Bleiben die Zinsen jetzt so niedrig?
Der Chef der Europäischen Zentralbank bringt deutsche Sparer gegen sich auf. Warum Experten seinen Kurs trotzdem verteidigen und wer davon profitiert
Frankfurt Mario Draghi, hat es schon wieder getan: Kurz, bevor seine Zeit an der Spitze der Europäischen Zentralbank endet, hat der Italiener die Sparer noch einmal gegen sich aufgebracht. Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Die EZB wird in Zukunft jeden Monat Anleihen im Wert von 20 Milliarden Euro kaufen. Zudem müssen Banken höhere Strafzinsen bezahlen, wenn sie ihr Geld bei der Notenbank einlagern wollen. Warum das die Sparer so in Rage bringt? Weil sie schon jetzt fast keine Zinsen mehr auf ihre Ersparnisse bekommen. Und weil sich das – dank Draghis wohl letzter wegweisender Entscheidung – erst mal nicht ändern wird.
„Aktuell gehen wir davon aus, dass diese Niedrigzinsphase noch einige Jahre anhalten wird“, sagt Andreas Wex, Leiter der Kapitalmarktstrategie bei der Commerzbank. Für Sparer ist das doppelt problematisch, weil sie einerseits keine Zinsen auf ihr Geld bekommen, andererseits aber die Preise steigen. Im August lag die Inflatiin Deutschland bei 1,4 Prozent. Übersetzt heißt das: Wer 100 Euro auf sein Konto gelegt hat, kann sich nun noch Waren im Wert von 98,60 Euro kaufen. Deshalb sagt Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts: „Die Sparer sind die Hauptverlierer.“Warum also macht Draghi das? Weil er gar nicht möchte, dass Menschen, Unternehmen und Staaten sparen. „Die Sparer sollen ihr Geld in Aktien und Immobilien investieren oder konsumieren und damit Unternehmen veranlassen, mehr zu investieren“, erklärt Fuest. Deshalb zählen auch all jene, die gerade Schulden aufnehmen, zu den Gewinnern: Kredite bleiben günstig. Der Commerzbank-Experte Wex sagt: „Insbesondere Häuslebauer und -käufer profitieren.“Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sieht Draghis Entscheidung positiv. Die EZB komme damit ihrem Auftrag nach. „Und gerade die Mittelschicht profitiert, weil sie Geld in eine Immobilie als Wertanonsrate lage investieren kann“, sagt er. Deutschland sei ein Land mit einer sehr geringen Eigentumsquote. „Gerade einmal 45 Prozent der Deutschen sind Immobilienbesitzer. In anderen Ländern liegen die Quoten bei 70 bis 80 Prozent.“
Die EZB möchte die Konjunktur ankurbeln. In Deutschland ist die Wirtschaft zwei Quartale in Folge geschrumpft. „Die Risiken für die Konjunktur sind enorm“, sagt Fratzscher. Er zählt auf: der Brexit, der drohende Abschwung in den USA, die instabile italienische Wirtschaft. Um den Euroraum dagegen zu wappnen, hat sich die EZB entschieden, mehr günstiges Geld in den Markt zu pumpen. Damit sollen Investitionen finanziert werden. Denn würden Unternehmen und Verbraucher mehr Geld ausgeben als sparen, käme die Wirtschaft wieder in Gang, argumentiert der Experte. Und irgendwann stiegen dann auch die Zinsen wieder an. Auch Fuest verteidigt Draghi: „Wir alle sind ja nicht nur Sparer, sondern auch Erwerbstätige, und in dieser Funktion haben wir ein Interesse an der Stimulierung der Konjunktur.“