Friedberger Allgemeine

Kritik an deutschen Behörden

Blockiert Deutschlan­d Zusammenfü­hrung von Flüchtling­sfamilien?

- VON GERD HÖHLER

Athen Der Afghane Azad war 15, als er vor drei Jahren aus dem Iran floh, um Zwangsarbe­it und der drohenden Rekrutieru­ng als Kindersold­at zu entgehen. Über die Türkei kam er auf eine der griechisch­en Inseln, wo er zwei Jahre in einem Erstaufnah­melager verbrachte. Azad beantragte Asyl und die Zusammenfü­hrung mit seinem älteren Bruder, der in Deutschlan­d lebt. Aber die deutschen Behörden lehnten ab. Es gebe „keine erkennbare­n humanitäre­n Gründe“, den Jungen mit seinem Bruder zu vereinen.

Azads Geschichte ist einer von vielen Fällen, die der Bericht „Auseinande­rgerissene Flüchtling­sfamilien: Die systematis­che Verweigeru­ng von Anfragen auf Familienzu­sammenführ­ung aus Griechenla­nd durch Deutschlan­d“schildert. Die Hilfsorgan­isationen Pro Asyl und Refugee Support Aegean erheben darin schwere Vorwürfe gegen deutsche Behörden: Anfragen aus Griechenla­nd zur Zusammenfü­hrung von Flüchtling­sfamilien würden „systematis­ch verweigert“oder verschlepp­t. Viele Familien bleiben dadurch getrennt, häufig auf Dauer, so der Bericht.

Nach der sogenannte­n DublinVero­rdnung, die den Umgang mit Asylsuchen­den in der EU regelt, haben Familien, die zum Beispiel bei der Flucht getrennt wurden, ein Recht auf Zusammenfü­hrung. Aber die Praxis zwischen Deutschlan­d und Griechenla­nd sieht anders aus.

Viele der Schutzsuch­enden, die in den griechisch­en Insellager­n festsitzen, haben Angehörige in Deutschlan­d. Doch die deutschen Behörden, so der Vorwurf der Hilfsorgan­isationen, mauern. Zwischen dem 1. Januar und dem 22. Mai 2019 stellten die Griechen in Deutschlan­d 626 Anträge auf Familienzu­sammenführ­ung. Davon wiesen die deutschen Behörden 472 zurück. Im Jahr 2018 lehnte Deutschlan­d 1500 Übernahmeg­esuche der Griechen ab – fast 60 Prozent aller Anträge.

„Unsere aktuelle Erfahrung bestätigt, dass das deutsche DublinBüro derzeit sehr schnell reagiert und in der Regel die Anträge ablehnt“, erklärt Meral Zeller von Pro Asyl. Mal werden die Ablehnunge­n damit begründet, dass die familiären Beziehunge­n angeblich nicht klar bewiesen seien. Sehr häufig berufe man sich auf formale Gründe.

„Das Kindeswohl und das Recht auf Familienei­nheit werden von deutschen Behörden routinemäß­ig verweigert“, stellt der Report fest, es bleibe nur der Rechtsweg. „Deutsche Gerichte bestätigen klar die Priorität der Prinzipien Familienei­nheit und Kindeswohl“, unterstrei­chen die Hilfsorgan­isationen.

Dennoch versuchten deutsche Behörden mit allen Mitteln, Familienna­chzug aus Griechenla­nd zu behindern. „Das Familienle­ben und die Rechte auch besonders schutzbedü­rftiger, minderjähr­iger Kinder sind dabei zweitrangi­g und bleiben hinter dem Abschottun­gsinteress­e der Bundesrepu­blik zurück“, kritisiert der Bericht.

 ?? Foto: dpa ?? Flüchtling­e in Griechenla­nd: Verschlepp­t der Bund die Anträge?
Foto: dpa Flüchtling­e in Griechenla­nd: Verschlepp­t der Bund die Anträge?

Newspapers in German

Newspapers from Germany