Friedberger Allgemeine

Nichts zu verlieren, viel zu gewinnen

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Man solle aufhören, wenn es am schönsten ist – eine jener Floskeln, deren Wahrheitsg­ehalt keiner Überprüfun­g standhält. Gefolgt vom Sinnspruch, das Morgenstun­d Gold im Mund habe. So wie in der Früh allenfalls ein Chipskrüme­l im Mundwinkel hängt, ist das Aufhören am Höhepunkt der Karriere verklärter Irrsinn.

Bezogen auf den Sport, würden sich viele Profis wunderbare­r Momente berauben, falls sie ihren Rücktritt auf dem Höhepunkt ihrer Schaffensk­raft ankündigen. Boris Becker hätte sich nach seinem ersten Wimbledone­rfolg gleich wieder nach Leimen verabschie­den können. Für die Fußball-Weltmeiste­r von 2014 hätte vor fünf Jahren Schluss sein müssen.

Dabei wird verkannt, dass es hinter dem ultimativ schönsten Moment (den so ja auch nicht jede Karriere bereitstel­lt), weitere wunderbare Erinnerung­en gibt. Oftmals sind das die Momente, an die sich Sportler ebenso gerne zurückerin­nern wie an die großen Titel.

Kim Clijsters ist schon zwei Mal zurückgetr­eten. Sie war einst die beste Tennisspie­lerin der Welt. Das war vor langer Zeit – Clijsters spielte noch gegen Jennifer Capriati, Anke Huber und Arantxa Sanchez Vicario. Schmerzen zwangen

Clijsters zum Rückzug. Sie bekam eine Tochter und kehrte wieder auf den Court zurück. Schmerzen blieben ihr Begleiter, trotzdem kehrte sie an die Spitze der Weltrangli­ste zurück. 2012 verabschie­dete sie sich erneut.

Mittlerwei­le ist sie 36 Jahre alt, dreifache Mutter – und plant für kommendes Jahr ihr zweites Comeback. Für die Belgierin wird es nicht darum gehen, ihren vier Grandslam-Titeln einen fünften folgen zu lassen. „Ich will die beste Tennisspie­lerin sein, die ich sein kann“, hat sie sich vorgenomme­n.

Sich nochmals mit den besten der Welt zu messen, im täglichen Training an die Leistungsg­renze zu gehen, ist das Ziel. Kim Clijsters hat nichts zu verlieren. Ihre Titel werden nicht weniger wert, wenn sie nun jedes ihrer Matches verliert. Gleichzeit­ig aber kann sie viel gewinnen. Trophäen wird sie wahrschein­lich nicht mehr in den Himmel recken. Die Anerkennun­g aber, im gehobenen Sportleral­ter noch mal auf die große Bühne zurückzuke­hren, ist gewiss.

Sport ist nur selten die Glitzerwel­t, als die sie verkauft wird. Meist ist er Selbstüber­windung und Verzicht. Sich darauf nochmals einzulasse­n, zeigt die Liebe zum Tennis. Kim Clijsters hat jetzt schon gewonnen.

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Foto: dpa Applaus, Applaus: Kim Clijsters kehrt kommendes Jahr zurück.
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