Gefährt(in) mit dem schönsten Hüftschwung der Welt
2013 gründen ein paar Freunde den Vespaar Aichach Scooter Club. Für sie sind die legendären italienischen „Wespen“Hobby, Leidenschaft und Möbelstück zugleich. Und manchmal sogar ein Tattoo-Motiv oder ein Ersatz für den Christbaum
Aichach „Entschleunigen beim Beschleunigen“– mit diesem Slogan könnte man das Lebensgefühl vieler eingefleischter Vespa-Fahrer auf einen Nenner bringen. Denn der Fahrspaß auf den italienischen Rollern hat weniger mit Geschwindigkeit zu tun, sondern vielmehr mit Kult und südländischer Lebenseinstellung. So sagt auch der 40-jährige Aichacher Harald Thiem: „Für mich ist Vespa-Fahren wie eine Sucht, die mich seit meinem 16. Lebensjahr nicht mehr loslässt.“
Vor sechs Jahren haben Thiem und seine gleichgesinnten Freunde Stefan Alber, Tobi Kratzenberger und Gery Humpf den Vespaar Aichach Scooter Club aus der Taufe gehoben. Mit dem Wortspiel „Vespaar“wollen sie die Verbundenheit mit ihrer an der Paar gelegenen Heimatstadt zum Ausdruck bringen. Das eigens kreierte Club-Logo vereint Eichenlaub und einen stilisierten Wasserlauf mit einer OldtimerVespa. Es prangt als Wappen nicht mehr nur auf Vereinsbannern, Sweatund T-Shirts, sondern auch auf Tassen, Bierkrügen, Aufklebern – und vereinzelt sogar auf Socken.
Mittlerweile zählt der rührige Club 19 Mitglieder. Sie gehen zum Teil schon seit Jahrzehnten ihrer Leidenschaft nach. Mit Martina Gail ist in der Männerdomäne auch eine junge Frau darunter. Für sie ist der Club „wie eine große Familie“, wie sie sagt. Die Jungs stehen immer mit Rat und Tat zur Seite. Wie Vereinspräsident Stefan Alber voller Stolz erzählt, gehören den 19 Mitgliedern insgesamt etwa 60 Vespas. Er alleine hat bereits sechs davon: „Eine VMB, eine Sprint, eine Primavera und drei 50er“, wie er sagt. „Der Präse“, wie ihn seine Mitglieder respektvoll nennen, ist „überzeugt, dass im
Club von jeder BlechBaureihe ein Modell dabei ist“.
Mitglied im Vespaar-Club zu werden, ist nicht einfach. Der Bewerber sollte nämlich mindestens eine BlechVespa mit Handschaltung sein eigen nennen und regelmäßig an Ausfahrten teilnehmen. So schreiben es die Vereinsstatuten vor. Zudem sollte er oder sie Wert auf Geselligkeit legen und regelmäßig den Vereinsstammtisch besuchen. Erst dann werde entschieden, ob er oder sie zum Verein passt. Zum Stammtisch treffen sich die Vespaar-Mitplaus glieder an jedem zweiten Donnerstag im Café Dahoam in Aichach.
Bei ihren Ausfahrten sorgen die Vespa-Freaks immer für Aufsehen – wegen ihrer außergewöhnlichen Scooter und wegen ihres bayerischen Outfits in Lederhosen und obligatorischem Vereinsshirt. Sie treffen sich zum Anrollern im Frühjahr und verbringen bis zum Abrollern im Herbst viel Zeit miteinander.
In diesem Jahr organisierte Peter Greifenegger für seine Clubkameraden eine Tour in die Toskana. Eines der dortigen Ziele war das VespaMuseum im Piaggio-Werk in Pontedera. Die legendären italienischen „Wespen“eroberten von dort aus ab 1946 die Welt der kleinen Leute. Wie Greifenegger berichtet, waren die Aichacher mit ihren Blech-Rollern selbst an diesem Vespa-Geburtsort „der Hingucker“. Mit Apseien sie auch auf so manchem toskanischen Marktplatz empfangen worden, erzählt er. Und Octavio Romeo, „der bayerische Italiener im Club“, den alle nur Otto nennen, hatte beim Übersetzen Schwerstarbeit zu leisten.
Seit der Vereinsgründung im Jahr 2013 steht laut Greifenegger jedes Jahr im Sommer ein großer Vespaar-Ausflug auf dem Programm. Die bisherigen Touren führten zum Gardasee, zu Vespa-Treffen ins italienische Mantova und nach St. Tropez sowie zweimal nach Kroatien. „Unsere Roller sind fast alle tourentauglich“, erklärt Greifenegger.
Dafür ist Jürgen Posch, der Tuner und Schrauber im Club, zuständig. Insbesondere vor und während der Ausfahrten sorgt er für Pannensicherheit. „Es gibt fast keinen Roller im Club, an dem ich noch nicht rumgeschraubt habe“, sagt er. Bei den Touren habe er immer sein „Service-Tascherl“und jede Menge Ersatzteile dabei. Noch heute schwärmt Posch von seiner ersten gemeinsamen Fahrt im Jahr 2014 über den Brenner nach Italien: „Es war wie ein kleines Abenteuer. Und als wir oben am Pass standen, haben die Motorradfahrer applaudiert. Das war schon ein cooles Gefühl.“Der Zweitakter und die einfache Technik der Vespa-Roller haben Posch schon immer fasziniert. Während die meisten Clubmitglieder ihre Oldtimer möglichst originalgetreu erhalten wollen, müssen seine drei Roller schon etwas Besonderes sein. „Ich kann mit dem Original nichts anfangen“, sagt der 36-Jährige schmunzelnd. Seine Vjatka PX ist auf der Internetseite des Vereins mit Baujahr 1960/82 angegeben. Bei diesem Roller hat der Jüngste im Club so ziemlich alles verändert, was möglich war: „Ich habe vier alte Vespas miteinander vereint. Entstanden ist eine Art Eigenbau.“Immer wieder habe er etwas verändert oder dazu gebaut.
Egal in welcher Farbe, ob mit Schrammen oder blank poliert – eine Vespa ist immer ein Hingucker. Ein stärkerer Motor mit EigenbauAuspuff gehöre genauso dazu wie die Lackierung im Rost-Look oder futuristische Teile wie die LED-Beleuchtung, bei der sogar die RollerUnterseite illuminiert werden kann. Selbstverständlich sei alles im Fahrzeugschein eingetragen, sagt Posch und ergänzt: „Mit Leistungsgutachten und Einzelabnahme kommen da beim TÜV schnell mal 500 Euro und mehr zusammen. Aber das ist eben mein Hobby.“
Stolzer Besitzer der beiden ältesten Roller im Club ist der 44-jährige Tom Löfflmann. Der Bastler restauriert gerade eine Faro Basso V31, Baujahr 1951. Seine ACMA V52 wurde 1952 als Lizenzbau im französischen Fourchambault hergestellt. Vor Kurzem hat er noch eine dritte Rarität erworben: Eine GS3, die mit Lizenz im Jahr 1958 in Augsburg gebaut wurde – und zwar im damaligen Messerschmitt-Werk, wo auch die legendären Kabinenroller vom Band liefen.
Harald Thiem, Zweiradmechaniker-Meister, besitzt neben einer V50 und seinem PX Reiseroller die drittälteste Vespa im Club: eine VN2, Baujahr 1956. „Die erste Serie von 1947 bis 1956 wird ,Faro Basso‘ genannt, was auf Deutsch ,Lampe unten‘ bedeutet.“Erst danach sei die Lampe nach oben an den Lenker gewandert. Thiem ist so begeistert von seinem „Liebling“, dass er sich sogar ein Abbild davon als Tattoo auf die Innenseite seines rechten Oberarms stechen ließ. „Für meinen PX Reiseroller hab’ ich den anderen Arm reserviert – mit bayerischer Raute als Hintergrund“, erzählt er und lacht. Und seine Freundin? „Die trage ich im Herzen“, bekräftigt er und lacht wieder.
Weil eine Blech-Vespa wegen ihrer Schlichtheit klassisch schön ist, steht sie bei manchem Clubmitglied im Winter als Möbelstück im Wohnzimmer. „Natürlich schmutzfrei und auf Hochglanz poliert“, betont Thiem und ergänzt: „An Weihnachten ersetzt mein Lieblings-Roller sogar den Christbaum. Er wird mit Lichterkette und bunten Kugeln behängt.“Dass eine Vespa mit ihren Rundungen auch im Garten eine gute Figur abgibt, beweist VizePräsident Tobi Kratzenberger, der acht Roller zu Hause hat. Zwei davon hat er ausgeschlachtet. Doch weil sie „viel zu schade für den Schrotthändler“sind, hat er die alten Karossen „mit dem schönsten Hüftschwung der Welt“zum Dekorationsobjekt umfunktioniert.
» Im Internet www.vespaar.de
Die Lieblingsvespa prangt als Tattoo auf dem rechten Arm. Der linke ist für ein Tattoo vom Reiseroller reserviert