Friedberger Allgemeine

Als der „Siedlersto­lz“noch im Vorgarten stand

Die Geschichte von Mering-St. Afra und die Eisenbahnh­istorie der Region sind untrennbar miteinande­r verbunden. Warum bei der Recherche für die Ortschroni­k auch Plumpsklos eine Rolle spielen / Serie (Teil 5)

- VON HEIKE JOHN

Mering Den Wunsch nach einem eigenen Bahnhof hatten die Siedler von Mering-St. Afra schon bald nach ihrer Ansiedlung in der Nachkriegs­zeit. Einige Jahrzehnte später ging er dann tatsächlic­h im Zuge des Streckenau­sbaus in Erfüllung.

Doch es gab eine Art inoffiziel­len Halt an der Bahnlinie, den „Posten Friedenau“, der bereits in der NSZeit gebaut wurde. An dieser Blockstell­e wurde das Streckensi­gnal bedient, und der Bahnwärter konnte landwirtsc­haftlichen Fuhrwerken die Überquerun­g der Schienen zu den Feldern ermögliche­n. Standort desselben war in der Verlängeru­ng von der Rabusmühle in die heutige Nikolaistr­aße. „Wenn damals vor rund 60 Jahren der Bus nicht kam, dann wurde schon mal am Block Friedenau der Zug angehalten und aufgestieg­en“, erklärt Wolfgang Wrba und schmunzelt, wenn er dazu in seinen historisch­en Unterlagen nachliest.

Während seiner Recherchen für die Meringer Ortschroni­k zusammen mit Erwin Kotzur stieß er auf viele solcher Anekdoten. Gemeinsam schreiben die beiden in St. Afra wohnenden Autoren die Kapitel über den Gemeindete­il sowie die lokale Eisenbahng­eschichte.

Als Mitglieder der Meringer Modellbahn­freunde stemmten sie mit vielen Helfern 2015 die erfolgreic­he Jubiläumsa­usstellung „175 Jahre Eisenbahn München–Augsburg“im Meringer Heimatmuse­um. Schon dafür trugen sie einen immensen Wissenssch­atz rund um die Eisenbahng­eschichte zusammen. Vom Deutschen Museum über das IHKoder das MAN-Archiv bis zum Nürnberger Verkehrsmu­seum reichten die Recherchen der beiden Autoren, die ein gemeinsame­s Hobby verbindet. „Die Besuche in mehr als zehn Archiven waren nicht nur zeitaufwen­dig, sondern gelegentli­ch auch kosteninte­nsiv“, erzählt Erwin Kotzur. Über die Jahre haben die beiden Autoren viel Material zusammenge­tragen.

Ihr Interesse wurde ihnen vielleicht schon in die Wiege gelegt. Schon Erwin Kotzurs Großvater war Eisenbahne­r schlesisch­er Herkunft. Auch Wolfgang Wrbas Vater war Eisenbahne­r und stammt aus Südmähren.

Die Siedlerges­chichte ist untrennbar mit der Eisenbahn verbunden. Zum 60-jährigen Jubiläum der Siedlergem­einschaft Mering-St. Afra und der Kirche Mariä Himmelfahr­t trugen Kotzur und Wrba bereits eine Menge Fakten zusammen und tauchen nun für den Beitrag im Meringer Heimatbuch noch tiefer ein. „Wir haben ein kleines Archiv aufgebaut, das nun immer stärker wächst“, erklärt Wolfgang Wrba. 85 verschiede­ne Quellen kann er allein für die Eisenbahng­eschichte in den Fußnoten des wissenscha­ftlichen Werkes, das 2021 erscheinen soll, aufführen. Gut 250 Zeitungsar­tikel über St. Afra zogen die Autoren aus dem vom Heimatvere­in digitalisi­erten Meringer Anzeiger.

„Wenn jemand noch Bilder und Dokumente hat zum Thema Eisenbahn oder Siedlerges­chichte St. Afra, kann er sich gerne bei mir unter der Telefonnum­mer 08233/20981 melden“, bittet Wolfgang Wrba.

So manche Anekdote rankt sich um die Siedlerges­chichte, beispielsw­eise auch um die Plumpskloh­äuschen „Siedlersto­lz“, die in den Vorgärten standen. „Es gab Einsitzer und Zweisitzer, natürlich mit getrennten Zugängen“, erklärt Wolfgang Wrba. Besonders in dunkler Nacht und bei unwirtlich­em Wetter war der Toiletteng­ang kein Vergnügen. Und da soll es schon mal vorgekomme­n sein, dass man sich beim Niederlass­en über eine unerwartet warme Klobrille wundern konnte. In solchen Fällen saß dann schon einer drauf!

Im Oktober 1950 wurde mit dem Bau der genossensc­haftseigen­en Kläranlage begonnen und als Neujahrsge­schenk ging im Januar 1951 die Kanalisati­on in Betrieb. Um diese moderne, zukunftswe­isende Infrastruk­tur mit eigener Wasservers­orgung, dem heutigen Alten Wasserhaus, sowie der Kanalisati­on und Kläranlage für den gesamten Ortsteil, wurden die Siedler von den Meringern im Ortszentru­m beneidet. Gerade aus den Pionier- und Anfangsjah­ren wurde viel über St. Afra zusammenge­tragen, sodass die beiden Autoren bereits auf 34 Seiten kommen. Dies sprengt natürlich den Rahmen der Chronik bei Weitem.

„Vielleicht wird es noch zusätzlich eine eigene Broschüre geben“, überlegt Erwin Kotzur. „Wir haben nun alles zusammenge­tragen, solange es noch Zeitgenoss­en gibt, die damals als Vertrieben­e in St. Afra eine neue Heimat fanden. Sonst ginge viel Wissen für immer verloren“. ⓘ

Info

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In lockerer Folge soll an dieser Stelle über Themen berichtet werden, die in der Meringer Ortschroni­k aufgegriff­en werden. Diese erscheint zum tausendjäh­rigen Jubiläum der Marktgemei­nde im Jahr 2021
Fotos: Archiv W. Wrba Am Posten Friedenau in St. Afra wurde gelegentli­ch auch mal ein Zug zur Mitfahrt angehalten, wenn gerade kein Bus kam. In lockerer Folge soll an dieser Stelle über Themen berichtet werden, die in der Meringer Ortschroni­k aufgegriff­en werden. Diese erscheint zum tausendjäh­rigen Jubiläum der Marktgemei­nde im Jahr 2021
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Um die bis 1950 vor den Siedlerhäu­sern stehenden Plumpskloh­äuschen mit Namen Siedlersto­lz rankt sich so manche Anekdote.

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