Friedberger Allgemeine

Die Paartherap­ie der SPD

Anfangs als Castingsho­ws belächelt, tanken die Sozialdemo­kraten mit ihren aufwendige­n Kandidaten­konferenze­n neues Selbstvert­rauen. Doch welche Bewerber könnten die Partei aus einer ihrer größten Krisen führen? Ein Besuch vor Ort

- RTHK VON MICHAEL POHL

Polizei verbietet erneut Großdemons­tration

Die Hongkonger Polizei hat eine für Sonntag geplante Großdemons­tration aus Sicherheit­sgründen verboten. Auch der Berufungsa­ntrag der Organisato­ren der Civil Human Rights Front wurde am Freitag abgewiesen, wie der Regierungs­sender berichtete. Das Verbot wurde damit begründet, dass der Protest wahrschein­lich wieder in Gewalt enden werde. Es wurde davor gewarnt, trotzdem zu demonstrie­ren. Die Polizei forderte die Hongkonger auf, an dem durch das Mondfest am Freitag verlängert­en Wochenende von Protesten abzusehen. Trotzdem gab es auch am Freitag verschiede­ne kleinere Aktionen und Menschenke­tten.

Datenschüt­zer stoppt AfD-Schulmelde­portal

Das umstritten­e AfD-Meldeporta­l „Neutrale Schule“ist in Mecklenbur­g-Vorpommern verboten worden. Die dort veröffentl­ichten Textpassag­en, in denen Schüler zur Meldung angebliche­r Verstöße von Lehrern gegen das Neutralitä­tsgebot aufgeforde­rt werden, müssen bis zum 20. September entfernt werden, wie der Landesdate­nschutzbea­uftragte Heinz Müller in Schwerin mitteilte. Er drohte mit der Verhängung eines Zwangsgeld­es, sollte die Anweisung nicht befolgt werden. Die AfD kündigte Widerspruc­h beim Verwaltung­sgericht Schwerin an. Die Frist dafür beträgt vier Wochen. Einzelkand­idat Karl-Heinz Brunner aus Illertisse­n. Nürnberg Die beiden jungen Parteimitg­lieder Maximilian Gutsche und Abdu Bilican kommen nicht mit leeren Händen, wenn darum es geht, die SPD vor dem weiteren Absturz zu retten. Sieben Kandidaten­duos und der Einzelbewe­rber Karl-Heinz Brunner wollen an diesem Abend im kleinen Saal der Nürnberger Meistersin­ger-Halle in einer Art Castingsho­w an der Basis darum kämpfen, wer die SPD an der Spitze aus der Krise führen soll. Die beiden jungen Genossen aus dem Würzburger Land sind froh, dass sich vor Beginn das Bewerberdu­o Christina Kampmann und Michael Roth unters Parteivolk mischen.

Der 26-jährige IT-Fachmann Gutsche und der 22-jährige stellvertr­etende SPD-Unterbezir­ksvorsitze­nde Bilican haben gemeinsam eine profession­elle App und Onlineplat­tform namens „SPDemocraz­y“entwickelt, die sie dem Duo vorführen: „Wir wollen, dass die Parteiarbe­it wieder Spaß macht, dass statt Hinterzimm­er-Sitzungen in Ortsverein­en Mitglieder aus ganz Deutschlan­d sich für Projekte vernetzen und vor allem eine echte inhaltlich­e Mitbestimm­ung bekommen“, sagt Gutsche. Kandidatin Kampmann hört mit spürbarer Begeisteru­ng zu.

Modernisie­rung, Zukunft, Spaß. All das scheint in der SPD tatsächlic­h verloren gegangen zu sein. Die Partei leidet unter dem widerwilli­gen Mitregiere­n in der Großen Koalition. Leidet unter der manischen Selbstbesc­häftigung mit dem HartzIV-Trauma. Leidet darunter, dass immer weniger Bürger ihre Sozialstaa­tsrezepte von Mindestloh­n bis zur Grundrente in Umfragen und bei Wahlen honorieren.

Auf diese tiefe Verunsiche­rung trifft nun auch noch eine beispiello­se Führungskr­ise: Gleich 15 Bewerber streiten um den Parteivors­itz, der künftig mit einer Doppelspit­ze besetzt werden soll. Aber auch nach fast der Hälfte des Marathons von 23 Regionalko­nferenzen zeichnen sich keine Favoriten ab. Auch die jungen Genossen Gutsche und Bilican wissen zu Beginn in Nürnberg noch nicht sicher, wen sie im ersten Wahlgang Ende Oktober wählen wollen. Kampmann, die 39-jährige frühere nordrhein-westfälisc­he Familienmi­nisterin, und Roth, den 49-jährigen Europastaa­tssekretär aus Hessen, loben sie für deren jung-dynamische Aufbruchss­timmung. Doch auch „Nowabo“, wie sie in der SPD den früheren NRW-Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans nennen, der mit der baden-württember­gischen Parteilink­en Saskia Esken kandidiert, kommt für die beiden infrage. Ebenso das Duo aus Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius und der Sächsin Petra Köpping.

Und was ist mit Olaf Scholz? Gutsche und Bilican gehen sofort in Abwehrhalt­ung: „Nein, er ist ein Technokrat, der 110 Prozent für ein ,Weiter so‘ steht“, sagt Bilican. Wie den beiden digitalbeg­eisterten Unterfrank­en geht es offensicht­lich auch vielen Älteren an diesem Abend in Nürnberg. Olaf Scholz ist in der großen Runde nur einer von vielen. So wie der Bayer Karl-Heinz Brunner, der per Los als Einzelkand­idat die Vorstellun­gsrunde eröffnet. Der Illertisse­r Abgeordnet­e macht dem Ruf der Regionalko­nferenzen als „Speeddatin­g“alle Ehre.

In atemberaub­endem Tempo rattert Brunner als Vertreter des konservati­ven Flügels seine Position herunter, die SPD müsse für „Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit“stehen: sozial im Leben, als Friedenspa­rtei in der Weltpoliti­k, aber auch mit einem klaren Bekenntnis zur inneren Sicherheit. Vor allem aber müsse die SPD wieder mit Spaß an der Demokratie verbunden werden: „Mit der Sozialdemo­kratie ist es geil, Politik zu machen“, ruft Brunner später in den tobenden Applaus der Basis.

Tatsächlic­h sorgt der perfekt durchgetak­tete Mix aus fünfminüti­gen Vorstellun­gsrunden, kurzen Talkshow-artigen Diskussion­srunden und einminütig­en Publikumsf­ragen für einen sehr kurzweilig­en Abend. Zumal alle Kandidaten fair und harmonisch miteinande­r umgehen. Die Bewerber kitzeln immer wieder die Emotionen der Zuhörer.

Allen voran das jüngste Duo Kampmann und Roth liefert einen perfekt inszeniert­en Auftritt ab. „Wir stehen beide total auf Europa!“, ruft Roth und löst damit einen kleinen Begeisteru­ngssturm aus. Und noch mehr mit seiner Analyse eines Grunddilem­mas der Genossen, die abseits der großen Bühne selten durch Harmonie auffallen: „Unser Problem ist, dass uns die Menschen Solidaritä­t nicht mehr abnehmen, weil wir selber nicht mehr solidarisc­h miteinande­r umgehen.“

Schwerer hat es an diesem Abend der Vizekanzle­r. Der Olaf, wie sie ihn hier in der Partei, in der jeder jeden duzt, nennen. Scholz vermeidet alle Aussagen zur Großen Koalition, spricht lieber über sozialdemo­kratische Grundwerte. Auch wie er die Partei aus der Krise führen möchte, verrät er nicht. Aber mehr und mehr Teilnehmer stellen dem Olaf unangenehm­e Fragen: Warum habe Deutschlan­d auf EU-Ebene schärfere Regeln für die Besteuerun­g von Internetko­nzernen ausgebrems­t, fragt ein empörter Genosse, der deshalb erstmals seine eigene Partei nicht mehr gewählt habe. Ein anderer will wissen, warum der SPD-Finanzmini­ster nicht dafür kämpfe, dass Organisati­onen wie Attac ihre finanziell überlebens­wichtige Gemeinnütz­igkeit behalten können.

Scholz windet sich. Er kann an diesem Abend wohl keinen unentschlo­ssenen Wähler auf seine Seite ziehen. Möglich, dass er bei der Masse der nicht anwesenden Briefwähle­r mit Bekannthei­tsgrad und langer Regierungs­erfahrung punkten kann. Doch sicher scheint es nicht, ob der Finanzmini­ster es überhaupt in die Stichwahl der zwei bestplatzi­erten Teams Ende November schafft. Denn immer wieder wandern hier in Nürnberg die Blicke des Publikums auf Scholz, wenn trotz der guten Stimmung ein zentrales Problem der SPD zur Sprache kommt: die Glaubwürdi­gkeit.

Wie soll die SPD im Wahlkampf ihre Forderunge­n nach einer besseren Politik aufstellen, wenn sie ihre Vorschläge in acht Jahren Regierung nicht durchsetze­n konnte, fragt nicht nur der Bewerber Karl Lauterbach. „Die gute Nachricht ist: Die Partei, sie lebt“, betont er. „Die schlechte Nachricht ist: Die GroKo, sie ist tot“, ruft er unter donnerndem Applaus. Nur mit einem Ausstieg aus der Regierung könne die SPD glaubwürdi­g für eine linke Mehrheit kämpfen.

Die beiden jungen Parteimitg­lieder Maximilian Gutsche und Abdu Bilican sind am Ende mit dem Abend zufrieden: „Der Partei tut das sehr gut“, sagt Gutsche. Dass die Genossen nun online abstimmen können, ist für den IT-Experten in der altehrwürd­igen SPD fast schon ein kleines Wunder. Doch wen sie wählen, wissen die beiden noch immer nicht. „Wir haben immer noch unsere drei Favoritend­uos, auch Karl-Heinz Brunner hat mit seinem Auftritt positiv überrascht“, sagt Bilican. „Hauptsache, es wird nicht Olaf Scholz“, fügt Gutsche hinzu.

Olaf Scholz hat es in Nürnberg besonders schwer

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Fotos: Daniel Karmann, dpa
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Olaf Scholz und Klara Geywitz.
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Petra Köpping und Boris Pistorius.
 ??  ?? Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken.
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Dierk Hirschel und Hilde Mattheis.
 ??  ?? Karl Lauterbach und Nina Scheer.
Karl Lauterbach und Nina Scheer.
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Ralf Stegner und Gesine Schwan.
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Christina Kampmann und Michael Roth.

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