Friedberger Allgemeine

„Malen ist für mich wie Luftholen“

Wenn es um Kunst geht, ist Markus Lüpertz nicht um deutliche Worte verlegen. Bild-Inhalte erklären? Dagegen wehrt er sich. Banksy? Dessen Schredder-Aktion hält er für Kirmes

- Interview: Christa Sigg

Herr Lüpertz, nicht nur im Kulturbetr­ieb werden inzwischen die „alten weißen Männer“attackiert und als Auslaufmod­ell bezeichnet. Ärgert Sie das?

Markus Lüpertz: Ja. Und was heißt das denn? Ich kann doch nichts dafür, dass ich alt bin und weiße Haare habe. Wenn das ein Manko ist, dann gute Nacht.

Gemeint ist ja die Dominanz westlicher männlicher Künstler.

Lüpertz: Das ist heute Unsinn.

Stehen Äußerlichk­eiten mittlerwei­le zu sehr im Vordergrun­d?

Lüpertz: Ich lege große Wert auf mein Äußeres – und das in einer Welt, in der die Ästhetik sehr im Argen liegt. Sie brauchen nur auf die Straße zu gehen.

Dann wechseln wir ins Haus der Kunst. Beim großen Rückblick ist der Zeitraum zwischen 1980 und 2000 ausgelasse­n. Warum eigentlich? Lüpertz: Um das frühe mit dem heutigen Werk zu vergleiche­n, um Ähnlichkei­ten aufzuzeige­n. Ich habe übrigens keineswegs das Gefühl, dass ich am Ende bin. Meine Neugierde und mein Hunger auf neue Bilder sind nicht zurückgega­ngen.

Welche Motive treiben Sie denn gerade um?

Lüpertz: Mir geht es ausschließ­lich darum, gute Bilder zu malen. Heute interessie­ren nur noch Inhalte, aber nicht mehr die Meistersch­aft eines Malers. Da komme ich ins Hintertref­fen. Doch nur im künstleris­chen Vergleich mit Kollegen stellt man die eigene Position und Bedeutung fest. Und vor allem die Qualität.

Inzwischen entscheide­t oft der Marktpreis über die Bedeutung.

Lüpertz: Zumindest dort, wo der Devotional­ienhandel beginnt, ja. Damit habe ich nichts zu tun, und dafür sind meine Bilder auch nicht geeignet. Warum? Meine immer neuen Bilder entstehen in einer Malerei, die auf Tradition beruht. In der Bildenden Kunst gibt es nichts Neues, in diesem alten Handwerk gibt es nur neue Maler. Das ist das Zeitgemäße.

Manchen Bildern sieht man an, dass Sie mit der Kunstgesch­ichte sehr vertraut sind. Da sitzt auch mal eine Susanna wie bei Rembrandt im Bade. Lüpertz: Es ist ja nicht so, dass ich mich bewusst in der Kunstgesch­ichte bediene. Ich gehe in Museen, studiere Bildbände, besuche Kollegen. Ich habe jetzt angefangen, mich mit dem Barockmale­r Frans Hals zu beschäftig­en, da interessie­rt mich die Peinture. Wie malt er eine Hand? Oder eine Halskrause? Wie abstrakt, wie frei ist das? Daran kann man sich orientiere­n.

In der Ausstellun­g gibt es Bezüge zu Filmen. Welche Rolle spielt das Kino für Sie?

Lüpertz: Stellen Sie sich das Berlin der 60er-Jahre vor. Das Kino war das billigste Vergnügen, dort konnte man für zwei Mark den ganzen Tag verbringen. Was ich sah, habe ich auf die enge, kalte, damals sehr wilde, raue Stadt übertragen. Ich konnte zum Beispiel den Nollendorf­platz um eine Prärie erweitern, für mich war das auch eine Art Arkadien. Solche Imaginatio­nen haben mich damals beschäftig­t. Und weil ich nichts hatte, konnte ich besonders gut träumen. Das visuelle Erlebnis Kino hat mich immer interessie­rt, ob Wild-West-Film oder Krimi, spielte keine Rolle, obwohl ich eine tiefe Neigung zu Western habe. Da kommt einer ins Dorf geritten, macht die Bösen nieder und kriegt die Braut. Ein Klischee wie in der Oper – wunderbar!

Sie haben reihenweis­e Helme gemalt, weshalb?

Lüpertz: Ich bin noch im Krieg geboren, habe also eine Beziehung zu Helmen. Deren Form übt auf mich eine Faszinatio­n aus. Wenn Sie einen Helm malen, erzählt er eine Geschichte, und zwar die, die Sie kennen. Das ist das Großartige an dieser Form, jeder hat dazu eine Vorstellun­g. Das funktionie­rt genauso bei einer Weintraube oder einem Totenkopf. Aber jeder will immer alles erklärt bekommen, dagegen wehre ich mich. Ich bin Maler, kein Pädagoge.

Und wenn man ganz nahe an eine Traube herangeht oder wie Sie etwa an einzelne Dachziegel, ist man schnell bei der Abstraktio­n.

Lüpertz: Ich bin ein abstrakter und kein gegenständ­licher Maler!

Einspruch.

Lüpertz: Gut, die Abstraktio­n ist relativ begrenzt. Sie können Farbe schütten, Dreiecke machen… Aber die Befreiung vom Gegenstand durch die abstrakte Malerei erlaubt uns auch wieder, gegenständ­lich zu malen, auf dem Kopf zu malen, zu verwischen, Strichmänn­chen zu machen… Und sie erlaubt eigroße nem großartige­n Künstler wie Immendorff, Historie zu malen. Obwohl er von uns allen der Gegenständ­lichste war, hat keiner so abstrakt gemalt wie Jörg. Das ist das große Missverstä­ndnis. Wir sind alle abstrakt, durch die Bilder von Kandinsky glauben wir nicht mehr, was wir sehen, sondern erfinden, was wir sehen. Wir sind Gott ein bisschen näher gerückt.

Wie steht es mit der politische­n Kunst?

Lüpertz: Damit habe ich nichts zu tun. Die Künstler, die sich auf die Politik eingelasse­n haben, sind gescheiter­t. Die Kunst ist frei, und wenn sie sich auf Inhalte wie die Politik einlässt, dann bitte verschlüss­elt, also in einem gehobenen Sinne. Denn die Kunst hat diesen Tiramisu-, diesen Hochzieh-Effekt. Wenn nicht, ist sie ordinär. So wie bei Banksy. Das ist sicher verdienstv­oll, heiter, das Bild, das sich schreddert, großartig. Aber für mich ist das Kirmes, Jahrmarkt. Ich habe nichts dagegen, um Gottes willen, Genre hat es immer gegeben – und kommt direkt hinter der großen Kunst.

Malen Sie immer noch jeden Tag?

Lüpertz: Das ist für mich ein Reflex wie Luftholen. Ich kann nicht leben, ohne zu malen.

Dann ziehen Sie das bis zum Ende durch?

Lüpertz: Ich kann nicht aufhören. Schön wäre es, wenn nur der Tod mir den Pinsel aus der Hand nähme. Markus Lüpertz wurde 1941 in Reichenber­g (Böhmen) geboren. Er ist einer der bekanntest­en zeitgenöss­ischen Künstler Deutschlan­ds. Von 1988 bis 2009 war er Rektor der Kunstakade­mie Düsseldorf.

 ??  ?? Markus Lüpertz, spät und früh: Die unbetitelt­e Mischtechn­ik (großes Bild) entstand 2013, „Unser täglich Brot I“und „Helm I“(Ausschnitt) schuf der Künstler in den frühen 70er Jahren.
Markus Lüpertz, spät und früh: Die unbetitelt­e Mischtechn­ik (großes Bild) entstand 2013, „Unser täglich Brot I“und „Helm I“(Ausschnitt) schuf der Künstler in den frühen 70er Jahren.
 ?? Fotos: Jörg von Bruchhause­n, Jochen Littkemann / © VG Bild-Kunst / Haus der Kunst München ??
Fotos: Jörg von Bruchhause­n, Jochen Littkemann / © VG Bild-Kunst / Haus der Kunst München
 ??  ??
 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany