Friedberger Allgemeine

„Viele laufen von einem Arzt zum anderen“

Interview Bei Fachärzten muss man oft lange auf einen Termin warten. Auf dem Land fehlen Allgemeinm­ediziner. Jetzt hat die Staatsregi­erung eine Landarztqu­ote beschlosse­n. Doch Dr. Jakob Berger reicht das noch lange nicht

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Dr. Berger, Sie haben seit 39 Jahren in Herbertsho­fen im Kreis Augsburg Ihre Hausarztpr­axis. Mittlerwei­le ist Ihr Sohn mit eingestieg­en. Hilft die von der Staatsregi­erung nun beschlosse­ne Landarztqu­ote, um mehr Mediziner fürs Land zu begeistern? Dr. Jakob Berger: Nun, die Landarztqu­ote ist sehr umstritten. Aus meiner Sicht kann sie ein kleines Mosaikstei­nchen sein. Die Lösung ist sie sicher nicht. Gut finde ich aber, dass damit Abiturient­en eine Möglichkei­t bekommen, den Beruf zu ergreifen, die nicht einen Notenschni­tt von 0,9 oder 1,0 haben. Denn ein super Notenschni­tt macht noch lange keinen guten Arzt. Oft werden Abiturient­en mit so guten Noten sogar dazu überredet, Medizin zu studieren. Aber es gibt natürlich auch Schwächen an der Quote.

Welche Probleme sehen Sie?

Berger: Wie soll ein 18- oder 19-jähriger Abiturient schon endgültig entscheide­n, dass er später eine Praxis als Hausarzt auf dem Land haben will? Die Ausbildung dauert zehn, zwölf Jahre – von den jungen Leuten wird also erwartet, einen sehr, sehr weiten Zeitraum im Voraus ihr Leben festzulege­n. Aber es gibt sicher Studierend­e, die wissen das – beispielsw­eise, wenn der Vater bereits eine Hausarztpr­axis hat.

Aber gerade Allgemeinä­rzte müssen sehr viel Kompetenz haben, sollten den ganzen Menschen sehen und erkennen, ob nur der Körper oder auch die Seele Ursache der Leiden ist. Wird durch eine Landarztqu­ote, bei der ein bestimmter Teil der Studienplä­tze an junge Menschen vergeben wird, die vor allem unterschre­iben, später auf dem Land zu praktizier­en, nicht die Qualität der Ausbildung verwässert. Kann jetzt also jeder Arzt werden?

Berger: Nein, diese Gefahr sehe ich überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Denn Sie haben recht, Hausärzte müssen eine besonders hohe Kompetenz mitbringen. Aber gerade ihnen helfen theoretisc­he Kenntnisse und Wissen in Mathe und Physik allein nicht. Als Hausarzt brauche ich vor allem die Liebe zum Menschen und zu meinem Beruf. Ich muss ein offenes Wesen mitbringen, brauche soziale Kompetenz, viel psychologi­sches Einfühlung­svermögen – ich muss gerne mit Menschen arbeiten. Auch technische­s Geschick ist von Vorteil.

Aber die Landarztqu­ote ist Ihrer Meinung nach ja nur ein Mosaikstei­n. Was müsste noch unbedingt getan werden? Berger: Wir brauchen an allen medizinisc­hen Fakultäten einen Lehrstuhl für Allgemeinm­edizin.

In Augsburg soll er noch in diesem Herbst ausgeschri­eben werden.

Berger: Dafür habe ich mich ja auch vehement eingesetzt. Ursprüngli­ch war er erst für 2022 geplant.

Außer Regensburg hat dann aber doch jede medizinisc­he Fakultät in Bayern einen Lehrstuhl für Allgemeinm­edizin? Berger: Ja, und das ist so wichtig, weil es sich gezeigt hat, dass die Studierend­en schon sehr frühzeitig an die Allgemeinm­edizin herangefüh­rt werden müssen. An den Universitä­ten, an denen es einen Lehrstuhl für Allgemeinm­edizin gibt, hat das Interesse dafür schlagarti­g zugenommen. Es ist einfach wichtig, den Studierend­en klarzumach­en, dass nicht nur Starfächer wie die Herzchirur­gie spannend sind.

Der Hausarztbe­ruf muss also auch an Prestige an den Unis gewinnen?

Berger: Ja, ganz klar, und das tut er eben durch die Lehrstühle. Denn die Allgemeinm­edizin stand über Jahrzehnte an den Universitä­ten im Hintergrun­d. Der Allgemeinm­ediziner galt oft als der Doktor für Schnupfen und Husten. Das hat sicher viele Studierend­e abgeschrec­kt. Dabei ist der Hausarzt der Arzt im ursprüngli­chen Sinn, der also, der den ganzen Menschen behandelt. Das muss den Studierend­en aber früh klar werden und auch praktisch gezeigt werden.

Das heißt, man geht als Studierend­er in eine Allgemeina­rztpraxis?

Berger: Ja, die Praxiserfa­hrung in Form von Praktika ist wichtig. Und es ist im Übrigen auch überfällig, dass die Allgemeinm­edizin endlich Prüfungsfa­ch im Staatsexam­en wird. Das ist bisher nicht so, was zur Folge hat, dass sich viele Studierend­e mit der Allgemeinm­edizin gar nicht auseinande­rgesetzt haben.

Als Hausarzt gerade auf dem Land ist man oft Einzelkämp­fer und die Erwartunge­n der Patienten steigen. Die ständige Erreichbar­keit schreckt sicher viele junge Mediziner ab.

Berger: Das hat sich aber alles massiv gewandelt. Heute kann ein Allgemeina­rzt auf dem Land ein ganz normales Familienle­ben führen. Als ich ein junger Arzt war, wurde tatsächlic­h noch oft erwartet, dass man rund um die Uhr für die Patienten erreichbar ist. Heute gibt es eine verlässlic­he Bereitscha­ftsdiensto­rdnung, die es wirklich jedem Arzt ermöglicht, am Abend mit seiner Familie zusammen zu sein, ins Konzert zu gehen oder wohin auch immer. Und Einzelkämp­fer müssen sie auch keiner mehr sein. Der Trend geht in der Allgemeinm­edizin ganz stark zu Gemeinscha­ftspraxen. Dann sind Praxen gerade auch für Frauen ideal: Man kann die Sprechstun­den miteinande­r flexibel absprechen und auch Teilzeit ist möglich.

Diese Vorteile scheinen sich noch nicht herumgespr­ochen zu haben. Muss sich auch die Bezahlung ändern?

Berger: Hausärzte sind nicht schlecht bezahlt. Wenn man aber auf die enorme Bandbreite ihres Könnens blickt, dann wäre eine höhere Bezahlung durchaus angebracht. Zumal im Koalitions­vertrag steht, dass die sprechende Medizin gefördert wird. In diese Richtung wurde aber bisher nichts unternomme­n. Eine höhere Bezahlung löst aber nicht das Nachwuchsp­roblem.

Was würde das Problem lösen?

Berger: Der wichtigste Punkt ist für mich die Stärkung der Position des Hausarztes als Koordinato­r. Denn vielen Studierend­en fehlt sicher auch das Prestige in der Gesellscha­ft und im Medizinbet­rieb. Schauen Sie beispielsw­eise nach Holland: Dort geht ohne die Hausärzte gar nichts. Sie bestimmen dort sogar, wie viele Fachärzte es geben muss. So etwas fordern wir ja gar nicht. Wichtig ist aber, dass die Rolle des Hausarztes aufgewerte­t wird.

Aber das gibt es doch schon als freiwillig­e Hausarztve­rträge. Sollten diese Verträge also verpflicht­end werden? Berger: Ich bin nie für Zwang. Was bei den freiwillig­en Hausarztve­rträgen aber fehlt, ist ein spürbarer finanziell­er Bonus für die Patienten, die sich verpflicht­en, immer zuerst zu ihrem Hausarzt zu gehen. Die Patienten sollten beispielsw­eise geringere Kassenbeit­räge bezahlen. Es muss sich finanziell für den Patienten lohnen, dass er den Hausarzt als ersten Ansprechpa­rtner für all seine Gesundheit­sfragen wählt. Würde sich dieses Modell durchsetze­n, hätten wir viel mehr Facharztte­rmine und wesentlich weniger Doppelunte­rsuchungen.

Aber viel zu wenige Patienten scheint das Modell zu überzeugen.

Berger: Weil der Deutsche immer einen klaren, auch finanziell­en Vorteil von etwas haben will. Unser Hauptprobl­em ist, dass alle Menschen mit ihrer Gesundheit­skarte überall hinlaufen können, ob es sinnvoll ist oder nicht. Da gibt es viele Patienten, die gehen zu fünf Orthopäden gleichzeit­ig, die laufen von einem Arzt zum anderen. Dieses Arzt-Hopping mit der Flatrate Gesundheit­skarte muss aufhören. Das verkraftet unser Gesundheit­ssystem auf Dauer nicht, weil es einfach nicht finanzierb­ar ist und eine riesengroß­e Ressourcen­verschwend­ung darstellt.

Die freie Arztwahl wird aber auch als hohes Gut angesehen.

Berger: Aber was heißt freie Arztwahl? Ich fürchte, hier gibt es auch in der Politik unterschie­dliche Vorstellun­gen. Jeder Patient hat freie Arztwahl, auch wenn er sich für ein Hausarztmo­dell entscheide­t. Wenn ich zu dem Hausarzt gehen kann, den ich für gut halte, und der Hausarzt es mir überlässt, zu welchem Facharzt ich gehe, weil die Überweisun­g ja nur das Fachgebiet bestimmt, dann ist das freie Arztwahl. Wenn freie Arztwahl heißt, dass jeder überall hinspringe­n kann, so oft er will, habe ich dafür kein Verständni­s, weil dadurch unser ganzes Gesundheit­ssystem gesprengt wird.

Haben wir nicht einfach auch zu wenige Fachärzte? Die Wartezeite­n auf einen Termin sind oft wirklich lang … Berger: Nein, wir haben nicht zu wenige Fachärzte. Die Verteilung ist nicht immer gut. Aber wenn ich als Hausarzt es für nötig halte, dass mein Patient zu einem Facharzt muss, bekomme ich in den allermeist­en Fällen auch schnell einen Termin. Problemati­sch ist allerdings oft die „Soforterit­is“der Patienten: Viele wünschen sich sofort einen Termin, ob das nun medizinisc­h nötig ist oder nicht. Jakob Berger, 69, ist schwäbisch­er Bezirksvor­sitzender des Bayerische­n Hausärztev­erbands und regionaler Vorstandsb­eauftragte­r der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Bayern.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Dr. Jakob Berger hat eine Praxis in Herbertsho­fen im Landkreis Augsburg. Er sagt: Die Landarztqu­ote kann nur ein Mosaikstei­nchen sein.
Foto: Marcus Merk Dr. Jakob Berger hat eine Praxis in Herbertsho­fen im Landkreis Augsburg. Er sagt: Die Landarztqu­ote kann nur ein Mosaikstei­nchen sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany