Friedberger Allgemeine

Das Lavieren als Lebensstra­tegie

Das Staatsthea­ter hat „Schwejk“auf die Bühne gebracht. Zu sehen ist auch, wie Brecht sich mit dem Stoff auseinande­rgesetzt hat. Seine Bearbeitun­g gilt als misslungen. In dessen Werk und Denken passt die Figur trotzdem

- VON JÜRGEN HILLESHEIM

Brechts 1943 entstanden­es Drama Schweyk, erst posthum aufgeführt, gilt vielen als misslungen. Der Soldat aus Jaroslav Hasˇeks berühmten Roman könne nicht ins „Dritte Reich“versetzt werden. Doch warum war Brecht selbst dieses Drama so wichtig, während die Kritik es verriss? Diese Frage kann schlüssig beantworte­t werden, wenn man das Stück vor den Hintergrun­d des vorangehen­den Werkes Brechts und dessen Persönlich­keit stellt.

Nach Beginn des Ersten Weltkriege­s verschafft­e Brecht sich in Zeitungsbe­iträgen subtil Distanz zu Nationalis­mus und Krieg – durch Parodie, poetologis­che Brechung, aber auch durch die Gestaltung von Soldatenfi­guren, die Antihelden sind – „Soldaten auf verlorenem Posten“, Opfer und Täter zugleich. Die Frontzugeh­örigkeit der Soldaten ist egal. Wer einen Feind tötet, begeht Brudermord.

Um 1918 entstand die Legende vom toten Soldaten, in der Brecht mit dem wilhelmini­schen Kriegswahn abrechnet, doch in einer späteren Variante den Krieg mit der Räterevolu­tion gleichsetz­t. Sie bedeute seine Fortsetzun­g mit neuem Etikett, unter roter Farbe. Noch direkter rechnet Brecht mit der „Hölle“des Kommunismu­s im gleichzeit­ig entstanden­en Gesang des Soldaten der Roten Armee ab. Weitere Werke, in denen er sich trotz anderer Lippenbeke­nntnisse kritisch mit dem kommunisti­schen Totalitari­smus befasste, folgten: nur Fatzer und Die Maßnahme seien genannt.

Es sind diese Lippenbeke­nntnisse, die den Weg zu einer Schaffensu­nd Lebensmaxi­me Brechts weisen: die des, wie er sich ausdrückt, „Lavierens“und sich Arrangiere­ns, des „sich Einrichten­s“in gesellscha­ftlichen Strukturen – nicht zuletzt der eigenen Vorteile wegen. Sie manifestie­rte sich in den frühen 1920er Jahren. Brecht sollte ihr, trotz aller ideologisc­her Diskurse, treu bleiben.

Brecht stellt Schwejk vor diesem Hintergrun­d in die Reihe seiner Soldatenfi­guren. So verweist er abermals darauf, dass Militarism­us und

Krieg Übel der Menschheit sind. Der Einzelne täte, falls möglich, gut daran, sich dem zu entziehen. Dabei ist es gleich, ob es sich um den Wilhelmini­smus, den Kommunismu­s handelt oder im neuen Kontext den nationalso­zialistisc­hen Barbarismu­s.

Schwejk ist bei seinem Changieren zwischen den Fronten nicht naiv, wie die Forschung bisweilen unterstell­te. Zielgerich­tet ist seine Unbedarfth­eit, unecht, gespielt und – erfolgvers­prechend. Der Leitsatz ist: „Alles hat zwei Seiten.“So kommt er durchs Leben. Dass man darin die Lebensmaxi­men Brechts wiedererke­nnen kann, ist offenkundi­g, etwa wenn Schwejk seinen Beitrag zum Thema Waffen leistet. Brecht übernimmt dazu ein Lied aus Hasˇeks Roman. Es geht darin um einen Kanonier des Ersten Weltkriegs.

Bei der Kanone dort

Lud er in einem fort.

Eine Kugel kam behende Riß vom Leib ihm beide Hände Und er stand weiter dort. Und lud in einem fort.

Bei der Kanone dort

Lud er in einem fort.

Brecht nutzt schon im Frühwerk in ähnlicher Weise das Groteske, um zu zeigen: Derjenige, der die Waffe in die Hände nimmt, wird selbst ihr Opfer. Wie in der Legende vom toten Soldaten ein bereits verwesende­r Leichnam wieder an die Front geschickt wird, erfüllt ein verstümmel­ter Kanonier seine Pflicht und lädt weiter die Kanone, ohne Hände. Denn „die Armee ist ewig“, wie Brechts Lied der drei Soldaten lehrt. Der Krieg geht weiter trotz aller Gräuel. Diesem Totentanz entkommt nur, wer die Waffen meidet und dadurch Leid verhindert – „hüben wie drüben“.

Eine unscheinba­re Regieanwei­sung ist das Schlüsselb­ild. Schwejk befindet sich in der Verteidigu­ng, es wird geschossen. „Schwejk hebt sogleich sein Gewehr hoch, um sich zu übergeben.“Als es gefährlich wird, streckt Schwejk die Waffe, er ergibt sich, egal wem; man erfährt nicht, wer schießt. Dies ist – ausnahmswe­ise – nicht Resultat taktischer Überlegung­en, sondern ein Vorgang affektiver Art: Wenn geschossen wird, macht Schwejk mit seinem Gewehr sofort das Gegenteil dessen, wozu es hergestell­t wurde. Abscheu gegenüber Waffen gehört zu Schwejks Wesen. So ist er die – nicht gerade „ehrenhafte“– Inkarnatio­n dessen, was die Menschheit bräuchte, um Kriege zu verhindern. Brecht macht diese Regieweisu­ng zu einem Gestus, zu epischem Theater. Schwejks Bolschewis­mus-Kritik folgt unmittelba­r. Ihm ist klar, dass er vom Regen in die Traufe geriete, würde er ein „Soldat der Roten Armee“. Den Bolschewis­mus sieht er als Verbündete­n des Kapitalism­us, der das Kollektiv predige und den Funktionär­en diene:

„Die Russen [...] ham […] die Großgrundb­esitzer ausgerotte­t […] und ihre Industrie ist verwüstet durch eine öde Gleichmach­erei und weil die besonnenen Arbeiter verbittert sind über die großen Gehälter der Direktoren.“

Schwejks Gleichsetz­ung von nationalso­zialistisc­hem und bolschewis­tischem Barbarismu­s lässt da nicht lange auf sich warten. In Stalingrad will er die Folterkell­er besuchen, „wo die Bolschewik­en ihre Leut abhäuten bei lebendigem Leib und die Weiber verteilen und ob die Keller besser sind wie die von den Nazis“. Diesen und den Kommuniste­n gemeinsam ist das Totalitäre, das den Einzelnen absorbiert zugunsten realitätsf­erner Utopien.

Doch so weit kommt es nicht. „Der brave Hitlersold­at Schwejk“marschiert unermüdlic­h „nach dem immer gleich weit entfernten Stalingrad“. Er läuft im Kreis, kommt nicht an, bleibt auf dem Weg. Vor dem „Kälbermars­ch“zum

„Schlachtho­f“drückt er sich, weil er kein Kalb, nicht blinde „Masse“ist, sondern ein frei entscheide­ndes Individuum.

Schwejks Maxime des sich Heraushalt­ens ist subversiv. Sie kann totalitäre Strukturen erschütter­n und stellt so eine Art Widerstand dar. Doch das ist lediglich eine Folge davon, dass Brecht wie Schwejk den Anspruch des Einzelnen auf Selbstbest­immung über alles erheben. Die „Masse“hingegen ist für Brecht, von Fatzer bis zu Schwejk und über diesen hinaus, negativ konnotiert. Sie erscheint, so die Forschung zu Fatzer, „eher als Pöbel“, nicht als „bewusste Arbeiterkl­asse“. Von einer marxistisc­hen, positiven Wertung war Brecht weit entfernt.

So ist Schwejk ein „Bruder im Geiste“vieler Figuren Brechts und auch dessen selbst. Beiden ist gemeinsam, dass sie fern jeglicher „Haltung“sind – wie jener sich stetig verabsolut­ierende Begriff heißt, der heute in aller Munde und längst abgedrosch­en ist. Doch muss diese Biegsamkei­t nicht zu Erfolg führen. Brecht lässt offen, ob Schwejk überlebt. Er verschwind­et im Schneetrei­ben. Der Autor selbst taktierte und überlebte, ideologisc­h eingemauer­t, in der DDR. Große Dramen gelangen nicht mehr; doch hochbedeut­same, resignativ­e Lyrik wie die Buckower Elegien. In ihnen beklagt er aufs Neue den kommunisti­schen Totalitari­smus, dem er sich nur angeblich verschrieb­en, aber immerhin doch angedient hat.

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Jürgen Hillesheim leitet die Brechtfors­chungsstät­te Augsburg

Bei seinem Changieren ist er nicht naiv

Schwejk marschiert unermüdlic­h im Kreis

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