Mehr Krieg als Frieden
Der Ukraine-Gipfel in Paris nährt die Hoffnungen auf ein Ende des Blutvergießens im Donbass. Doch der Weg zu einer dauerhaften Konfliktlösung bleibt weit
Paris/Kiew Der russische Präsident Wladimir Putin war „zufrieden“mit dem Ukraine-Gipfel in Paris. Sein Kiewer Kollege Wolodymyr Selenskyj fand die Ergebnisse zwar „etwas mager“, den Dialog mit dem Kremlchef aber „positiv“. Die vermittelnde Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich sogar „sehr zufrieden“. Man habe realistische Dinge vereinbart. So sollen die Waffen im ostukrainischen Kriegsgebiet ab dem Jahreswechsel dauerhaft schweigen. Danach würden Truppen abgezogen, Minen geräumt und Gefangene ausgetauscht. Gastgeber Emmanuel Macron, der Vierte im Bunde des Normandie-Quartetts, erklärte später, man habe in zentralen Punkten Fortschritte erzielt. Schon im Frühjahr will man sich in Berlin wieder treffen.
Realistische Dinge. Fortschritte. Das klang nach einem nicht übermäßig ambitionierten, aber machbaren Plan, und der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, nannte gerade diesen konkreten Ansatz einen „Hoffnungsschimmer für uns alle“. Zur Wirklichkeit des Krieges im Donbass gehörte am Morgen nach dem Gipfel allerdings nicht nur der vorsichtige Optimismus der Beteiligten. Die erste Eilmeldung des Tages, die bei der Kiewer Nachrichtenagentur Interfax über den Ticker lief, informierte über den Tod von drei ukraiSoldaten an der sogenannten „Kontaktlinie“, die in Wahrheit eine Front ist.
Sieben Mal, so berichtete Interfax weiter, hätten prorussische Kämpfer am Montag, also dem Gipfeltag, im Waffenstillstandsgebiet mit schwerer Artillerie gefeuert. Parallel dazu zitierten ukrainische Morgenmagazine ausgiebig ihren Präsidenten. Immer wieder war Selenskyjs Antwort auf die Frage zu hören, warum er Putin nicht einfach als das bezeichne, was er sei: ein Aggressor. Die Antwort des jungen Staatschefs: „Wer einen Krieg beenden will, muss den Dialog suchen und sollte niemanden anspucken.“Es dürften vor allem solche Bekenntnisse des eigenen Kompromisswillens gewesen sein, die dem 41-Jährigen ein Sonderlob von Macron einbrachten. Selenskyj habe mit seinen entschlossenen Vorstößen für einen Frieden im Donbass großen Mut bewiesen.
Aber reicht das? Die Zweifel, dass die Vereinbarungen von Paris einen dauerhaften Effekt haben, bleiben auf allen Seiten des NormandieQuartetts groß. Das Format verdankt seinen Namen einem ersten Vierertreffen im Juni 2014 an der französischen Atlantikküste. Es war der Ausgangspunkt für das Minsker Abkommen, das einen Fahrplan zum Frieden festschrieb. Doch in den bald fünf Jahren, die seither vergangen sind, hat sich die Lage in den Separatistengebieten Donezk und Luhansk nicht verbessert. Mehr als 13 000 Tote haben die Beobachter der OSZE gezählt. Mehr als eine Million Menschen sind aus der Region geflohen. Macron nannnischen te dies in Paris „eine klaffende Wunde im Herzen des Kontinents“.
Die Moskauer Zeitung Kommersant brachte es auf eine weniger pathetische Formel: „Der Gipfel ist vorbei, aber der Krieg geht weiter.“In Russland, das nicht nur in der Ukraine, sondern spätestens seit der Krim-Annexion auch im Westen als eindeutiger Aggressor in dem Konflikt angesehen wird, gaben sich die Kommentatoren keinen Illusionen hin. „Eine Sensation war das nicht“, bilanzierte der nicht übermäßig kremltreue Kommersant das Pariser Treffen. Und: „Da die verabredete Truppenentflechtung nicht auf der gesamten Länge der Front erfolgen soll, wird sich der Artilleriebeschuss im Donbass fortsetzen.“
Damit rechnen auch die meisten Experten in Kiew. Der ehemalige ukrainische Außenminister, Pavlo Klimkin, urteilte: „Jeder ist in Paris bei seiner Position geblieben.“Er habe erhebliche Zweifel, dass die russische Seite mit dem Truppenrückzug Ernst machen und „auch nur das kleinste Stück okkupierter ukrainischer Erde räumen wird“. Ein Friedensvertrag für den Donbass sei unter diesen Bedingungen „im Grunde nicht vorstellbar“.
Selenskyj selbst bekannte in entwaffnender Offenheit, Merkel und Macron hätten ihm gesagt, die Ergebnisse seien für einen ersten Gipfel mit Putin ausgesprochen gut. Er habe aber mehr gewollt. Etwas mehr Frieden als Krieg.
Während des Gipfels feuerte die prorussische Artillerie