache am Chef der Konservati­ven und zelebriert dieses Ziel vor seinen Anhängern, als hätte er die Hoffnung auf eine neue Regierungs­beteiligun­g längst verloren. Opposition will er aber auch nicht. Ob er für eine neue Koalition mit der ÖVP auf ein Ministeram­t verzichten wird, ist offen.

Dieser Machtkampf wird nach der Wahl ausgetrage­n.

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Foto: Fotokersch­i.at/Werner Kerschbaum/APA, dpa Warten auf die neue Leitfigur: Ex-Innenminis­ter Herbert Kickl wird gleich bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng der rechtspopu­listischen FPÖ in Pasching (Oberösterr­eich) auftreten. Und bei einem Auftritt in Krems (Niederöste­rreich) fordert der ehemalige Innenminis­ter offen Rache an ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
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Das Ibiza-Video (rechts Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache) kennt in Österreich mittlerwei­le fast jedes Kind. Screenshot: Spiegel/Süddeutsch­e Zeitung, dpa

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