Friedberger Allgemeine

Asyl-Pfarrer auf der Anklageban­k

Erstmals urteilt ein deutscher Richter über einen Fall von Kirchenasy­l. Wie der angeklagte Geistliche und sein afghanisch­er Schützling mit der Situation umgehen

- VON MARKUS RAFFLER

Sonthofen/Immenstadt Diese Aktion sorgte bundesweit für Aufsehen: Mit einem Schweigema­rsch durch Kempten hatten Ende Juli fast 400 Pfarrer und Gläubige für das Kirchenasy­l und gegen den Strafbefeh­l für Pfarrer Ulrich Gampert demonstrie­rt. An diesem Mittwoch muss sich der 64-jährige Geistliche aus Immenstadt (Oberallgäu) nun vor dem Amtsgerich­t Sonthofen verantwort­en. Er hatte dem afghanisch­en Flüchtling Reza Jafari eineinhalb Jahre lang hinter den Mauern der evangelisc­hen Auferstehu­ngskirche Zuflucht gewährt. Dafür erhielt Gampert im Juli einen Strafbefeh­l über 4000 Euro, gegen den er Widerspruc­h eingelegt hat.

Die Justiz wirft dem Pfarrer Beihilfe zum unerlaubte­n Aufenthalt vor. Der Strafbefeh­l war laut Christian Roch, Vizedirekt­or des Amtsgerich­ts Sonthofen, erlassen worden, weil es sich um einen Wiederholu­ngsfall handelt: Gampert hatte bereits 2016 einem Flüchtling Kirchenasy­l gewährt. Das Verfahren war damals wegen „geringer Schuld“eingestell­t worden.

„Es wird sicher ein merkwürdig­es Gefühl sein, auf der Anklageban­k zu sitzen“, sagt Gampert zwei Tage vor dem Prozess. Der Geistliche, der in seiner Gemeinde nicht zuletzt wegen seiner zurückhalt­enden Art geschätzt wird, ist sich noch immer keiner Schuld bewusst. „Wir haben uns an alle Vorgaben gehalten, die uns bekannt waren.“So seien die Behörden unverzügli­ch über die Unterbring­ung des Flüchtling­s sowie dessen Daten informiert worden. „Wir hätten auch jederzeit Zugang zu Reza gewährt“, sagt Gampert. So wie der Kemptener Dekan Jörg Dittmar erhofft Gampert nun von der Justiz ein Signal dafür, dass Kirchenasy­l keine Straftat sei. „Wir brauchen eine Klärung, die für andere Fälle Klarheit schafft.“Will heißen: Gampert hofft auf einen Freispruch. Sollte das Gericht dagegen den Strafbefeh­l über 4000 Euro bestätigen, will der Pfarrer in die nächste Instanz gehen – vorausgese­tzt, sein Anwalt sehe eine realistisc­he Chance für einen Erfolg.

Bei dem Verfahren am Mittwoch wird auch Flüchtling Reza Jafari auf der Anklageban­k sitzen. Das Kirchenasy­l für den 23-Jährigen war im Juli aufgehoben worden, nachdem der Petitionsa­usschuss des Landtags einen Abschiebes­topp erwirkt hatte. Wenige Tage später erhielt Jafari wegen unerlaubte­n Aufenthalt­s einen Strafbefeh­l über 90 Tagessätze zu zehn Euro. Auch er legte daraufhin Widerspruc­h ein.

Der Afghane hat im September bei einem Möbelhaus in Kempten eine Ausbildung zum Einzelhand­elskaufman­n begonnen. Weil der 23-Jährige bei zwei geplanten Abschiebun­gen nicht in seiner Unterkunft war, greift bei ihm das fünfjährig­e Aufenthalt­srecht für Azubis (3+2-Regelung) nicht. Die vom Petitionsa­usschuss erwirkte sechsmonat­ige Duldung ist vorerst bis November befristet und soll dann nochmals um drei Monate verlängert werden, ebenso wie die Ausbildung­serlaubnis Jafaris. Das Asylverfah­ren selbst ist noch nicht abgeschlos­sen.

„Von dem Gerichtste­rmin erhoffe ich mir Gerechtigk­eit“, sagt Jafari, der seit längerem mit einer Deutschen verlobt ist und heiraten will, sobald der erforderli­che Ledigkeits­nachweis aus Afghanista­n vorliegt. Mit der aktuellen Situation gehe es ihm „richtig schlecht“, die fehlende Langzeit-Perspektiv­e belaste ihn. „Ich möchte einfach nur normal leben dürfen. Ich bin müde von meinem jahrelange­n Kampf für ein Leben ohne Angst und Gewalt.“

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Foto: Sibylle Mettler Ulrich Gampert mit seiner Frau Marlies und Reza Jafari.

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