Damit die Zeit der Amerikaner lebendig bleibt
Mit der Befreiung durch die US-Truppen beginnt im April 1945 eine neue Ära in Augsburg. Zwei Vereine wollen mit einem „Amerika-Haus“in Halle 116 daran erinnern. Welche historischen Schätze sie dort zeigen könnten
In den frühen Morgenstunden des 28. April 1945 rollen Jeeps, gepanzerte Fahrzeuge und Panzer der USArmee über Oberhausen, Kriegshaber und Pfersee in die Stadt. Es ist der Tag, an dem die Amerikaner Augsburg von der Naziherrschaft befreien und den Menschen einen neuen Anfang in einer demokratischen Gesellschaft ermöglichen. Die Amerikaner bleiben. Aus den Besatzern am Ende des Krieges werden Verbündete.
Und Zehntausende von Soldaten, ihre Angehörigen und Zivilangestellten sind fortan für 53 Jahre Teil der Geschichte dieser Stadt, des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Zwei Vereine haben sich auf die Fahnen geschrieben, die Ära der Amerikaner nicht in Vergessenheit geraten zu lassen: der Verein „Amerika in Augsburg“und die „American Car Friends“. Sie wollen die Erinnerung wach halten mit einem, wie sie sagen, in ganz Deutschland einmaligen Projekt unter dem Arbeitstitel „Das neue Amerika-Haus“.
Dieses Amerika-Haus könnte in der Halle 116 der ehemaligen Sheridan-Kaserne in Pfersee angesiedelt werden, räumlich im Anschluss an die geplante Erinnerungsstätte für die dort im letzten Weltkriegsjahr untergebrachten Zwangsarbeiter.
Das Nebeneinander zwischen Gedenkort und Amerika-Haus könnte symbolisch an ein besonderes Ereignis erinnern. Denn bereits zwei Tage vor dem Einmarsch in die Stadt befreiten Truppen der 12. USPanzerdivision in einem Wald bei Klimmach nahe Schwabmünchen die Häftlinge des Blocks 116, die sich dort auf einem Todesmarsch befanden. Ein historisches Fotodokument aus dem US-National-Archiv zeigt die GIs in einem Waldstück am Tag nach der Aktion.
Schon jetzt haben die beiden amerika-affinen Vereine ihr Domizil in der Halle 116, belegen dort in guter Nachbarschaft einige „Bays“, wie die Einzelabschnitte genannt werden. Bei dem geplanten Projekt ziehen beide Vereine an einem Strang, wenn sie auch unterschiedliche Zielsetzung haben: Die „American Car Friends“mit rund 60 Mitgliedern leben den „American Way of Life“in all seinen Facetten – mit Musik, Kleidung und Literatur, präsentieren wunderschöne alte Straßenkreuzer, vom chromblitzenden „Chevi“bis zum edlen „Cadillac“. „Aber wir sind keinesfalls ein Party-Club“, macht Vorsitzender Harm Ritter deutlich.
Der Verein „Amerika in Augsburg“will die historischen Fakten bewahren, die Geschichte der USPräsenz in der Stadt, das Leben und Wirken der Amerikaner inner- und außerhalb der Kasernen. „Die Amerikaner haben Jahrzehnte einfach zu Augsburg gehört, die Menschen haben sie täglich erlebt“, erinnert der Beim Plärrerumzug 2008 marschieren US-Soldaten als Freunde mit. Das Foto wurde an derselben Stelle aufgenommen, wie das oben.
Vereinsvorsitzende Max Lohrmann, der die Geschichte der Army in allen Verästelungen, mit allen Details, präsent hat. Er entpuppt sich als ein wandelndes GeschichtsArchiv. Seit vielen Jahren haben er und seine Mitstreiter Tausende von teils einmaligen Dokumenten, Raritäten und Artefakten gesammelt, die sonst unwiederbringlich verloren gegangen wären. Bei ihren zahllosen Streifzügen über die Kasernengelände nach dem Abzug der Amerikaner haben sie vor den Abrissbirnen der Bagger „gerettet, was zu retten war“und großteils im „Building 116“eingelagert.
Neben ungezählten Schildern und Kasernenutensilien wie Schreibmaschinen und Telefonen lagern im „Magazin“auch skurrile Fundstücke. So zwei große Reliefs aus Naturstein, die eine Feldküche und eine Feldbäckerei der Deutschen Wehrmacht zeigen. Sie waren bis zuletzt über Kantinen-Eingangstüren in der Sheridan-Kaserne angebracht. Ein weiteres Steinrelief aus der Reese-Kaserne, ebenfalls in den
1930er-Jahren über einer Tür eingebaut, zeigt einen deutschen Offiziershelm von 1914.
Kurios ist die Geschichte einer kanadischen Konservendose. Vor dem Neubau der Turnhalle des MT-Gymnasiums hatten städtischen Archäologen nach möglichen römischen Funden gegraben. Dabei stießen sie auf eine Hitler-Büste, halb verbrannte Nazi-Armbinden und Liedtexte aus dem Dritten Reich. Und eben auf die nicht dazu passende Konservenbüchse aus dem fernen Kanada. Des Rätsels Lösung: Von 1944 bis Kriegsende hatte die NSDAP Schwaben das Gebäude in der Gutenbergstraße besetzt. Vor dem Einmarsch der US-Armee räumten sie fluchtartig den Parteisitz. Die Amerikaner besetzten nun selbst das Haus, warfen alle NaziUtensilien in eine Grube und zündeten sie an. Dabei muss ein GI die Konservendose ebenfalls in dem Erdloch entsorgt haben. An die „Stunde Null“erinnert auch noch eine original Cola-Flasche aus dem Jahr 1945.
Riesig ist der Fundus an Fotound Schriftdokumenten. „Und wir stöbern immer wieder etwas auf“, freut sich Max Lohrmann, dass die Sammlung weiterhin ergänzt wird. Hinter jedem Dokument verbirgt sich eine Geschichte. In einem Brief vom 6. Juli 1948, der in die USA gesandt wird, bittet jemand um ein Care-Paket. Adressat ist die Familie eines Augsburger Ingenieurs, der während des Krieges bei der MAN U-Boot-Motoren gebaut hatte. Die Amerikaner holten den Experten 1945 sofort in die Staaten, wo er bis 1953 den USA zu Diensten war. Seine Ehefrau gründete nach der Rückkehr in Augsburg den DeutschAmerikanischen Frauenclub.
Die Truppenzeitung der 9. Infanteriedivision von 1946, ein Foto von einem Gedenkgottesdienst für die Gefallenen am „Memorial-Day“in der Sheridan-Kaserne, Liedtexte für einen weiteren US-Gottesdienst am 17. Juni 1945 in der Sankt-Anna-Kirche, ein Album mit Fotos von Bauarbeiten der sogenannten NordSüd-Straße als Haupttransportweg für Fahrzeug und Panzer bei der Reese-Kaserne aus dem Jahr 1952 und, und, und… „Wir haben alles eingesammelt, wie mit einem Staubsauger“, beschreibt Lohrmann seine Sammelleidenschaft. Die Erinnerung an die Präsenz der Amerikaner wird nicht nur von dem Verein geteilt. Der Vorsitzende sagt: „Es gibt hier allein 41 Facebook-Gruppen, die sich über diese Zeit austauschen.“
Das Projekt „Das neue AmerikaHaus“solle, so versichert Lohrmann, keine Militaria-Sammlung sein, sondern „ein offenes Haus, das Leben und Wirken der US-Community dokumentiert und durch Zeitzeugen wiederbelebt“. Ein Projekt gegen das Vergessen der US-Präsenz – und zur Interpretation der damaligen Zeit. Die Planer sind guter Hoffnung, dass die Stadt eine positive Entscheidung trifft.
Rätsel um eine vergrabene Hitler-Büste gelöst