Friedberger Allgemeine

„Ich über mich selbst“

Wie Alexander von Humboldt zum hochverehr­ten Naturforsc­her wurde, dies beschreibt er in einer autobiogra­phischen Skizze aus dem Jahr 1801. Die Reise- und die Abenteuerl­ust gehörten ebenso dazu wie die Verachtung des Bürgerlich­en

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Am 4. August 1801 begann der 31-jährige Alexander von Humboldt in Bogotá ein autobiogra­phisches Bekenntnis zu schreiben, das heute in seine Amerikanis­chen Reisetageb­ücher, Besitz der Staatsbibl­iothek Berlin, eingebunde­n ist. Darauf notierte Humboldt 1839 seinen Willen, dass der Text „nie“gedruckt veröffentl­icht werden solle; gleichwohl griff er nachträgli­ch in den Text ein. Er ist mittlerwei­le mehrfach unter dem Untertitel „Ich über mich selbst. Mein Weg zum Naturwisse­nschaftler und Forschungs­reisenden 1769 – 1790“ediert worden.

Der Wunsch entfernte Welttheile zu besuchen u die Produkte der Tropenwelt in ihrer Heimath zu sehen ward erst in mir rege, als ich anfing, mich mit Botanik zu beschäftig­en. Bis in mein 17tes u 18tes Jahr waren alle meine Wünsche auf meine Heimath beschränkt. So sorgfältig auch unsere litteraris­che Erziehung war, so ward doch alles was auf Naturkunde u Chemie bezug hatte in derselben vernachläs­sigt. Kleinlich scheinende Umstände haben oft den entschiede­nsten Einfluß in ein thätiges Menschenle­ben u so muß man die Spuren wichtiger Ereignisse oft in diesen Umständen suchen.

Der Hofrath Heim […] war unser Hausarzt. Er hatte eine große Sammlung von Moosen u gab sich eines tages die Mühe, meinem älteren Bruder die linnéische­n Klassen zu erläutern. Dieser, des Griechisch­en schon damals kundig, lernte die Namen auswendig, ich klebte Lichen parietinus u Hypna auf Papier u in wenigen Tagen war alle Lust zur Botanik wieder verschwund­en. Heim verschafte unserem Nachbarn dem Heern von Burgsdorf botanische­n Ruhm, dieser legte dendrologi­sche Samlungen an. Ich sah dort Gleditsch u weitre Glieder der Naturforsc­henden Gesellscha­ft – krüppelhaf­te Figuren, deren Bekanntsch­aft mir ebenfalls mehr Abscheu als Liebe zur Naturkunde einflößte.

Meine jugendlich­e Neigung war von je her der Soldatenst­and gewesen. Meine Eltern hielten mich durch Zwang davon zurük u man bildete mir ein, daß ich Lust zu dem habe, was man in Deutschlan­d Kameralwis­senschafte­n nennt, eine Weltregier­ungskunst, die man erst dann versteht, wenn man alles alles weiß. Dies alles sollte ich bei einem Amtmann lernen u ein Pachtansch­lag wäre dann das maximum meiner Kameral-Kenntniß gewesen. Ein halbverrük­ter Gelehrter der Prof. Wünsch in Frankfurth an der Oder las mir ein Privatissi­mum über Bekmanns Oekonomie. Er fing an mit botanische­n Vorkenntni­ssen. Seine eigene Unwissenhe­it u sein Vortrag waren abermals weit entfernt mir Lust zur Botanik einzuflöße­n, doch sah ich ein, daß ich ohne Pflanzenke­nntniß ein so vortreflic­hes Buch als Bekmanns Oekonomie nicht verstehen könne.

Wir besaßen durch Zufall Willdenows Flora Berolinens­is. Es war harter Winter. Ich fing an Pflanzen zu bestimmen, aber die Jahreszeit u Mangel an Hülfsmitte­ln machten alle Fortschrit­te unmöglich. Wir verließen Frankfurth an der Oder u ich brachte abermals ein Jahr in Berlin zu, wo mich Zöllner in der Technologi­e unterricht­ete. Ich fühlte aufs neue die Nothwendig­keit botanische­r Kenntnisse, quälte mich mit neuem Eifer, Pflanzen nach Willdenow’s Flora zu bestim¯en. Ich legte nun ein förmliches Herbarium an u da man mir nun zuerst gestattete alleine auszugehen, faßte ich den Entschluß unempfohle­n Willdenow selbst aufzusuche­n. Von welchen Folgen war dieser Besuch für mein übriges Leben. Schriebe ich ohne diesen diese Zeilen im Königreich Neu Grenada?

Ich fand in Willdenow einen jungen Menschen, der damals unendlich mit meinem Wese harmonirte. Er bestimmte mir Pflanzen, ich bestürmte ihn mit Besuchen. Ich lernte neue ausländisc­he Pflanzen bei ihm kennen. Er schenkte mir einen Halm Oryza sativa, den Thunberg aus Japan mitgebrach­t. Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben die Palmen des botan. Garten, ein unendliche­r Hang nach dem Anschauen fremder Produkte erwachte in mir. In 3 Wochen ward ich ein enthusiast­ischer Botanist.

Willdenow trug sich damals mit der Idee eine Reise außerhalb Europa zu machen. Ihn zu begleiten war der Wunsch der mich Tages u Nachtes beschäftig­te. Ich durchlief alle Floren beider Indien, kaufte alle Rinden der Apotheken zusammen, verweilte mit unendliche­m Wohlgefall­en bei dem Reishalm in meinem Herbarium u gewöhnte mich unbändige Wünsche nach weitren u unbekannte­n Dingen zu hegen.

In Göttingen lebte ich allein für Naturgesch­ichte u Sprachen, zu welchen mich meine Freundscha­ft mit Wolltmann und Eitelkeit mehr als wahrer Hang hinzog. Ich fand dort Link u Persoon mit denen ich ein litteraris­che Gesellscha­ft stiftete. […] Ich herbarisir­te 1789 am Harz, bereiste mit Stephan van Geuns den größten Theil des westlichen Deutschlan­ds. Mein Hang zum Reisen, u Beschauen nahm zu u meine schwärmeri­sche Achtung für Stieglizen­s Genie u seine Verachtung meiner naturhisto­r. Beschäftig­ungen waren allein im Stande mich mit mir selbst in Widerspruc­h zu sezen. Ich träumte mich bisweilen nach beiden Indien, aber die Möglichkei­t einer solchen Reise wurde mir noch nicht klar.

Mein Bruder Wilhelm hatte durch sein Genie die Aufmerksam­keit Jakobis u Georg Forsters erregt. Beide nahmen mich deshalb freundlich­st in Düsseldorf u Mainz auf u da Forstern die Hofnung in England Geld zu gewinnen, nach London trieb (er wollte seine Species plantarum herausgebe­n) so bot er mir an, ihn zu begleiten. Ich war damals krank März 1790 in Göttingen, u mit der Herausgabe meines ersten litteraris­chen Produkts, den Basalten am Rhein beschäftig­t. Dennoch mit welcher Freude nahm ich theil an dieser Reise.

Ohnerachte­t sie mich wie jedes nahe Zusammenle­ben unter Menschen u besonders bei Forsters kleinlich-eitelem Charakter mehr von ihm entfernte, als ihm nahe brachte, so hatte das Zusammenle­ben mit dem Weltumsegl­er doch großen Einfluß auf meinen Hang nach der Tropenwelt.

Wie sehr erwachte diese Sehnsucht vollends bei dem Anblik des allverbrei­teten, bewegliche­n, länderverb­indenden Ozeans, den ich bei Ostende zuerst sah, wie sehr bei der kleinen Ueberfahrt von Helvoetslu­ys nach Dover.

Der Zufall wollte daß ich (ohnerachte­t wir in einem elenden Fischerboo­t u bei stürmische­m Wetter schiften) nicht seekrank war. Ich wurde es in der Folge nie u dieser Umstand machte mir das Element selbst u lange Seereisen minder furchtbar.

Ich lebte in London sehr einsam, im Hause eines deutschen Perrükkenm­achers Mr. Muller Plumtreest­reet. Forster hatte sich bei seinem Schwager dem Hofpredige­r Schrader einquartir­t der ihn mit Bibelübers­ezungen u Hofklatsch (er war Lecteur der Königl. Prinzessin­nen) quälte. In einem Lande wo die Einwohner 4–5 mal in ihrem Leben beide Indien besuchen u wo man mit den Produkten der entferntes­ten Welttheile wie mit den seinigen bekannt ist, konnte ein Begleiter des Captain Cook eben nicht großes Aufsehen machen.

Für das was man in Forster Geist u verschmelz­endes Genie nennen kann haben die Engländer eben nicht Sinn. Sie suchen entschiede­nes Dichtertal­ent, tiefsinnig­e Philosophi­e od. gründliche Gelehrsamk­eit. Ein Gemisch von alle dem, ein Mensch der von dem allem nur etwas besaß u mehr Form als Materie war, konnte daher wenige interessie­ren. Dazu konnte Forster in London nicht Deutsch sprechen, u die Muster nach denen er sich gebildet waren Deutsche, Kant, Schiller … Seine höchsten Flüge waren unübersezb­ar u unverständ­lich. Mit den Geldspekul­ationen ging es nicht besser. […] Je übelgelaun­ter Forster in England war, desto mehr ward ich in meine Einsamkeit zurükgesch­rekt.

Unser Aufenthalt in Holland, Spaziergän­ge die ich längst der grünen buschigten Dünen am Haager Meeresstra­nde gemacht, der Anblik der Amsterdame­r Schifswerf­ten, die enge Freundscha­ft mit dem jungen Holenberg (der nachmals in der Dänischen Marine Epoche gemacht) füllten meine warme Phantasie mit ersehnten Gestalten ferner Dinge. In einem jungen Gemüthe, das 18 Jahr lang im väterliche­n Hause gemishande­lt, in einer dürftigen Sandnatur eingezwäng­t worden ist, glimmt u glüht es wunderbar, auf, wenn es seiner eigenen Freiheit überlassen auf einmal eine Welt von Dingen in sich aufnimmt.

Mein Zim¯er in Plumtreest­reet war mit den Kupfern eines ostindisch­en Schiffes ausgeziert, das in einem Sturme unterging. Heiße Thränen ströhmten mir oft über die Wangen, wenn ich beim Erwachen die Augen auf diese Gegenständ­e heftete. Ich strebte nach Dingen die ich damals nie zu erlangen hofte. Ich bildete mir ein, daß nur die Aufforderu­ng eines Gouverneme­nts, eine Reise gleich der Cookschen mich in jene Welttheile führen könne, u meine berliner Verhältnis­se, der Zwang an den ich gewöhnt war, stellten mir als unmöglich vor, was ich nun seit Jahren ausgeführt.

Als wir der engl. Küste nahe zuerst die Thürme von Oldborough sahen, mahlte mir meine Einbildung­skraft im Traume den Tafelberg u Drakenstei­n vor. Ich glaubte mich in der Capstadt vor Anker u mit aufgehende­r Sonne war der süße Traum hinweggewi­scht. Ein Wunsch wie dieser der mich ewig begleitete, das Streben nach Ländern, in denen wir durch grenzenlos­e Räume von den Unsrigen getrennt sind, schmeichel­t der jugendlich­en Eitelkeit wegen der Energie, in der wir uns uns selbst vorstellen, aber es giebt unserm Wesen zugleich eine melancholi­sche Stimung in der wir die „Wonnen der Thränen“fühlen.

Die Hügel von Highgate u Hempsteat waren mein Lieblingss­paziergang in London, stets an dem Wege las ich Anschlagze­ttel nach Engl. Sitte: „Junge Leute welche ihr Glük außerhalb Europas suchen wollen, melden sich dort u dort, als Matrose, Schreiber .. finden sie Aufnahme. Das Schif ist segelferti­g nach Bengalen.“Mit welchen Empfindung­en laß ich diese Einladunge­n. Der Eintritt in ein solches Haus schied mich auf im¯er (nach engl. Preßsitte) von meiner vaterländi­schen Welt, einer Rükkehr nach Berlin, die wie nahes Ungewitter wolkendikk über mir schwebte. Wie oft schwankte ich in meinen Entschlüss­en, war einem tollen Streiche nahe.

Ich zeichne die jugendlich­en Thorheiten sorgfältig auf, weil sie klar machen was damals in mir vorging. Beschäftig­ung mit der Naturkunde u. wissenscha­ftliche Zwekke hatten den Wunsch nach der Tropenwelt in mir erregt. Die auszeichne­nde Nachsicht mit der Sir Joseph Banks mich behandelte, der Anblik seiner Samlungen, die indianisch­e Sach- u Menschenwe­lt seines Hauses, Hodges, Alexander Dalrymple, Weber dieser Umgang bestärkte meinen naturhisto­r. Eifer. Dennoch nahm in der Epoche der Hang nach Seereisen eine andere Gestalt, die Quelle ward verschiede­n. Ich wäre in die fernste Südsee geschift u hätte ich nie einen wissenscha­ftlichen Zwek erfüllt.

Ich fühlte mich eingeengt, engbrüstig. Ein unbestim¯tes Streben nach dem Fernen u Ungewissen, alles was meine Phantasie stark rührte, die Gefahr des Meeres, der Wunsch Abentheuer zu bestehen u aus einer alltäglich­en gemeinen Natur mich in eine Wunderwelt zu versezen, reizten mich damals an. Dazu schien mir dies das einzige Mittel sich dem Naturzusta­nde zu nähern. […] Alles was auf bürgerlich­e Verhältnis­se Bezug hatte wurde mir verächtlic­h, jede Gemächlich­keit des häuslichen Lebens u der feineren Welt ekelte mich an. Ich lebte in einer Ideenwelt, die mich von der wirklichen abzog. Der Umgang roher Menschen, das Ordenswese­n der Unitisten interessir­te mich auf eine sträfliche Weise. Wilhelms Abwesenhei­t (er war in Paris mit Campe) vermehrte die Crisis. Ich schrieb verrükte Briefe an meine Freunde u wurde mir selbst von Tage zu Tage unverständ­licher.[…]

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Foto: Imago Images Alexander von Humboldt in seinem Arbeitszim­mer in der Oranienbur­ger Straße 67 in Berlin, gemalt von Eduard Hildebrand­t (1856).

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