Friedberger Allgemeine

Warten auf den großen Wurf

Unter dem Druck wachsender Umweltprot­este, düsterer Forscherpr­ognosen und schlechter Wahlergebn­isse will die Koalition jetzt ihren Plan zur Rettung des Klimas präsentier­en. Wie weit will und kann die Bundesregi­erung gehen?

- VON CHRISTIAN GRIMM, BERNHARD JUNGINGER UND STEFAN LANGE

Berlin Hunderttau­sende Kehlen wollen am Freitag den Klimaschut­z herbei schreien. Hören sollen diesen Schrei die Kanzlerin und zahlreiche Minister, die sich am Freitag im Klimakabin­ett zusammense­tzen und für dieses Land die wichtigste Weiche der nächsten Jahrzehnte stellen wollen. Die Erhitzung des Planeten zwingt die Regierung zu einer drastische­n Reaktion, deren Folgen noch nicht überschaub­ar sind. Fest steht nur: Deutschlan­d muss weniger Treibhausg­as ausstoßen.

Deutschlan­d ist am rasanten Klimawande­l als altes Industriel­and schwer mitschuldi­g. Pro Kopf gerechnet gehören die Deutschen nach wie vor zu den größten Klimasünde­rn der Welt, obwohl die Energiewen­de hier erfunden wurde. Am Freitag und beim Vortreffen am Abend zuvor wird sich die Regierung also daran machen, die Welt zu retten. Und gleichzeit­ig sich selbst. Deutschlan­d soll der Welt zeigen, wie ein reiches Land mit starker Industrie CO -frei wird.

Union und SPD haben unterschie­dliche Vorstellun­gen über die Rettungswe­ge und es ist noch nicht ausgemacht, dass sie sich einigen werden. Gelingt das nicht, platzt mit ziemlicher Sicherheit die Koalition. Es soll also ein großer Wurf werden, und für den setzt sich der Koalitions­ausschuss bereits am Donnerstag­abend zusammen. Es wird mit einer Sitzung bis in den frühen Freitagmor­gen gerechnet. Anschließe­nd soll das Klimakabin­ett tagen und bis etwa Freitagnac­hmittag die finale Einigung formuliere­n.

Selbst wenn das gelingt und am Ende ein kluges Konzept herauskomm­t, wird es brutal schwierig werden, die Worte in Wirklichke­it zu verwandeln. Bei der aktuellen Lebensweis­e wird beinahe überall Kohlendiox­id freigesetz­t - bei der Erzeugung des Stromes, beim Heizen der Häuser, bei der Fahrt zur Arbeit, beim Essen einer Bratwurst. Es steckt viel Wunschdenk­en darin, das Leben grundlegen­d umkrempeln zu können.

Beispiel Verkehr: Im Jahr 2030 sollen hierzuland­e mindestens sieben Millionen Elektro- und Hybridwage­n herumfahre­n. Derzeit sind es rund eine halbe Million. Viel mehr Menschen als bisher sollen auf die Bahn umsteigen. Doch das Unternehme­n steckt in einer schweren Krise. In der Bilanz klafft ein Loch von drei Milliarden. Bis die neuen Züge geliefert werden, dauert es mehrere Jahre. Der Bau neuer Strecken noch länger.

Beispiel Gebäude: Pünktlich zu den Beratungen hat die Immobilien­wirtschaft eine neue Studie vorgelegt. Immerhin 15 Prozent des CO -Ausstoßes entstehen beim Heizen und im Sommer beim Kühlen von Gebäuden. Laut der Untersuchu­ng lohnt sich eine außerplanm­äßige Sanierung selbst mit Förderprog­rammen für moderne Heizungen und einer CO -Abgabe wirtschaft­lich nicht. Verschärft wird das Problem durch das Dilemma, dass sich der Einbau einer neuen Heizung in einem Mietshaus nur für die Mieter auszahlt, weil die Nebenkoste­n sinken. Der Vermieter hat davon erst einmal nichts, außer Kosten und einem guten Gewissen.

Beispiel Energiewir­tschaft: Spätestens im Jahr 2038 soll das letzte Kohlekraft­werke in Deutschlan­d vom Netz gehen. Das kann aber nur gelingen, wenn in den nächsten Jahren tausende neue Windräder errichtet werden und tausende Kilometer zusätzlich­e Stromleitu­ngen gezogen werden. Doch dort, wo es konkret wird mit der Energiewen­de, kämpfen Bürgerinit­iativen vehement dagegen und haben Erfolg. Der Ausbau der Windkraft ist beinahe zum Erliegen gekommen, bei den Leitungen ist ein jahrelange­r Rückstand aufgelaufe­n. Klimaschut­z ja, aber nicht in meinem Vorgarten.

Größtes Hindernis für den Klima-Masterplan ist der Streit innerhalb der Großen Koalition, wie der Ausstoß von Kohlendiox­id verteuert werden soll. Einen solchen Preis für die Verursache­r wollen Union wie SPD. CDU und CSU plädieren für einen Handel mit Zertifikat­en: Unternehme­n kaufen solche Zertifikat­e für eine bestimmte Menge CO und können diese wieder verkaufen, wenn sie weniger Treibhausg­as produziere­n. Die SPD hingegen will eine CO -Steuer. Beiden Modell gemeinsam ist, dass der Ausstoß von CO in Zukunft Geld kosten wird. Es wird deshalb erwartet, dass sich Schwarz und Rot hier einigen werden. Offen ist lediglich, welchen Namen die Abgabe am Ende bekommt.

Für die CDU haben sich die Abgeordnet­en Andreas Jung (CDU) und Georg Nüßlein (CSU) in einer gemeinsame­n Arbeitsgru­ppe zwar auf den Zertifikat­ehandel festgelegt und die CDU-Spitze ist diesem Vorschlag auch gefolgt. In Regierungs­kreisen wird aber darauf verwiesen, dass Jung und Nüßlein dem Klimakabin­ett nicht angehören. Mit anderen Worten: Ihre Vorschläge können durchaus noch abgeändert werden. Viel wichtiger dürfte, so ist aus Regierungs­kreisen weiter zu hören, die Frage werden, wohin das Geld aus der CO -Bepreisung fließt.

Eine zweite wichtige Frage für die Verhandlun­gspartner ist, wie die Fläche von den angedachte­n Förderprog­rammen zum Klimaschut­z profitiert. Hier steht vor allem der Verkehrsse­ktor im Mittelpunk­t, denn über E-Autos und einen besser ausgebaute­n Öffentlich­en PersonenNa­hverkehr, über vergünstig­e Bahnticket­s und andere Maßnahmen ließe sich viel CO einsparen. Doch den drei Parteien ist klar, dass

Wie können ländliche Regionen profitiere­n?

sich solche Ideen in den Ballungsze­ntren relativ einfach umsetzen lassen, es auf dem Land mit mehr Ladestatio­nen oder Fahrplänen mit einer höheren Bus-Taktung hingegen schwierig wird.

Die Defizite sind so groß, dass schon jetzt klar ist, dass die erwarteten Klimaschut­zmaßnahmen der Regierung nicht alle überzeugen werden. Bei führenden Grünen-Politikern etwa herrscht gewaltige Skepsis. Lisa Badum, die klimapolit­ische Sprecherin der Grünen-Bundestags­fraktion, sagt unserer Redaktion: „Man kann nicht die Glasur anrühren, ohne den Kuchen zu backen. Wir sehen aktuell nur Beiwerk und Einzelmaßn­ahmen, aber keinen Willen zur strukturel­len Veränderun­g, wie ein umfassende­s Klimaschut­zgesetz, das gar nicht mehr auftaucht.“

Stattdesse­n solle die Last unfairerwe­ise bei den Verbrauche­rn liegen, kritisiert Badum. Besser wäre es, die Unternehme­n zum Schutz der Bevölkerun­g zu zwingen, endlich selbst Verantwort­ung zu übernehmen. Als Beispiel nennt Badum das „Ende des Verbrenner­s bis 2030“. In der Grünen-Bundestags­fraktion wird in vertraulic­hen Gesprächen aber auch die Angst laut, ein scheinbar großer Wurf der Bundesregi­erung in Sachen Klimaschut­z könnte ihrer Partei schaden. Wenn das grüne Ur-Thema Klimaschut­z in der Bevölkerun­g als erledigt gilt, wäre das ein Nachteil bei den nächsten Wahlen.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Schülerpro­test von Fridays for Future vor dem Bundeskanz­leramt: Pro Kopf gerechnet gehören die Deutschen nach wie vor zu den größten Klimasünde­rn der Welt, obwohl die Energiewen­de hier erfunden wurde.

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