Das große Bangen um einen Kita
Soziales Seit Jahren fehlen in Augsburg Betreuungsplätze für Kinder. Nach und nach werden zwar Unterbringungsmöglichkeiten Eltern klagen über die unsicheren Verhältnisse, die Ängste schüren und eine Mutter startet eine Online-Petition. Wie die Stadt gegen
Voriges Jahr hatten 500 Kinder in Augsburg keinen Betreuungsplatz
Für viele Eltern heißt es in Augsburg derzeit Warten. Sie warten auf einen Bescheid, der die Organisation ihres alltäglichen Lebens total durcheinanderwirbeln kann: die Zusage für den Betreuungsplatz ihres Kindes. Mit den Mitteilungen rechnen Mütter und Väter frühestens Mitte März. So lange werden sie auf die Folter gespannt und machen sich ihre Gedanken – wie Dominik Kneißl. Für den Vater einer zweieinhalbjährigen Tochter steht im Herbst ein aufregender Wechsel an.
Sie wird dann nicht mehr in die Krippe, sondern in den Kindergarten gehen. Derzeit besucht das Mädchen das Montessori-Kinderhaus in der Spitalgasse. Mit der Einrichtung ist der 36-Jährige sehr zufrieden. Bei der Auswahl ging es ihm weniger um das Angebot, als um Wohlfühlatmosphäre und die Nähe zu seiner Wohnung. Dominik Kneißl lebt von seiner Partnerin getrennt, gemeinsam teilen sie sich die Erziehung. Für den Lehrer, der in Günzburg arbeitet, bedeutet das viel Organisation. „Die Bringzeit beginnt um 7.30 Uhr. Die erste Stunde beginnt an meiner Schule allerdings schon um 7.40 Uhr. Deshalb habe ich meistens erst zur zweiten um 8.25 Uhr, aber selbst da wird es knapp.“Dank der Unterstützung seiner Eltern und seines Bruders könne er den Alltag aber meistern. Am liebsten hätte er es, wenn seine Tochter im Anschluss an die Krippe auch den Kindergarten des Montessori-Kinderhauses in der Spitalgasse besuchen könnte. „Dann hätte sie eine Konstante mehr in ihrem Leben.“Eine Garantie gibt es dafür aber nicht.
Seit Jahren fehlen Betreuungsplätze: 2017 blieben in Augsburg erstmals 200 Kinder unversorgt, 2018 fehlten rund 400 Plätze, im vergangenen Jahr waren es bereits über 500. Daran hat sich nichts geändert. „Augsburg schiebt eine Versorgungslücke von 500 Betreuungsplätzen vor sich her“, sagt Sozialbürgermeister Stefan Kiefer (SPD). Zwar wurden in den vergangenen zehn Jahren über 4000 Plätze geschaffen, dennoch bräuchte die Stadt zusätzliche 3000 Betreuungsplätze, so Kiefer. Der hohe Bedarf habe mehrere Gründe. Neben dem Zuzug liege die Nachfrage nach Betreuungsangeboten auch in den geburtenstarken Jahrgängen begründet. Kiefer: „Jeder Jahrgang hat jetzt 3000 Kinder. Vor fünf Jahren lagen wir bei rund 2500 Kindern pro Jahrgang.“Daneben würden Eltern Krippenplätze auch verstärkt nachfragen. „Während 2010 nur rund zwölf Prozent der Einjährigen in der Krippe waren, waren es 2015 bereits 25 Prozent. Heute wäre der Wunsch noch größer, doch das Platzangebot konnte nicht im gleichen
Umfang mitwachsen“, sagt Kiefer. Bei den Zweijährigen hätten im Jahr 2010 rund 24 Prozent einen Krippenplatz in Anspruch genommen, 2015 waren es schon 41 Prozent. Auch in diesem Fall könnte die Anzahl heute noch höher liegen, wenn das entsprechende Angebot vorhanden wäre.
Seit dem 1. August 2013 haben Kinder in Bayern ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Seither hat sich auch in Augsburg viel im Ausbau des Krippenangebots getan. „Die größte Lücke besteht im Bereich Kindergarten“, sagt Sozialbürgermeister Stefan Kiefer.
Solche Betreuungslücken will Hélène Ginsz-Kieffer nicht mehr hinnehmen. Die Augsburgerin ist Mutter von drei Kindern und hat kürzlich auf der Internet-Plattform Change.org eine Online-Petition gestartet, die bislang knapp 100 Personen unterschrieben haben. Darin fordert die 35-Jährige von der Stadt Augsburg für jede Familie einen sofortigen Anspruch auf einen Kindergarten- und Hortplatz in einem
Umkreis von zwei Kilometern zum Wohnort. „Nicht erst in drei Jahren, sondern schon für das neue Schuljahr 2020/21“, schreibt sie in ihrem Text.
Gemeinsam mit ihrem Mann habe sie schon viel mitgemacht, berichtet sie. Als sie ihr ältestes Kind vor sieben Jahren bei drei Einrichtungen anmeldeten, erhielten sie eine Absage. „Mein Mann und ich sind aus allen Wolken gefallen. Wir kommen aus Frankreich. Da ist die Betreuung das A und O.“Durch viel Einsatz und ein großes Netzwerk habe es am Ende doch geklappt. „Aber was machen da Familien, die aufgrund der Sprache überfordert sind und nicht kämpfen können?“, fragt sie sich nicht erst heute. Schon damals sei ihr klar gewesen, dass das Angebot in Augsburg nicht ausreichend sei. „Die Mentalität hat sich verändert. Während man früher als Mutter vielleicht ein paar Stunden gearbeitet hat, geht man heute viel länger in die Arbeit. Diese Entwicklung war absehbar“, betont Hélène Ginsz-Kieffer, die selbst Vollzeit arbeitet. Derzeit befindet sie sich ebenfalls wieder einmal in der Zeit des Wartens und des Kopfzerbrechens. Erhält die
Familie den notwendigen Hortplatz – oder nicht?
Für viele Eltern ist das ein Problem. Ist das Kind in der Krippe und im Kindergarten noch den Tag über betreut, reißt das womöglich mit dem Beginn der Grundschulzeit ab. Ohne Hortplatz kommt das Kind dann mitunter vormittags aus der Schule und die Eltern müssen Abstriche im Job machen oder sich auf die Unterstützung von den Großeltern verlassen können. „Aber was machen Mütter und Väter, deren Eltern nicht vor Ort leben?“, fragt eine 38-Jährige, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie ist Mutter von zwei Kindern, arbeitet 30 Stunden die Woche und schultert mit ihrem Mann gemeinsam die Betreuung. „Das geht nur, weil er als Selbstständiger keinen 9-to-5-Job hat.“Bereits im vierten Schwangerschaftsmonat habe sie ihren Sohn in der Krippe angemeldet. Nun ist er drei Jahre alt und wird auch im September in den Kindergarten wechseln. Bei zwei Einrichtungen habe sie ihn angemeldet und hofft auf eine positive Nachricht.
Magdalena Tenbrock kann derzeit durchatmen. Ihr Sohn Johann, 15 Monate, besucht das Montessori-Kinderhaus Henisiuspark. Die Einrichtung, steht wie viele andere Kitas, die sich in privater Trägerschaft befinden, bei Eltern
hoch im Kurs. Private Einrichtunhsweise gen sind zwar vergleichsweise teurer und erwarten meist, dass sich die Elm tern mehrere Stunden im Jahr einbrinbtheit gen – das tut ihrer Belieotheit aber keiena nen Abbruch. Magdalena Tenbrock schätzt die Flexibilität der Einrichtung und die gute personelle Ausstattung. „Den Montessori-Ansatz, dass die Kinder angeleitet werden, das zu tun, was sie wollen, finde ich sehr wichtig.“
Über Konzepte können sich andere Eltern dagegen oft keen sich andere mehr machen. Bei Informationstagen gehe es schon lange nicht mehr um das Angebot der Einrichtung, sondern nur noch um einen Platz. In Panik keinen Betreuungsplatz zu bekommen, würtsteller den Eltern oft zum Bitseller degra diert, kritisiert auch Hélène Ginsz Kieffer. Dominik Kneil würde sich wünschen, nicht so in der Luft zu hänu gen und Angst haben zu müssen, keir nen Betreuungsplatz für sein Kind zu bekommen. „Es müsste mehr Geld in die Bildung und Erziehung gesteckt werden. Die beiden Bereiche sind schon immer schlecht finanziert. Das macht sich langfristig bemerkbar.“
Als sich vor 2017 der erste große Engpass bei den Betreungsplätzen in Augsburg abzeichnete, gründete die Stadt eine „Task Force Kita“, die den Prozess zur Schaffung von neuen Kin
referatsübergreifend anschieben sollte. Doch auch damit stoße die Verwaltung trotzdem oft an ihre Grenzen, so Kiefer: „Bei einem Neubau dauert es von der Idee bis zur Umsetzung schon einmal fünf Jahre“. Projekte, wie im DehnerPark in Kriegshaber (99 Plätze), im Martini-Park im Textilviertel (123 Plätze) und auf dem Areal des Hintermayr-Stifts im Antonsviertel (99 Plätze) sollen bald verwirklicht sein.
In der Kita in der Schwimmschulstraße werden am Montag erstmals Kinder spielen – beschlossen wurde der Neubau vom Stadtrat im August 2016. „Dort gab es eine Bauverzögerung aufgrund von Altlasten“, erklärt Eva Hermanns, Leiterin der städtischen Kitas. Die Standorte seien das eine Problem, das Personal das andere, weiß auch sie. Denn Erzieher werden landauf, landab händeringend gesucht und eine Erweiterung oder Neubau von Kitas ist nur mit zusätzlichem Personal möglich. Die Stadt Augsburg ist deshalb vor Jahren in die praxisorientierte Erzieherausbildung eingestiegen. „Dabei werden Abiturienten in Kooperation mit der Fachakademie in Nördlingen ausgebildet. Im vergangenen Jahr wurde der erste Jahrgang fertig“, sagt sie. Sie steckten viel Kraft in die Ausbildung. „Als Kommune muss man sich da was einfallen lassen. Die Konkurrenz ist groß.“
Rund 840 Mitarbeiter zählt ihr Bereich. Hermanns: „Wir sind die größte Dienststelle der Stadt“. Die Quote der Kinder mit Migrationshintergrund würde in den Augsburger Einrichtungen bei 80 Prozent liegen – auch das erfordere einen erhöhten Personaleinsatz. „Hinzu kommt, dass jährlich etwa fünf Prozent aufgrund von Schwangerschaften, Elternzeiten oder Krankheiten ausfallen. Das muss aufgefangen werden.“
Die Stadt will sich deshalb als attraktiver Arbeitgeber präsentieren und hält Personalwohnungen für Auszubildende und Auswärtige bereit, finanziert Weiterbildungen der Kinderpflegerinnen zu Fachkräften. „Langfristig brauchen wir eine bezahlte Ausbildung. Das bisherige System ist ein uralter Zopf, der abgeschnitten gehört. Daneben müssen auch Quereinsteigern Türen geöffnet werden.“
Bis 2025 soll es in Deutschland einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern geben. Stefan Kiefer sagt dazu: „Ich halte das sachlich und inhaltlich für richtig. Ich bin allerdings schon gespannt, wie das bewältigt werden soll, wenn es mit der Schaffung von Betreuungsplätzen in Kitas schon so schwierig ist.“