Die Bahn ist nicht bereit
Der Konzern spielt eine Schlüsselrolle beim Klimaschutz. Gleichzeitig gibt es aber viele Baustellen: Das Unternehmen ist in Geldnot und wird schlecht geführt
Bahnchef Richard Lutz hat den Fluggesellschaften den Kampf angesagt. Bis zum Jahr 2030 hält er es für möglich, dass seine Züge Inlandsflüge vollständig verdrängen werden. Hochfliegende Ziele sind das, die mit der Realität am Boden nichts zu tun haben. Ein neuer Bericht des Bundesrechnungshofes bescheinigt der Bahn eine desaströse Lage. Die staatlichen Buchprüfer haben eine Lücke in der Bilanz entdeckt, die sich bis zum Ende des Jahres auf drei Milliarden Euro ausweiten dürfte. Zum Vergleich: Vergangenes Jahr erwirtschaftete der Schienenkonzern unter dem Strich einen Gewinn von rund einer halben Milliarde Euro.
Viel schlimmer für den Vorstand und die Bundesregierung als Bahneigentümer ist das Misstrauen der Beamten, ob sich die Lage überhaupt verbessern lässt. „Auf Basis der historischen Zahlen hält der Bundesrechnungshof auch die Einschätzung einer „vorübergehenden Liquiditätsschwäche“aufgrund außergewöhnlich hoher aperiodischer Investitionen für nicht nachvollziehbar“, heißt es in dem Bericht in reiner Behördensprache. Auf gut Deutsch bedeutet
das nichts anderes, als dass das Management mit Geld nicht richtig umgehen kann. Das Unternehmen reagierte schmallippig auf die Abreibung des Rechnungshofes. Die finanzielle Stabilität „zeigt sich unter anderem auch in dem unverändert guten Rating am Kapitalmarkt“, erklärte die Bahn in einer wenige Zeilen dürren Mitteilung. Mit dem Rating wird die Bonität eines Unternehmens gemessen. Bei der Bahn ist sie nur deshalb gut, weil der Konzern in Staatshand ist. Die Investoren können sich darauf verlassen, dass der Bund notfalls die Kredite der Bahn bedient.
Für den Bahnchef ist die harte Attacke der Prüfer heikel. Gerade erst hat er eine Bewährungsfrist überstanden, die ihm Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gesetzt hatte. Nun wird seine Kompetenz abermals schwer in Zweifel gezogen. Bevor Lutz an die Spitze des Vorstandes rückte, war er als Finanzvorstand ausgerechnet für die Zahlen zuständig.
Aber auch für Scheuer ist die Lage delikat. Wegen des MautDesasters prasselt Kritik wie saurer Regen auf den CSU-Politiker ein. Ein zweites Fiasko kann er sich nicht leisten. Für die Opposition sind die gravierenden Probleme bei der Bahn ein klares Versagen der Großen Koalition und ihres Verkehrsministers. „Das Finanzloch wird immer größer und der Minister Scheuer taucht ab“, sagte der FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic unserer Redaktion. Bevor es „frische Steuergelder gibt, muss das Chaos aufgearbeitet werden“, verlangte der Abgeordnete aus dem Saarland. Wegen des schlechten Managements sei die Bahn ein ineffizienter Betrieb.
Die Zeit dafür ist knapp. Schon kommenden Mittwoch wird der Aufsichtsrat das Zukunftskonzept des Vorstands diskutieren. Die Bahnspitze hat sich mit der Bundesregierung darauf verständigt, deutlich mehr Geld in Loks, Waggons und Schienen zu stecken. Ab 2020 sollen es über den Zeitraum von zehn Jahren insgesamt 86 Milliarden Euro sein. Mehr Verbindungen, mehr Fahrgäste, mehr Klimaschutz. Fachpolitiker wie Oliver Luksic befürchten, dass das Geld in den Tiefen der einstigen Behördenbahn versickert. Diese Gefahr sieht auch der Rechnungshof. „Schließlich zeigt die Analyse der letzten Jahre, dass regelmäßige Steigerungen des Konzernumsatzes gerade nicht zu Ergebnisverbesserungen führten“, urteilen die Prüfer. Besonders schlecht ist die Situation der Gütersparte. Selbst nach einem Jahrzehnt des Wirtschaftsaufschwungs mit steigenden Frachtmengen ist es dem Bereich nicht gelungen, Gewinne zu erwirtschaften. Im Zeitraum von 2009 bis 2018 ist die Marge in Summe negativ. Im ersten Halbjahr dieses Jahres stand unter dem Strich ein Verlust von 130 Millionen Euro, ein Jahr zuvor lag das Minus der Sparte in gleicher Höhe.
Ein einfacher Ausweg aus der Malaise ist dem Management verwehrt. Denn der Bundestag hat der Bahn eine Obergrenze für die Verschuldung gesetzt, die bei knapp über 20 Milliarden liegt und mittlerweile erreicht ist. Neue Kredite können das Loch also nicht stopfen. Sollte der geplante Verkauf der Auslandstochter Arriva die Lücke nicht schließen können, könne die Bahn ihre Investitionen „nicht aus eigener Kraft finanzieren“, mahnt der Rechnungshof.
Der Verkehrsminister wird sich also sehr gut überlegen müssen, ob er der Mannschaft um Richard Lutz noch zutraut, die versprochenen Milliarden sinnvoll einzusetzen und das schwerfällige Unternehmen mit zahllosen Zwischenebenen umzubauen. Ohne die Bahn geht sein Konzept jedenfalls nicht auf, den CO2-Ausstoß des Verkehrssektors massiv zu reduzieren.