Corona wird zum Ernstfall
Anstieg der Fallzahlen hat massive Folgen für das Land
Berlin In mindestens 15 europäischen Ländern gibt es inzwischen mit dem Coronavirus Infizierte. In Deutschland stehen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen Hunderte Menschen unter Quarantäne. Deutschlands Industrie fürchtet Konjunkturfolgen. Deutsche Behörden dehnen ihre Vorkehrungen aus. „Dieses Virus hat pandemisches Potenzial“, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Donnerstag in Genf. „Wenn wir nicht die richtigen Maßnahmen treffen, kann dieses Virus außer Kontrolle geraten.“
Nach bisherigen Zahlen sterben ein bis zwei Prozent der Sars-CoV2-Infizierten, was höher als bei der Grippe ist. In China stieg die Zahl erfasster Infektionen auf rund 78 500, die Zahl der Toten lag in der offiziellen Statistik für Festlandchina bei 2744. In Deutschland sind bislang 30 Fälle bekannt, nachdem am Donnerstagabend 14 weitere Erkrankungen aus Nordrhein-Westfalen, vier weitere Fälle aus Württemberg sowie ein neuer Fall aus Bayern gemeldet wurden.
Das Virus führt bei deutschen Supermärkten zu verstärkter Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln und Hygieneprodukten, wie Discounter auf Anfrage mitteilten. Die Industrie sieht das Virus als „Stresstest“für die Wirtschaft und fürchtet für die Konjunktur. BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang: „Der Konjunktur drohen spürbare negative Effekte.“In NRW suchen die Behörden nach möglichen weiteren Infizierten. Mehrere Hundert Menschen stehen unter häuslicher Quarantäne. Die Menschen dürfen 14 Tage lang ihre Wohnungen nicht verlassen und müssen sich von Verwandten/Bekannten mit Lebensmitteln versorgen lassen, die die Einkäufe vor der Haustür abstellen.
Unterdessen teilte das Landratsamt Neu-Ulm mit, dass vier Kinobesucher im Zusammenhang mit dem Patienten aus Göppingen vorerst ihre Wohnung nicht mehr verlassen dürfen. Die Behörde geht davon aus, dass acht Kinobesucher, die in der Nähe des 25-Jährigen saßen, gefährdet sind. Nach den anderen vier Betroffenen wird noch gesucht. Bei ihnen handelt es sich um Sitznachbarn des Corona-Patienten aus Göppingen, der am Samstag die 20-Uhr-Vorstellung des Films „Bad Boys for Life“angesehen hat.
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Landsberg/Neu-Ulm Wie fühlt sich Corona an? „Bei mir war es nur ein leichter Schnupfen“, erzählt ein 26-Jähriger aus dem Landkreis Landsberg, der der erste CoronaPatient in Spanien war: Er hatte das Virus aus Deutschland nach La Gomera mitgebracht und war dort 14 Tage in Quarantäne.
Ausgangspunkt des ersten Corona-Ausbruchs in Deutschland war die Firma Webasto in Stockdorf im Landkreis Starnberg. Dort hatte sich ein Mitarbeiter im Januar bei einer Kollegin aus China infiziert. „Ein Spezl von mir arbeitet bei Webasto und hat sich bei diesem angesteckt“, erzählt der junge Mann. Und er habe am letzten Januarwochenende mit diesem Spezl mehrere Stunden verbracht. Zwei Tage später flog der 26-Jährige mit Arbeitskollegen in den Urlaub nach La Gomera. Und kam dort in Quarantäne, als in Deutschland bei seinem Freund, dem Webasto-Mitarbeiter, das Virus festgestellt wurde.
Die sechs deutschen Urlauber wurden alle untersucht, nur bei ihm wurde das Virus festgestellt. Also wurde er bis zum 14. Februar im Krankenhaus isoliert. Das Schlimmste sei für ihn die Ungewissheit gewesen, wie es weitergeht,
die Angst vor der Erkrankung an sich. „Es war eine blöde Situation, man fühlt sich wie ein Gefangener.“Er habe nur einen leichten Schnupfen gehabt, mit solchen Erkältungssymptomen wäre er ansonsten sicherlich in die Arbeit gegangen. Unterhaltung sei im Krankenhaus nur auf Englisch möglich gewesen, er könne kein Spanisch. Mit einem Arzt und einer Schwester habe die Konversation jedoch recht gut geklappt. „Am fünften Tag hat dann auch das WLAN funktioniert“, erzählt der Corona-Patient. Ihm seien auch Bücher gebracht worden. Trotzdem sei ihm langweilig gewesen, so ganz alleine isoliert.
Seine mitgereisten Kollegen hatten das Krankenhaus nach einigen Tagen verlassen dürfen, als bei ihnen keine Symptome auftraten und bei den Proben kein Virusnachweis vorlag. Sie blieben jedoch auch während der möglichen Inkubationszeit von 14 Tagen in Quarantäne in ihrem Ferienhaus.
Während er im Krankenhaus war, bemerkte der 26-Jährige schon eine gewisse Hysterie in seinem Bekanntenkreis im Hinblick auf die hoch ansteckende Krankheit. Der 26-Jährige hat aber niemanden angesteckt. Froh sei er vor allem, dass bei Freunden mit drei kleinen Kindern nichts passiert ist, zu denen er zwei Tage vor der Abreise nach La
Gomera noch Kontakt gehabt habe. Mittlerweile hält sich die Hysterie in Grenzen, „ich hänge es aber auch nicht an die große Glocke“.
In den Landkreisen Landsberg und Starnberg gelang es im Februar, den ersten Ausbruch von Corona in Deutschland zu stoppen. „Die Kontaktwege konnten schnell eingekreist werden“, erläutert der Pressesprecher des Landratsamts in Landsberg, Wolfgang Müller. Der Fokus lag auf der Firma Webasto, Kontaktpersonen der Erkrankten in den umliegenden Landkreisen wurden laut Müller schnell ermittelt und isoliert. 14 Corona-Patienten wurden gefunden und in Krankenhäusern behandelt, Personen, die mit ihnen in Berührung kamen, wurden daheim isoliert. Laut Gesundheitsministerium befindet sich noch ein Patient dieser ersten Corona-Welle in Bayern im Schwabinger Krankenhaus in München.
Pressesprecher Müller berichtet weiter, dass die Quarantäne auf freiwilliger Basis stattgefunden habe. Das Landratsamt könne jedoch bei möglichen Kontaktpersonen eine häusliche Isolation anordnen oder auch Quarantäne für tatsächlich erkrankte und positiv getestete Personen.
Dagegen haben die zuständigen Gesundheitsämter bei vier Kinobesuchern des Neu-Ulmer Dietrichweniger
Theaters Quarantäne angeordnet. Bei ihnen handelt es sich um Sitznachbarn des Corona-Patienten aus Göppingen, der am Samstag die 20-Uhr-Vorstellung des Films „Bad Boys for Life“angesehen hat. Am Mittwoch hatte das Neu-Ulmer Gesundheitsamt die Filmfreunde wie berichtet dazu aufgerufen, sich zu melden und auf Symptome zu achten. Wo die vier identifizierten Sitznachbarn des Corona-Patienten leben,
Besucher umwickeln ihre Hände mit Klopapier
behielt die Behörde mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht für sich. Im Kreis Neu-Ulm gebe es keine Krankheitsfälle.
Vier weitere Sitznachbarn des Mannes haben sich noch nicht gemeldet. Auch für sie bestand ein Infektionsrisiko. Besorgte Bürger haben beim Gesundheitsamt Neu-Ulm angerufen, die Angst vor dem Virus ist spürbar: Ein Ulmer Geschäftsinhaber bittet Besucher des betroffenen Films, seinen Laden nicht zu betreten. Im Dietrich-Theater umwickelten Besucher ihre Hände am Mittwoch mit Toilettenpapier, bevor sie die WC-Klinke berührten. Gestern Abend wurde aus Mittelfranken eine Erkrankung nach Kontakt mit einem Italiener gemeldet.