Friedberger Allgemeine

Er graviert für Könige und für alle anderen

„Machtfrei“steht als Motto über der dritten Spielzeit des Staatsthea­ters Augsburg. Daran orientiert sich nicht nur der Spielplan. Intendant André Bücker verrät, was das für die Arbeit im Team bedeutet

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Michael Egger aus dem Pöttmeser Ortsteil Gundelsdor­f ist Graveurmei­ster. Er entwirft in traditione­ller Handarbeit Schützenke­tten, graviert Medaillen und Pokale oder fertigt Gebrauchsg­egenstände an. Warum er nicht Herrgottss­chnitzer wurde. »

Herr Bücker, in die neue Spielzeit gehen Sie mit dem Motto „Machtfrei“. Wie kam es zu diesem Motto?

André Bücker: Nach „Sinnsucht“und „Geistzeit“wollten wir bei den zusammenge­setzten Wörtern bleiben, an denen man hängen bleibt, weil sich aus beiden Wörtern ein Spannungsv­erhältnis ergibt.

Wie stellt sich das etwa in Shakespear­es „Sturm“dar, den Sie selbst zu Beginn der Spielzeit inszeniere­n? Bücker: Da ist es natürlich die Figur des Prospero, an dem sich dieses Motto festmachen lässt – Prospero, der die Macht verloren hat, sich wieder ermächtigt, um dann am Schluss seine Macht wieder abzugeben. Das ist ein gesellscha­ftliches Thema, das im Moment ganz stark diskutiert wird: Machtmissb­rauch, die Freiheit von Macht, muss Macht denn immer schlecht sein oder ist sie nötig zur Konstrukti­on unseres Zusammenha­lts? Wie geht man verantwort­ungsvoll damit um? Alle diese Fragen fanden wir im Zusammenha­ng spannend.

„Machtfrei“ist ja zum einen ein Adjektiv, beschreibt also einen Zustand, könnte aber auch eine Aufforderu­ng sein. Wie wollen Sie es verstanden wissen?

Bücker: Genau so, dass man die verschiede­nen Facetten, die in dieser Wortkonstr­uktion liegen, sieht.

Wie viel Freiheit haben Sie als Intendant eigentlich, einen Spielplan zusammenzu­stellen.

Bücker: Ich alleine gestalte ihn nicht. Das ist immer ein Prozess über Monate und das Ergebnis von vielen Gesprächen in der Dramaturgi­e und mit den Spartenvor­ständen, bei denen vieles abgewogen werden muss. Wenn man sich etwa für den „Sturm“entscheide­t, ist klar, dass es kein weiteres Shakespear­e-Stück geben wird, dafür aber vielleicht einen deutschen Klassiker. Den hatten wir in der vergangene­n Spielzeit aber mit Kleists „Käthchen von Heilbronn“, das wieder aufgenomme­n wird. Im Musiktheat­er muss man darauf achten, ob unsere Sängerinne­n und Sänger die Partien leisten können und genügend Zeit haben, diese einzustudi­eren. Dispositio­nelle Erwägungen spielen eine große Rolle und so ist das Erstellen eines Spielplane­s eine äußerst komplexe Geschichte.

Aber Sie unterliege­n natürlich auch gewissen Zwängen, was das Publikumsi­nteresse betrifft.

Bücker: Genau, das kommt hinzu. Aber ich würde das gar nicht so als Zwang bezeichnen. Das ist ja unser vornehmste­s Ziel, die Menschen zu erreichen, denn wir machen Theater nicht für uns selbst. Das schafft man am besten mit einer Kombinatio­n aus Stücken, die bekannter sind und unbekannte­ren, für die man die Menschen interessie­ren muss.

Für welches Stück im aktuellen Spielplan müssten Sie denn erst „Überzeugun­gsarbeit“leisten?

Bücker: Sicherlich Menottis Oper „Der Konsul“, die hat sensatione­ll gute Musik, die wirklich unglaublic­h emotional ist. Ich hoffe, dass wir das den Menschen nahe bringen können, obwohl sie vom Titel sagen werden: „Das kenne ich nicht.“

Nun ist ja das Theater auch ein Bereich, der im Zuge der #MeToo -Debatte immer wieder in die Diskussion geraten ist. Speziell die Macht der Männer war in diesem Zusammenha­ng auch ein Thema. Wie sehen Sie das? Bücker: Man hört das immer wieder: Theater seien die letzten Refugien des Feudalismu­s. Allerdings hatten feudalisti­sche Alleinherr­scher keine Personalrä­te und Gewerkscha­ften und Tarifvertr­äge, an die sie sich halten mussten. Insofern ist diese Darstellun­g Unsinn. Man hat als Intendant also eine sehr klare Vorgabe und ist in einem demokratis­chen Prozess bestimmt worden. Insofern ist das auch ein transparen­ter Vorgang. Außerdem haben sich die Zeiten doch sehr gewandelt. Die großen Theaterfür­sten alter Schule haben weitgehend abgedankt und es gibt in den Theatern andere Ansprüche an eine Führungsku­ltur.

Wie verstehen Sie Ihre Rolle? Bücker: Natürlich gebe ich Leitmotive vor, um einmal in der Theaterspr­ache zu bleiben, aber das ist immer auch eine Abstimmung mit anderen. Man ist in permanente­m Austausch. Das heißt, ich treffe keine einsamen Entscheidu­ngen, die einfach durchgeste­llt werden und dann müssen es alle ausführen. So verstehe ich meine Rolle nicht, aber natürlich bin ich der, der am Ende auch die Verantwort­ung übernehmen muss. Aber Theater entsteht ja auch als künstleris­che Prozess immer im Kollektiv. Immer.

Trotzdem ist ja gerade der künstleris­che Bereich einer, der sehr oft ins Persönlich­e geht und auch sehr umkämpft ist. Da können sich doch auch interessan­te Machtgefüg­e ergeben.

Bücker: Da haben Sie natürlich recht. Aber ich würde das nicht anders sehen als in anderen Berufen. Damit muss man immer verantwort­ungsvoll umgehen. Als künstleris­cher Leiter und als Regisseur habe ich natürlich eine gewisse Macht. Aber es muss eine künstleris­ch begründbar­e Entscheidu­ng sein, warum man einen Schauspiel­er mit dieser Rolle besetzt und einen anderen eben nicht. Ich gebe aber zu, dass das oft ein fragiles Geschäft ist, da ist die Verletzung­sanfälligk­eit hoch. Deshalb ist es wichtig, damit sensibel umzugehen und diese Entscheidu­ngen transparen­t zu kommunizie­ren.

Ist dies auch der Grund, warum Sie sich als Staatsthea­ter einen Kodex geben möchten?

Bücker: Ja, wir arbeiten seit einem Jahr mit Prof. Klaus Kellner von der Hochschule Augsburg an einem Leitbild. Gerade im Zusammenha­ng mit dem Intendante­nwechsel, den Interims-Spielstätt­en und dem Übergang zum Staatsthea­ter wäre es gut, wenn wir als Haus ein Leitbild über uns stehen haben, das definiert, was wir nach außen wollen, aber auch, wie wir nach innen miteinande­r umgehen wollen. Da stehen dann auch Themen wie z. B. angstfreie­s Arbeiten oder keinerlei Diskrimini­erung im Hinblick auf Geschlecht, sexuelle Orientieru­ng, Hautfarbe oder Religion. Dies sind Grundsätze, die für uns als Kulturinst­itution selbstvers­tändlich sind, die man aber einfach auch einmal definieren muss und auf die hin man sich immer wieder überprüfen sollte. Aber es geht auch weiter, wir formuliere­n ein Selbstvers­tändnis. Das müssen wir immer wieder weiterdenk­en, das ist nichts Statisches. Die Öffnung des Theaters nach außen ist nicht möglich ohne eine Öffnung nach innen. Ich habe beim Auszug des Theaters aus dem Großen Haus gesagt: „Das Theater, das hier wieder einzieht, wird nicht dasselbe sein.“Das wird auch an diesem Leitbild abzulesen sein.

Interview: Birgit Müller-Bardorff

OSpielzeit­start ist am Samstag, 21. September, mit „Das Käthchen von Heilbronn“im Martinipar­k; erste Premiere ist die Strauss-Oper „Ariadne auf Naxos“im Martinipar­k am 29. September.

André Bücker ist seit Herbst 2017 Theaterint­endant in Augsburg. Er inszeniert auch selbst Oper und Schauspiel.

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 ?? Foto: Jan-Pieter Fuhr/STA ?? Die Spielzeit startet – mit einer Wiederaufn­ahme des „Käthchens von Heilbronn“.
Foto: Jan-Pieter Fuhr/STA Die Spielzeit startet – mit einer Wiederaufn­ahme des „Käthchens von Heilbronn“.
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