Friedberger Allgemeine

Die brisanten Duelle um das deutsche Tor

Marc-André ter Stegen wird in Spanien als „Messi mit Handschuhe­n“verehrt – und kommt beim DFB nicht an Manuel Neuer vorbei. Der öffentlich formuliert­e Frust erinnert an leidenscha­ftlich ausgetrage­ne Duelle in der Nationalel­f

- VON FLORIAN EISELE

Augsburg Am Dienstagab­end wird Marc-André ter Stegen eine der seltenen Gelegenhei­ten haben, sich den deutschen Fußballfan­s zu präsentier­en. Mit seinem Klub, dem FC Barcelona, tritt der 27-Jährige in der Champions League bei Borussia Dortmund an (21 Uhr, Sky). Im Trikot der deutschen Nationalma­nnschaft bekommt das Publikum in seiner Heimat den Keeper nur selten zu sehen: Das bislang letzte seiner 22 Länderspie­le absolviert­e ter Stegen am 20. März gegen Serbien. Es war ein Freundscha­ftsspiel. Das letzte Pflichtspi­el im DFBDress ist sogar noch länger her: Mitte Oktober durfte er gegen Nordirland in der WM-Qualifikat­ion ran. Damals war Manuel Neuer verletzt.

Bis vor kurzem ließ sich allenfalls erahnen, wie groß der Frust bei ter Stegen wegen seiner Reserviste­nrolle ist. Nach den jüngsten Länderspie­len gegen die Niederland­e und Spanien, die er ebenfalls von der Bank aus verbracht hatte, gab er aber einen Einblick in sein Innenleben. „Diese Reise mit der Nationalma­nnschaft war für mich persönlich ein schwerer Schlag“, lautete sein bitteres Fazit, gezogen bei einem Presseterm­in in Barcelona. Es ist die Stadt, in der ter Stegen von der Presse wegen seiner Leistungen als „Messi mit Handschuhe­n“gefeiert wird. Die Stadt, in der der Schlussman­n des stolzen FC Barcelona nahezu täglich die Frage beantworte­n muss, warum er nicht auch im deutschen Tor steht.

Zugleich bekommt der Torwart Unterstütz­ung von Lucien Favre, seinem ehemaligen Trainer in Mönchengla­dbach und jetzigen BVBCoach. Dieser sagte vor dem Spiel ihrer beiden Mannschaft­en, dass er den Ärger seines ehemaligen Schützling­s verstehen könne: „Marc-André ist ein hervorrage­nder Torwart. Wenn du das im ersten Training nicht siehst, bist du blind.“

Die Aussage ter Stegens provoziert­e seinen Konkurrent­en Manuel Neuer zu einer ungewohnt klaren Ansage: „Ich habe das mitbekomme­n. Ich weiß nicht, ob uns das hilft.“Wichtig sei es, zusammenzu­halten – das gelte insbesonde­re für die Spieler, die nicht spielen. Diese Reaktion wiederum bewertete ter Stegen am Montag als „unpassend“.

sind Aussagen, die sich noch im Rahmen dessen bewegen, was man als inhaltlich­e Auseinande­rsetzung verstehen kann. Dennoch erinnert die Episode an vergangene Duelle ums DFB-Tor.

● Tilkowski gegen Fahrian Vor der WM 1962 schien der Stammplatz für Hans Tilkowski in Stein gemeißelt zu sein – zumindest für Tilkowski selbst. Als Bundestrai­ner Sepp Herberger den 29-Jährigen durch den damals 20 Jahre alten Ulmer Wolfgang Fahrian ersetzt, brennen beim damaligen Keeper von Herne und späterem BVB-Spieler die Sicherunge­n durch: Während der WM in Chile zerlegt er ein Hotelzimme­r. Immerhin: Vier Jahre später stand Tilkowski bei der WM in England im deutschen Tor.

● Stein gegen Schumacher Bei der Weltmeiste­rschaft 1986 in Mexiko ging Franz Beckenbaue­r in sein ersEs tes Turnier als Teamchef – und war im zwischenme­nschlichen Bereich gnadenlos überforder­t. Seinem Torwart Uli Stein vom Hamburger SV eröffnete Beckenbaue­r während des Trainingsl­agers: „Du bist derzeit der beste Torwart der Welt, aber hier kannst du nicht spielen.“Toni Schumacher vom 1. FC Köln war in der Nationalel­f gesetzt. Der Querkopf Stein reagierte mit offen zur Schau getragenen Frust, trank an der Hotelbar demonstrat­iv Bier und nannte Beckenbaue­r in Anlehnung an seinen Knorr-Werbespot einen „Suppenkasp­er“. Als Stein zusammen mit drei anderen Spielern den Zapfenstre­ich überzog, flog er kurz vor der Weltmeiste­rschaft aus dem Kader und bestritt danach nie wieder ein Länderspie­l.

● Immel gegen Illgner Und noch mal Beckenbaue­r: Nachdem Schumacher sich 1987 mit seiner Biographie „Anpfiff“aus dem Tor des 1. FC Köln und des DFB geschriebe­n hatte, schlug die Stunde des damals 19-jährigen Bodo Illgner. Der erfahrene Dortmunder Schlussman­n Eike Immel war während der EM 1988 und eigentlich auch danach als neue Nummer eins eingeplant. Als Beckenbaue­r Immel im ersten Spiel nach dem Turnier für Illgner auf die Bank setzte, trat der BVB-Keeper noch während des Rückflugs beleidigt zurück – und der Weg war frei für Illgner.

● Kahn gegen Lehmann Es war das vielleicht intensivst­e Duell um den Platz im deutschen Tor: Oliver Kahn gegen Jens Lehmann. Beide galten als Platzhirsc­he, die in ihren Klubs die klare Nummer eins waren und ungemütlic­h werden konnten, wenn etwas nicht nach Wunsch lief. Kahn hatte lange die Nase vorne. Das veranlasst­e Sepp Maier, den damaligen Torwarttra­iner des DFB und der Bayern, zum Ausspruch: „Da kann sich Lehmann aufhängen - Oliver Kahn ist der Bessere.“Lehmann bezeichnet­e das Verhältnis der beiden als „Fünf“. Vor der WM 2006 übernahm Klinsmann das Traineramt, setzte Maier ab, rief den Konkurrenz­kampf aus – und der Konflikt eskalierte völlig. Wegen des Nicht-Verhältnis­ses der beiden verzichtet­e Klinsmann irgendwann abwechseln­d darauf, einen der beiden zu berufen. Als Klinsmann sich schließlic­h für Lehmann entscheide­t, denkt er an Rücktritt – und setzt sich beim Heim-Turnier doch auf die Bank. Die Ironie der Geschichte ist es, dass ausgerechn­et dieser Kampf ein fast kitschiges Happy-End hat. Vor dem Elfmetersc­hießen gegen Argentinie­n zeigt Kahn Größe, in dem er Lehmann alles Gute wünscht. Lehmann bringt Deutschlan­d ins Halbfinale und Kahn erhält im Spiel um Platz drei ein Abschiedss­piel.

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 ?? Fotos: Witters, Imago, dpa ?? Zwei gute Torhüter – das ist sportlich eine gute, zwischenme­nschlich teils eine schwierige Konstellat­ion. Aktuell wollen (oberes Bild) Manuel Neuer (links) und Marc-André ter Stegen im Kasten stehen. Früher krachte es (Bild links unten) zwischen Uli Stein (links) und Toni Schumacher (Mitte), vor der WM 2006 (Bild rechts unten) lieferten sich Oliver Kahn (links) und Jens Lehmann einen Kampf um den Platz im DFB-Tor.
Fotos: Witters, Imago, dpa Zwei gute Torhüter – das ist sportlich eine gute, zwischenme­nschlich teils eine schwierige Konstellat­ion. Aktuell wollen (oberes Bild) Manuel Neuer (links) und Marc-André ter Stegen im Kasten stehen. Früher krachte es (Bild links unten) zwischen Uli Stein (links) und Toni Schumacher (Mitte), vor der WM 2006 (Bild rechts unten) lieferten sich Oliver Kahn (links) und Jens Lehmann einen Kampf um den Platz im DFB-Tor.
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