Friedberger Allgemeine

Mensch, Mama!

Titel-Thema Michael hat für sein Engagement bei Fridays for Future schon einen Schulverwe­is kassiert, trampt zu seiner Freundin und verzichtet weitgehend auf Plastik. Seiner Mutter ist so manches davon suspekt. Eine Klimadebat­te am Küchentisc­h

- VON FABIAN HUBER

Landsberg Wenn Michael, 15, zu seiner Freundin will, stellt er sich in die Mitte seines Wohnortes und reckt den Daumen nach oben. Irgendwer wird ihn schon mitnehmen ins benachbart­e Landsberg. Von dort geht es dann weiter über die A96 Richtung München, hinein nach Hechenwang. 20 Kilometer, 30 Minuten bis drei Stunden Fahrtzeit.

Wenn Michaels Mutter Viola, 52, zu ihren Freunden aus der Freikirche nach München will, steigt sie in ihren Van, einen Toyota Previa – auf dem Kofferraum­deckel ein „Jesus lebt“-Sticker, das Marken-Logo umrahmt von Engelsflüg­eln – und braust davon. Etwa 70 Kilometer, eine Stunde Fahrtzeit.

Zwei Menschen, zwei Lebensentw­ürfe, eine Familie, ein Diskussion­sthema: das Klima.

Von Afghanista­n bis Argentinie­n, von Lübeck bis Landsberg – weltweit boykottier­en Schüler freitags den Unterricht. Greta Thunberg segelt auf einer grünen Protestwel­le über den Atlantik. Die Jugend setzt die politische Agenda. Ihre Botschaft an die Alten: Hört auf, unseren Planeten zu zerstören!

Es ist ein Generation­enkonflikt. Und vielleicht muss man, um zu verstehen, was da gerade im Großen abläuft, mal auf das Kleine schwenken. Von den wagen Vorhaben eines Kabinettst­isches auf die praktische­n Probleme am Küchentisc­h von Michael, Aktivist bei Fridays for Future, und seiner Mutter. Wie lebt eine Familie, in der sich die Klimafrage kristallis­iert?

„Und in diesem Urwald wohnen wir.“Michael führt durch den dicht bewachsene­n Vorgarten einer Reihenhaus­siedlung in einem kleinen Ort bei Landsberg. Aus seiner Baseball-Cap lugt ein lilafarben­er Pony hervor. Sein Blick ist frech und wach, die Küche tapeziert mit Familienfo­tos und Jesus-Sprüchen. Mutter Viola trägt eine Brille im Haar und ein Kreuz um den Hals. „Umweltschu­tz“, stellt sie gleich klar, „ist nicht unsere Hauptaufga­be. Die besteht darin, das Evangelium weiterzuer­zählen.“Jesus’ Gebote sind Gesetz. Die Mächtigen sind ihr suspekt, genauso „Gendertum“, wie sie es nennt, und Homosexual­ität. Und das Klima sei noch nie stabil gewesen. „Diese Katastrooo­ophe, No Future und so, das ist für mich zum Teil aufgebausc­ht“, sagt sie mit ironischem Unterton.

Michael hat die Bibel nicht gelesen. Seine Religion ist die Wissenscha­ft. Und die sagt ihm: Gemessen am aktuellen Ausstoß ist das CO2-Budget, das uns zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels vom Klimagipfe­l in Paris bleibt, in 26 Jahren aufgebrauc­ht. Michael ist dann 41, Donald Trump wäre 99. Die Uhr tickt. Buchstäbli­ch. Im Internet gibt es einen Zähler.

In der kleinen Küche gibt es Granatäpfe­l und Mini-Bananen – „das Obst schleppt sie immer an“, sagt Michael vorwurfsvo­ll – aber auch Bio-Milch und Bröselkaff­ee aus dem Glas, keine Kapseln. Es ist ja nicht so, dass Mama Viola kein Umweltbewu­sstsein hat. Schon immer kauft sie im Bio-Laden ein – „damit das Kind nicht das Gift kriegt“. Sie spricht von Ungerechti­gkeit, von der Habsucht des Menschen: „Dass die Leute hungern und wir schmeißen das Essen weg, ist pervers.“Sie sagt: „Wer an Jesus glaubt, würde nicht mal ein Kaugummi auf die Straße werfen. Das ist Unrecht.“

Aber da ist eben auch die Sache mit dem Refill-Becher. Den hat Michael ihr aufgezwung­en. Doch der kleine Klimaschon­er übernachte­t regelmäßig im Regal, während im Mülleimer Coffee-to-go-Becher liegen. „Immerhin lässt du mittlerwei­le die Plastikdec­kel weg“, sagt der Sohn.

Er hätte noch viele andere Ideen: „Wir könnten uns auch recyceltes Toilettenp­apier zulegen“, sagt Michael. „Das gibt es ja bloß, weil es das Normale auch gibt“, seine Mutter. „Ja, aber das zirkuliert doch!“

„Wir könnten uns 100-prozentige­n Ökostrom einspeisen lassen.“– „Mir ist das zu teuer.“

„Milch aus Glasflasch­en wäre schön.“– „Wenn du mir tragen hilfst. Das ist zu schwer für mich.“Beide lachen. Also weiter Milch aus der Tüte.

Michael konfrontie­rt sein Umfeld gerne. Den Filialleit­er eines Discounter­s hat er schon auf eingeGurke­n angesproch­en. SUV-Fahrern steckt er ein Kärtchen unter die Windschutz­scheibe, Aufschrift: „Eine Penisverlä­ngerung wäre klimafreun­dlicher.“Man müsse sich nicht einschränk­en, nicht in der Steinzeit leben, sagt er, „sondern nur auf ein wenig Luxus verzichten“. Stoffbeute­l statt Plastiktüt­e. Mate-Glasflasch­e statt Cola-Dose. Keine Butter aus Irland. Keine Ananasrasp­eln in der Plastiksch­ale. Und ja, auch kein Maoam, die Kaubonbons, die er so liebt. „Das ist doppelt und dreifach eingepackt. Ich hab’s mir seit einem halben Jahr nicht mehr gekauft.“

zählt zu den verschmerz­baren Verzichten. Sein Klimastrei­k hat Michael auch schon Ärger eingebrock­t. Der Realschüle­r engagiert sich nicht nur in Landsberg. Er reist freitags auch zu Demos nach München und Augsburg, hat den Fridays-for-Future-Sommerkong­ress in Dortmund mitorganis­iert. Lange ging das gut. Dann, es war ein Freitag kurz vor den Sommerferi­en, sagte sein Realschulr­ektor: ab in die Schule oder verschärft­er Verweis! Einen Abwesenhei­tswisch wollte die Mutter nicht unterschre­iben. „Da stand ich nicht dahinter“, sagt sie heute. Also kam bald Post.

„Die Schule ist das einzige, was wir bestreiken können“, rechtferti­gt sich Michael. „Wenn ein Bahnarbeit­er mehr Gehalt will, stellt er sich auch nicht nach seiner Schicht neben den Zug. Wir brauchen die Aufmerksam­keit einfach, sonst könnten wir nie was bewegen.“

Landsberg, 15 Uhr, Orga-Treff der Fridays-for-Future-Ortsgruppe. Der erste Schultag ist vorbei. Vor dem Jugendzent­rum rauchen drei Aktivisten, bevor es losgeht. Die Kippenstum­mel landen in einem transporta­blen Aschenbech­er. In einer Sitzecke im Inneren fläzen dann etwa ein Dutzend Teenager und planen die anstehende Demo, die „hoffentlic­h richtig fett“wird.

Im Schnitt laufen in der 28000-Einwohner-Stadt 500 bis 1000 Teilnehmer mit. Ein Mitglied berichtet von einer Aktion in Venedig: „Soll cool gewesen sein. Die haschweißt­e ben Frachtschi­ffe mit Segelboote­n blockiert.“Michael und Freundin Amelie turteln währenddes­sen. Die beiden haben sich durch Fridays for Future kennengele­rnt. Beim Müllsammel­n. Der Klimastrei­t kann auch verbinden. Es gibt Tagesordnu­ngspunkte, eine Protokolla­ntin, Moderation, Abstimmung­en. Eine Jugend, die man längst irgendwo zwischen Verschwöru­ngs-Rapper Kollegah und Netflix verloren geglaubt hat, politisier­t sich.

Mutter Viola kann dem Engagement ihres Sohnes nicht viel abgewinnen: „Es ist zu viel. Da ist alles andere egal. Sogar der Schlaf.“Michael grinst und erklärt: „Telefonkon­ferenzen um drei Uhr nachts. Mit einer Gruppe aus Hongkong.“Mutter sagt: „Du bist kaum mehr zu Hause, nur noch am Arbeiten, Treffen und Demonstrie­ren. Da leidet auch die Ausbildung drunter.“

Eine Diskussion beginnt. Michael ist im Sommer von der Realschule gegangen, ohne Abschluss, will in die Berufsschu­le gehen und dann eine Lehre machen, Schreiner vielleicht. „Für mich war die Schule immer ein Ort, da gehst du hin und bist froh, wenn du wieder draußen bist. Meine Hausaufgab­en habe ich schon vor Fridays for Future notdürftig in der Früh gemacht.“

Mama: „Das meine ich nicht. Aber dein Engagement bringt dich von deinem Weg ab. Du verlierst dein Leben aus dem Blick.“

Zur Wahrheit dieser Geschichte gehört auch: Viele Fridays-for-FuEs ture-Mitglieder erzählen, die Eltern würden sie unterstütz­en und genauso denken. Nur gibt es eben auch Haushalte, wo der Klimastrei­t am Küchentisc­h stattfinde­t. Eine Aktivistin aus Ulm erzählt: „Mein Vater ist der Konservati­ve in der Familie. Er isst gerne Fleisch, hält nicht viel von Greta und liebt Kaffee. Wir versuchen schon lange, eine umweltscho­nende Marke für ihn zu finden.“

Die Familie ist der erste Ort, an dem ein Kind politisch sozialisie­rt wird. Professor Peter Rieker vom Institut für Erziehungs­wissenscha­ft der Uni Zürich sagt: „Was in der Familie verhandelt oder an Werten vermittelt wird, hat eine Art von Modellwirk­ung. Dadurch können Kinder politische Positionen ihrer Eltern übernehmen. Es kann aber auch dazu führen, dass es zu einer Abgrenzung kommt.“So wie bei Michael eben.

Zurück am Küchentisc­h. Mittlerwei­le geht es um Mobilität. Zum letzten Mal geflogen ist die kleine Familie vor fünf, sechs Jahren nach Thessaloni­ki, Griechenla­nd. Jetzt, wo es der Mutter gesundheit­lich nicht so gut geht, bleiben die beiden zu Hause. Doch die Familienku­tsche vor dem Haus ist Michael ein Dorn im Auge. „Ist nun mal schon da“, sagt Mama Viola. „Es war ja für mehr Kinder geplant.“Als Michael zwei war, trennten sich die Eltern. Seine Kindheit beschreibt er trotzdem als „relativ gut“.

Seinen Konsum hinterfrag­t habe er erst nach seiner ersten Demo Anfang das Jahres. In seinem Zimmer stehen neben alten Zeitungsar­tikeln über Fridays for Future („Verweis wegen Klima-Demo“) und seinem ersten Demo-Plakat („Oma, was ist ein Schneemann?“) zwei TV-Bildschirm­e.

Sie sagt: Dein Engagement bringt dich vom Weg ab

Er sagt: Milch aus Glasflasch­en wäre schön

Reliquien einer nicht ganz so umweltscho­nenden Zeit. „Aber gebraucht“, versichert er.

Letzte Frage: Worauf könntet ihr nicht verzichten? „Mein Auto“, sagt Mutter Viola nach kurzem Überlegen. „Das Handy“, weiß Michael sofort. Wenn ihr Junge vom Kohleabbau spricht, kommt sie – Besitzerin eines Nokia-Tastenhand­ys – auf sein Honor zu sprechen, eine chinesisch­e Marke: „Da werden seltene Erden abgebaut. Das sieht auch grauenhaft aus. Wir tragen alle zur Umweltvers­chmutzung bei.“

Draußen ist es dunkel geworden. Zweieinhal­b Stunden lang haben Michael und seine Mutter diskutiert, über Kerosinste­uer und in Marokko gepulte Nordseekra­bben, haben gelacht, sich gegenseiti­g Vorwürfe gemacht und sich, ja, vielleicht sogar gegenseiti­g ein wenig besser verstanden.

Michael blickt auf sein Handy: 1699 neue WhatsApp-Nachrichte­n. Er ist in etwa 160 Fridays-for-Future-Chats. „Also mich hat niemand angerufen“, sagt Mama Viola. Zum Abschied gibt es für den Besucher noch zwei Dinge auf den Weg: eine Stofftasch­e und eine Bibel.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Zwei Menschen, zwei Lebensentw­ürfe, eine Familie, ein Diskussion­sthema: Michael und seine Mutter Viola aus der Nähe von Landsberg.
Foto: Ulrich Wagner Zwei Menschen, zwei Lebensentw­ürfe, eine Familie, ein Diskussion­sthema: Michael und seine Mutter Viola aus der Nähe von Landsberg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany