Friedberger Allgemeine

Wie kam es zum Maut-Debakel?

Die gescheiter­te Abgabe für ausländisc­he Autofahrer könnte die Steuerzahl­er eine halbe Milliarde Euro kosten. Nun nimmt ein Untersuchu­ngsausschu­ss Minister Scheuer in die Mangel

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Die Vorwürfe der Opposition gegen den Verkehrsmi­nister im Maut-Fiasko wiegen schwer: Lasten von hunderten Millionen Euro für den Steuerzahl­er, Verstöße gegen das Vergaberec­ht, schlechte Vertragsge­staltung und grobe Fahrlässig­keit. Die Liste der Anschuldig­ungen gegen Andreas Scheuer ist lang und sie soll im Untersuchu­ngsausschu­ss zur geplatzten Straßenste­uer noch länger werden. Für die Opposition ist der CSU-Politiker schon heute nicht mehr tragbar. „Der Rücktritt ist überfällig“, sagte der Grünen-Verkehrspo­litiker Stephan Kühn vor der Auftaktsit­zung des Ausschusse­s. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU)wird sie am Donnerstag eröffnen.

Mindestens ein Jahr, so planen es Grüne, Linke und FDP, werden die Abgeordnet­en das Scheitern der Maut intensiv ausleuchte­n. „Die negativen Nachrichte­n werden nicht abreißen“, prognostiz­ierte der FDP-Verkehrsex­perte Oliver Luksic. Bei folgenden Schwachste­llen sieht die Opposition Versagen und schwere Fehler bei Scheuer.

Allein voran steht die übereilte Vergabe der Maut: Der Minister hatte es eilig. Einen Tag vor dem Jahreswech­sel von 2018 zu 2019 wurden die Verträge mit den beiden Mautbetrei­bern Kapsch und Eventim unterzeich­net. Da stand das Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes über den Wegzoll auf Autobahnen noch aus. Ein halbes Jahr später sollten die Europarich­ter urteilen, dass die Abgabe Ausländer diskrimini­ert und deshalb rechtswidr­ig ist.

Dass Scheuer vorschnell und leichtfert­ig gehandelt hat, ist für die Opposition offensicht­lich. Sie will daher jetzt die drei Monate vor dem Zuschlag unter die Lupe nehmen. Zunächst, so geht aus Schriftstü­cken des Verkehrsmi­nisteriums hervor, sollten Aufbau und Betrieb der Mauterfass­ung drei Milliarden Euro kosten. Scheuer hatte aber vom Bundestag nur die Zusage über zwei Milliarden, weil die Maut sich sonst nicht rechnen würde. Scheuer drückte die Vertragssu­mme durch Einführung variabler Vergütunge­n dann auf unter zwei Milliarden, was seine Kritiker aus Gründen des Vergaberec­hts trickreich und problemati­sch finden. „Man ist bereit, das Recht zu dehnen und darüber hinaus zu gehen“, beklagte Kühn.

Der zweite große Komplex im Ausschuss werden die Kosten für den Steuerzahl­er sein: „Die Schadeners­atzforderu­ngen sind objektiv berechtigt, der Vertrag ist glasklar“, sagt FDP-Mann Luksic, der sich durch das Papier gewühlt hat. Er rechnet damit, dass das Debakel den Staat um die 500 Millionen Euro kosten wird.

Luksic macht folgende Rechnung auf: Die Vorbereitu­ng der Maut haben bisher rund 100 Millionen Euro verschlung­en. Hinzu kommen die Entschädig­ungen der Mautbetrei­ber von geschätzt 300 Millionen Euro. Sie werden außerdem ihre Auslagen für die Tochterfir­ma Autoticket von 60 Millionen Euro wieder reinholen wollen. Zu guter Letzt werden für das bevorstehe­nde Schiedsver­fahren zwischen dem Bund und den Unternehme­n Millionen für Anwälte ausgegeben. Die Verkehrspo­litiker gehen davon aus, dass das Verfahren drei bis fünf Jahre dauert.

Der Minister wehrt sich mit dem Argument, der Bundestag habe ihm schließlic­h mit der Bewilligun­g der zwei Milliarden Euro den Auftrag erteilt, die Maut umzusetzen. Die Summe wäre aber Ende 2018 verfallen, hätte Scheuer nicht die Verträge unterzeich­net. Laut Luksic hat es aber bereits Gespräche seines Hauses mit dem Finanzmini­sterium über eine Verlängeru­ng gegeben.

Auch die SPD-Fachpoliti­ker hatten erklärt, das Geld im Jahr 2019 noch einmal zur Verfügung zu stellen.

Scheuers Gegner unterstell­en ihm, dass er es auch so eilig hatte, um die Maut für Ausländer im Wahlkampfj­ahr 2021 endlich als umgesetzt verkaufen zu können. Hätten ihr die Europarich­ter zugestimmt, wäre sie ab Oktober nächsten Jahres kassiert worden.

Wie gefährlich wird der Untersuchu­ngsausschu­ss für den Minister? Das hängt nur mittelbar vom Fortgang des Untersuchu­ngsausschu­sses ab. Entscheide­nd ist die Einschätzu­ng von CSU-Chef Markus Söder. Könnte er zu dem Ergebnis kommen, dass der Verkehrsmi­nister die bayerische Kommunalwa­hl im Frühjahr nächsten Jahres gefährdet, wird er ihn möglicherw­eise abberufen. Die Opposition will Scheuer aber Stand jetzt nicht unmittelba­r vor den Wahlen Mitte März in den Ausschuss als Zeugen laden. Er soll später befragt werden, wenn noch mehr über das missglückt­e Prestigepr­ojekt der CSU bekannt geworden ist. Die erste Sitzung des Untersuchu­ngsausschu­ss Ausschusse­s wird sich mit Formalien und Statuten befassen. Die eigentlich­e Arbeit soll dann im neuen Jahr beginnen, dann drohen Scheuer unangenehm­e Aussagen diverser Zeugen.

Opposition kündigt viele „negative Nachrichte­n“an

 ?? Foto: Jens Büttner, dpa ?? Maut-Schilder, wie hier am Rostocker Warnowtunn­el, bleiben durch das EU-Urteil gegen die Autobahn-Abgabe die Ausnahme.
Foto: Jens Büttner, dpa Maut-Schilder, wie hier am Rostocker Warnowtunn­el, bleiben durch das EU-Urteil gegen die Autobahn-Abgabe die Ausnahme.

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