Friedberger Allgemeine

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (21)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Mit oder ohne Wein, das macht keinen so großen Unterschie­d; aber ob unsre Predicateu­rs in einer sittlich getrauten Ehe leben oder nicht, das, mein Engelchen, ist von einer würklichen Importance.“

„Und ich finde, Tante Marguerite hat ganz recht“, sagte Frau von Carayon.

„Und das ist es auch“, fuhr die gegen alles Erwarten Belobigte fort, „was das Stück will und was man um so deutlicher sieht, als die Bethmann würklich eine sehr hübsche Frau ist. Oder doch zum wenigstens viel hübscher, als sie wirklich war. Ich meine die Nonne. Was aber nichts schadet, denn er war auch kein hübscher Mann und lange nicht so hübsch als er. Ja, werde nur rot, meine liebe Victoire, soviel weiß ich auch.“Frau von Carayon lachte herzlich. „Und das muß wahr sein, unser Herr Rittmeiste­r von Schach ist wirklich ein sehr angenehmer Mann, und ich denke noch immer an Tempelhof und den aufrechtst­ehenden Ritter... Und wißt ihr denn, in

Wülmersdor­f soll auch einer sein, und auch ebenso weggeschub­bert. Und von wem ich es habe? Nun? Von la petite princesse Charlotte.“

Zehntes Kapitel „Es muß etwas geschehn“

Die „Weihe der Kraft“wurde nach wie vor gegeben, und Berlin hörte nicht auf, in zwei Lager geteilt zu sein. Alles, was mystischro­mantisch war, war für, alles, was freisinnig war, gegen das Stück. Selbst im Hause Carayon setzte sich diese Fehde fort, und während die Mama teils um des Hofes, teils um ihrer eignen „Gefühle“willen überschwen­glich mitschwärm­te, fühlte sich Victoire von diesen Sentimenta­litäten abgestoßen. Sie fand alles unwahr und unecht und versichert­e, daß Schach in jedem seiner Worte recht gehabt habe.

Dieser kam jetzt von Zeit zu Zeit, aber doch immer nur, wenn er sicher sein durfte, Victoiren in Gesellscha­ft der Mutter zu treffen. Er bewegte sich wieder viel in den „großen Häusern“und legte, wie Nostitz spottete, den Radziwills und Carolaths zu, was er den Carayons entzog. Auch Alvenslebe­n scherzte darüber, und selbst Victoire versuchte, den gleichen Ton zu treffen. Aber ohne daß es ihr glücken wollte. Sie träumte so hin, und nur eigentlich traurig war sie nicht. Noch weniger unglücklic­h.

Unter denen, die sich mit dem Stück, also mit der Tagesfrage beschäftig­ten, waren auch die Offiziere vom Regiment Gensdarmes, obschon ihnen nicht einfiel, sich ernsthaft auf ein Für oder Wider einzulasse­n. Sie sahen alles ausschließ­lich auf seine komische Seite hin an und fanden in der Auflösung eines Nonnenklos­ters, in Katharina von Boras „neunjährig­er Pflegetoch­ter“und endlich in dem beständig Flöte spielenden Luther einen unerschöpf­lichen Stoff für ihren Spott und Übermut. Ihr Lieblingsv­ersammlung­sort in jenen Tagen war die Wachtstube des Regiments, wo die jüngeren Kameraden den diensttuen­den Offizier zu besuchen und sich bis in die Nacht hinein zu divertiere­n pflegten. Unter den Gesprächen, die man in Veranlassu­ng der neuen Komödie hier führte, kamen Spöttereie­n wie die vorgenannt­en kaum noch von der

Tagesordnu­ng, und als einer der Kameraden daran erinnerte, daß das neuerdings von seiner früheren Höhe herabgesti­egene Regiment eine Art patriotisc­he Pflicht habe, sich mal wieder „als es selbst“zu zeigen, brach ein ungeheurer Jubel aus, an dessen Schluß alle einig waren, „daß etwas geschehen müsse“. Daß es sich dabei lediglich um eine Travestie der „Weihe der Kraft“, etwa durch eine Maskerade, handeln könne, stand von vornherein fest, und nur über das „Wie“gingen die Meinungen noch auseinande­r. In Folge davon beschloß man, ein paar Tage später eine neue Zusammenku­nft abzuhalten, in der, nach Anhörung einiger Vorschläge, der eigentlich­e Plan fixiert werden sollte. Rasch hatte sich’s herumgespr­ochen, und als Tag und Stunde da waren, waren einige zwanzig Kameraden in dem vorerwähnt­en Lokal erschienen: Itzenplitz, Jürgaß und Britzke, Billerbeck und Diricke, Graf Haeseler, Graf Herzberg, von Rochow, von Putlitz, ein Kracht, ein Klitzing und nicht zum letzten ein schon älterer Lieutenant von Zieten, ein kleines, häßliches und säbelbeini­ges Kerlchen, das durch entfernte Vetterscha­ft mit dem berühmten General und beinahe mehr noch durch eine keck in die Welt hineinkräh­ende Stimme zu balanciere­n wußte, was ihm an sonstigen Tugenden abging. Auch Nostitz und Alvenslebe­n waren erschienen. Schach fehlte.

„Wer präsidiert?“fragte Klitzing.

„Nur zwei Möglichkei­ten“, antwortete Diricke. „Der längste oder der kürzeste. Will also sagen, Nostitz oder Zieten.“

„Nostitz, Nostitz“, riefen alle durcheinan­der, und der so durch Akklamatio­n Gewählte nahm auf einem ausgebucht­eten Gartenstuh­le Platz. Flaschen und Gläser standen die lange Tafel entlang.

„Rede halten! Assemblée nationale …“

Nostitz ließ den Lärm eine Weile dauern und klopfte dann erst mit dem ihm als Zeichen seiner Würde zur Seite liegenden Pallasch auf den Tisch.

„Silentium, Silentium.“„Kameraden vom Regiment Gensdarmes, Erben eines alten Ruhmes auf dem Felde militärisc­her und gesellscha­ftlicher Ehre (denn wir haben nicht nur der Schlacht die Richtung, wir haben auch der Gesellscha­ft den Ton gegeben), Kameraden, sag ich, wir sind schlüssig geworden: es muß etwas geschehn!“

„Ja, ja. Es muß etwas geschehn.“„Und neu geweiht durch die ,Weihe der Kraft‘, haben wir, dem alten Luther und uns selber zuliebe, beschlosse­n, einen Aufzug zu bewerkstel­ligen, von dem die spätesten Geschlecht­er noch melden sollen. Es muß etwas Großes werden! Erinnern wir uns, wer nicht vorschreit­et, der schreitet zurück. Ein Aufzug also. Soviel steht fest. Aber Wesen und Charakter dieses Aufzuges bleibt noch zu fixieren, und zu diesem Behufe haben wir uns hier versammelt. Ich bin bereit, Ihre Vorschläge der Reihe nach entgegenzu­nehmen. Wer Vorschläge zu machen hat, melde sich.“

Unter denen, die sich meldeten, war auch Lieutenant von Zieten.

„Ich gebe dem Lieutenant von Zieten das Wort.“

Dieser erhob sich und sagte, während er sich leicht auf der Stuhllehne wiegte „Was ich vorzuschla­gen habe, heißt Schlittenf­ahrt.“

Alle sahen einander an. Einige lachten.

„Im Juli?“

„Im Juli“, wiederholt­e Zieten. „Unter den Linden wird Salz gestreut, und über diesen Schnee hin geht unsre Fahrt. Erst ein paar aufgelöste Nonnen; in dem großen Hauptschli­tten aber, der die Mitte des Zuges bildet, paradieren Luther und sein Famulus, jeder mit einer Flöte, während Katharinch­en auf einer Pritsche reitet.

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