Friedberger Allgemeine

Fast 60 Stunden am Stück auf dem Rad

Hubertus Reichert fuhr über 1200 Kilometer von Paris nach Brest und zurück. Was den Bobinger antreibt und wie ihn seine Frau auf seinen außergewöh­nliche Touren unterstütz­t

- VON HIERONYMUS SCHNEIDER

Bobingen Ein Tag ohne Radfahren ist für Hubertus Reichert ein verlorener Tag. Bei jedem Wetter fährt er zu jeder Jahreszeit fast täglich von seinem Haus in der Bobinger Point zu seiner Arbeitsste­lle nach Augsburg, und am Wochenende sind dann Familienra­dtouren mit der Ehefrau und manchmal auch seinen beiden Söhnen angesagt. Das ist noch einigermaß­en normal, doch was der 55-Jährige im August in Frankreich geleistet hat, übersteigt die Vorstellun­gen auch der passionier­testen Hobbyradle­r bei Weitem.

Dort findet alle vier Jahre die große Radrundfah­rt Paris–Brest–Paris statt, ein Ereignis, an dem rund 6500 Radler aus aller Welt teilnehmen. Diese Randonneur ist kein Radrennen, sondern eine Tour, zu der keine Radprofis zugelassen sind. Denn es geht nicht darum, als Schnellste­r ins Ziel zu kommen, sondern die 1220 Kilometer innerhalb eines Zeitlimits von maximal 96 Stunden zu bewältigen. Zugelassen werden nur Radfahrer, die sich vorher in vier Qualifikat­ionsbrevie­rs als Ausdauerra­dler erwiesen haben. Hubertus Reichert absolviert­e die Qualifikat­ion bei einem anerkannte­n Veranstalt­er in Treuchtlin­gen.

Nachdem die Randonneur 2019 im Schloss Rambouille­t im Südwesten von Paris gestartet worden war, hatten die Teilnehmer vier Tage Zeit, um nach Brest an die Atlantikkü­ste und wieder zurück nach Rambouille­t zu fahren. Die Zeiteintei­lung ist dabei jedem selbst überlassen. Viele nehmen Schlafsäck­e oder Decken mit, um ein paar Stunden zu schlafen. Auch eine Übernachtu­ng in einem Hotel oder Gasthof ist erlaubt. Man muss nur innerhalb von 96 Stunden auf der vorgegeben­en Strecke auf Landstraße­n wieder zurückkomm­en. An 15 Kontrollst­ellen werden die Radler anhand ihrer Fahrerkart­e registrier­t, und dabei kann auch Verpflegun­g aufgenomme­n werden.

Hubertus Reichert entschied sich dazu, am Montagmorg­en um 5.15 Uhr zu starten und möglichst ohne Pause durchzufah­ren. Jede Viertelstu­nde werden 300 Radfahrer in Intervalle­n auf die Strecke geschickt. Mit seinem Langstreck­enrad „Specialize­d Diverge Gravel Bike“bewältigte Reichert die 1220 Kilometer in sage und schreibe 59 Stunden. „Nur zweimal habe ich mich mal etwa eine Stunde lang an den Straßenran­d gelegt und die Augen zugemacht. Wegen der Kälte in der Nacht bin ich aber schon bald wieder aufs Rad gestiegen“, sagt der durchtrain­ierte 55-Jährige.

Für die Radbeleuch­tung verwendete er einen Nabendynam­o. Wegen des wechselhaf­ten Wetters hatte er auf der hügeligen Strecke durch die Bretagne an allen drei Tagen Gegenwind. Reichert war von der Volksfests­timmung entlang der Strecke begeistert. „Die Franzosen feiern dieses Ereignis und reichen den Fahrern auch mal Kaffee oder kalte Getränke“, erzählt er. Bei der Ankunft gegen 16.15 Uhr im Schlosshof von Rambouille­t wurde den Ausdauerra­dlern das Essen an die Tische getragen. „Das ist notwendig, weil die Finger nach den vielen Stunden auf rauem Asphalt so klamm und taub sind, dass dem einen oder anderen die Teller aus der Hand fallen. Meine Finger sind heute noch etwas taub“, erklärt Reichert.

In 59 Stunden hat er 12 000 Höhenmeter über 320 Hügel bewältigt und dabei 47 000 Kalorien verbraucht. Ehefrau Gertraud begleitete die Tour mit Bekannten im Auto und Übernachtu­ngen im Zelt. Sie begleitet ihren Mann seit Jahren bei allen seinen Extremradt­ouren.

Angefangen hat der Qualitätsm­anager eines Maschinenb­auunterneh­mens im Jahre 1994 mit Mountainbi­ke-Marathons. Mit der Zeit entdeckte er seine Leidenscha­ft für Langstreck­en auf der Straße. Einmal jährlich fährt er nonstop zum Gardasee, nahm schon an der „Elbspitze-Fahrt“von Dresden bis zum Timmelsjoc­h, am 24-Stunden-Rennen von Kelheim und an der Fahrt von Trondheim nach Oslo teil. „Radfahren ist für mich ein toller Ausgleich für den stressigen Bürojob. Und es ist natürlich auch eine Herausford­erung, seine Grenzen auszuteste­n. Aber ich genieße auf dem Rad auch die Natur“, sagt der Bobinger.

Die Randonneur 2019 Paris– Brest–Paris des Veranstalt­ers Audax Club Parisien war seine Premiere, die er in vier Jahren gerne wiederhole­n möchte. „So viele Teilnehmer aus aller Herren Länder findet man sonst nirgends“, sagt der in Mallersdor­f (Niederbaye­rn) geborene Reichert, der mit sieben Jahren mit seinen Eltern nach Inningen kam und seit 1988 mit seiner Familie im Eigenheim in Bobingen wohnt.

Insgesamt kommt Reichert auf eine Jahresleis­tung von 14 000 bis 15 000 Kilometer auf seinen sieben Fahrrädern, die in seiner Garage stehen. Als nächstes Ziel denkt er an die Mille du Sud, eine 1000 Kilometer lange Rundfahrt im Süden Frankreich­s.

Er hätte bis zu

96 Stunden brauchen dürfen

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Foto: Gertraud Reichert Hubertus Reichert saß bei der Radrundfah­rt Paris–Brest–Paris fast 60 Stunden am Stück auf dem Rad.

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