Friedberger Allgemeine

Bleiben die Zinsen jetzt so niedrig?

Der Chef der Europäisch­en Zentralban­k bringt deutsche Sparer gegen sich auf. Warum Experten seinen Kurs trotzdem verteidige­n und wer davon profitiert

- VON CHRISTINA HELLER

Frankfurt Mario Draghi, hat es schon wieder getan: Kurz, bevor seine Zeit an der Spitze der Europäisch­en Zentralban­k endet, hat der Italiener die Sparer noch einmal gegen sich aufgebrach­t. Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Die EZB wird in Zukunft jeden Monat Anleihen im Wert von 20 Milliarden Euro kaufen. Zudem müssen Banken höhere Strafzinse­n bezahlen, wenn sie ihr Geld bei der Notenbank einlagern wollen. Warum das die Sparer so in Rage bringt? Weil sie schon jetzt fast keine Zinsen mehr auf ihre Ersparniss­e bekommen. Und weil sich das – dank Draghis wohl letzter wegweisend­er Entscheidu­ng – erst mal nicht ändern wird.

„Aktuell gehen wir davon aus, dass diese Niedrigzin­sphase noch einige Jahre anhalten wird“, sagt Andreas Wex, Leiter der Kapitalmar­ktstrategi­e bei der Commerzban­k. Für Sparer ist das doppelt problemati­sch, weil sie einerseits keine Zinsen auf ihr Geld bekommen, anderersei­ts aber die Preise steigen. Im August lag die Inflatiin Deutschlan­d bei 1,4 Prozent. Übersetzt heißt das: Wer 100 Euro auf sein Konto gelegt hat, kann sich nun noch Waren im Wert von 98,60 Euro kaufen. Deshalb sagt Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts: „Die Sparer sind die Hauptverli­erer.“Warum also macht Draghi das? Weil er gar nicht möchte, dass Menschen, Unternehme­n und Staaten sparen. „Die Sparer sollen ihr Geld in Aktien und Immobilien investiere­n oder konsumiere­n und damit Unternehme­n veranlasse­n, mehr zu investiere­n“, erklärt Fuest. Deshalb zählen auch all jene, die gerade Schulden aufnehmen, zu den Gewinnern: Kredite bleiben günstig. Der Commerzban­k-Experte Wex sagt: „Insbesonde­re Häuslebaue­r und -käufer profitiere­n.“Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, sieht Draghis Entscheidu­ng positiv. Die EZB komme damit ihrem Auftrag nach. „Und gerade die Mittelschi­cht profitiert, weil sie Geld in eine Immobilie als Wertanonsr­ate lage investiere­n kann“, sagt er. Deutschlan­d sei ein Land mit einer sehr geringen Eigentumsq­uote. „Gerade einmal 45 Prozent der Deutschen sind Immobilien­besitzer. In anderen Ländern liegen die Quoten bei 70 bis 80 Prozent.“

Die EZB möchte die Konjunktur ankurbeln. In Deutschlan­d ist die Wirtschaft zwei Quartale in Folge geschrumpf­t. „Die Risiken für die Konjunktur sind enorm“, sagt Fratzscher. Er zählt auf: der Brexit, der drohende Abschwung in den USA, die instabile italienisc­he Wirtschaft. Um den Euroraum dagegen zu wappnen, hat sich die EZB entschiede­n, mehr günstiges Geld in den Markt zu pumpen. Damit sollen Investitio­nen finanziert werden. Denn würden Unternehme­n und Verbrauche­r mehr Geld ausgeben als sparen, käme die Wirtschaft wieder in Gang, argumentie­rt der Experte. Und irgendwann stiegen dann auch die Zinsen wieder an. Auch Fuest verteidigt Draghi: „Wir alle sind ja nicht nur Sparer, sondern auch Erwerbstät­ige, und in dieser Funktion haben wir ein Interesse an der Stimulieru­ng der Konjunktur.“

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