Wird das Wohnen für sie bald zu teuer?
Mehrere Familien in Kriegshaber leben teils seit Jahrzehnten in ihren eigenen Häusern. Jetzt haben sie Angst, ihre Immobilien verlassen zu müssen, und fordern schnell Klarheit
Frieda Siemes zeigt auf das Reiheneckhaus in der Reinöhlstraße in Kriegshaber, in dem sie geboren ist. „Ich weiß nicht, wie lange ich es mir noch leisten kann, hier zu wohnen“, sagt die Rentnerin. Dabei gehört das Haus zwar ihr, aber der Boden, auf dem es steht, dem Freistaat Bayern. Der Vertrag über die Nutzung des Grundstücks, im Jahr 1923 geschlossen, läuft Mitte 2021 ab. Doch bisher hat sich der Freistaat nicht dazu geäußert, wie es für Siemes weitergehen soll. So wie es aussieht, kommen auf sie und ihre Nachbarn aber erhebliche Zahlungen zu.
Neben Siemes sind noch zwei Handvoll weiterer Bewohner der sogenannten Heimstätten-Siedlung nahe der Kirche St. Thaddäus von dem auslaufenden Erbbaurecht betroffen. Das Instrument diente vor 100 Jahren dazu, weniger betuchten Bürgern den Erwerb von Immobilieneigentum zu ermöglichen und die Bodenspekulation einzudämmen. Mehr als 100 Grundstücke stellte der Freistaat damals in Kriegshaber als Erbpachtgrundstücke zur Verfügung. Die Grundstücke blieben im Eigentum des Landes, die Bewohner durften die Grundstücke bebauen und bezahlen seitdem einen Erbpachtzins. Im Fall von Siemes’ Grundstück sind es aktuell 92 Euro jährlich – für ein 380 Quadratmeter großes Grundstück ist das quasi geschenkt. „Wenn jetzt eine Erhöhung kommt, ist das in Ordnung“, sagt Siemes. „Der Freistaat ist keine Wohltätigkeitseinrichtung, aber der künftige Betrag sollte bezahlbar sein. Jeder, auch der Freistaat, redet ja gerade von bezahlbarem Wohnraum.“
Bei den Bewohnern in Kriegshaber gibt es inzwischen zwar einen umfangreichen Schriftwechsel mit der staatlichen Immobilienverwaltung, doch daraus wird nicht klar, ob sie bleiben können und falls ja, zu welchen Konditionen. Inzwischen ist auch eine Petition im Landtag anhängig.
Grundsätzlich, so das Bauministerium auf Anfrage, wolle man bei ablaufenden Erbpachtverträgen den Bewohnern ermöglichen, weiter dort wohnen zu bleiben. Allerdings werde aus haushaltsrechtlichen Gründen künftig mehr Pacht verlangt werden müssen, so eine Sprecherin. Doch der eigentliche Haken liegt woanders: In Erbpachtverträgen ist für den Fall des Auslaufens festgelegt, dass der Hauseigentümer vom Grundeigentümer eine Entschädigung für die Immobilie bekommt, die auf dem Grundstück steht. Oft läuft es auf zwei Drittel des Wertes hinaus. Danach gehören Boden und Haus dem Grundeigentümer, in diesem Fall dem Freistaat.
Für den Fall, dass die Bewohner in Kriegshaber über 2021 hinaus weiter in den Häusern wohnen bleiben wollen, will der Freistaat sie zunächst für ihre Immobilie teilentschädigen und anschließend eine Ablöse über den vollen Wert der Häuser haben, damit sie für die nächste Vertragsperiode ins Eigentum der Bewohner übergehen. „Wir müssten dann die von uns gebauten oder gekauften Häuser quasi ein zweites Mal kaufen“, sagt Siemes.
Sie und ihre Nachbarn ärgert, dass sie weniger als zwei Jahre vor dem Auslaufen des Vertrags nichts Schriftliches in den Händen halten. „Wenn wir uns etwas anders suchen müssten, dann wäre es jetzt höchste Zeit“, sagen Simona und Roman Pucko. „Aber wir wissen auch: Die Mieten sind teuer und Eigentum ist inzwischen noch unerschwinglicher geworden als vor ein paar Jahren. Wir schlafen schlecht“, so die Eheleute, die vor fünf Jahren mit ihren zwei Kindern einzogen.
Sie hatten damals darauf gehofft, das Grundstück vom Freistaat kaufen zu können, wie es viele der Nachbarn in den 1980er Jahren getan hatten. Dem Voreigentümer ihres Hauses hatte der Freistaat noch einen Verkauf des Grundstücks angeboten, doch 2017, als die Puckos Eigentümer des Hauses waren, beschloss das Finanzministerium, dass keine Grundstücke mehr verkauft werden sollen. Eine Kaufanfrage der Puckos wurde negativ beschieden. „Es wäre schön gewesen, wenn man uns zuvor noch einen entsprechenden Hinweis gegeben hätte“, so Siemes. Die Puckos haben nach ihrem Einzug einen neuen Erbpachtvertrag über 60 Jahre mit dem Freistaat abgeschlossen, allerdings verunsichert sie die Lage in der Nachbarschaft. Laut Bauministerium wird sich noch der Finanzausschuss des Landtags noch mit dem Thema von auslaufenden Erbbaurechten befassen müssen. Erst danach könne man verbindliche Aussagen zu den Häusern in Kriegshaber machen.
Wie viele Grundstücke in Augsburg insgesamt in Erbpacht vergeben sind, ist unklar. Das Registergericht führt dazu keine eigene Statistik. Rechnet man die Zahlen zusammen, kommen die Stadt Augsburg mit den von ihr verwalteten Stiftungen sowie die Kirchen auf etwa 600 Grundstücke. Auf manchen stehen Mehrfamilienhäuser, sodass viele Bewohner betroffen sind, andere werden für Gewerbe oder andere Zwecke genutzt. Hinzu kommen noch Grundstücke, die von Stiftungen oder dem Freistaat in Erbpacht vergeben werden.
Das Instrument der Erbpacht wird aktuell angesichts davongaloppierender Bodenpreise auch in der Augsburger Kommunalpolitik verstärkt diskutiert. Die Stadt vergibt seit 2009 im Rahmen ihres Familienprogramms neben geförderten Grundstücken auch Erbbaurechte, verbunden mit einer späteren Kaufmöglichkeit. So sollen bauwillige Familien, die von einem Eigenheim träumen, zumindest bei der Finanzierung eines Grundstücks unterstützt werden. Das Programm wurde für die Baugebiete „Ellgauer Weg“, „Kurt-Schumacher-Straße“und „Feuerdornweg“umgesetzt und soll etwa im zu entwickelnden Baugebiet an der Wernhüterstraße (Lechhausen) fortgesetzt werden.
Die Bodenpreise sind in Augsburg aktuell einer der größten Preistreiber bei den Immobilienpreisen. Zwischen 2014 bis 2016 stiegen die Preise für ein unbebautes Grundstück zur Einfamilienhaus-Bebauung im Schnitt um 25 bis 30 Prozent, so der städtische Gutachterausschuss. Die Zahlen zur Preisentwicklung der vergangenen zwei Jahre werden aktuell aufbereitet, liegen aber noch nicht vor.