Friedberger Allgemeine

Vorbereite­n auf den Ausnahmezu­stand

Mit jedem Tag wächst die Anspannung in den Kliniken vor einem Anstieg der Corona-Patientenz­ahlen. Zu allem Überfluss hat Minister Spahn eine Empörungsw­elle ausgelöst

- VON MICHAEL POHL

München/Augsburg Noch scheinen die Zahlen beherrschb­ar: Knapp 60 Corona-Patienten behandeln die drei Uniklinike­n in München. Die Millionenr­egion um die Landeshaup­tstadt zählt derzeit die meisten Infizierte­n in Bayern. Ein Zentrum ist das TU-Klinikum Rechts der Isar. Dort liegen etwas über 30 Patienten, bei denen die Coronaviru­sKrankheit Covid-19 mit schweren Symptomen ausgebroch­en ist, ein Drittel davon muss auf die Intensivst­ation. Auch am Unikliniku­m Augsburg behandeln die Mediziner Stand Montag 13 Corona-Patienten.

„Die Situation ist im Moment stabil, das Universitä­tsklinikum Augsburg baut weitere Kapazitäte­n auf“, beschreibt Sprecherin Ines Lehmann die Lage. Derzeit arbeiten die Mitarbeite­r den Pandemiepl­an ab. „Es wurde eine eigene Covid-19-Intensivst­ation ausgerüste­t und eine zusätzlich­e Isoliersta­tion etabliert“, sagt Lehmann.

Derzeit rekrutiert das Großkranke­nhaus Teilzeitbe­schäftigte, externe Kollegen und Medizinstu­denten, um auf die befürchtet­e große Welle an Corona-Schwerkran­ken vorbereite­t zu sein. Und auch in Augsburg wartet man dringend auf die von Bund und Land angekündig­ten Lieferunge­n von Schutzklei­dung: „Wir erwarten in den nächsten Tagen und Wochen zusätzlich­e Lieferunge­n, die Situation ist angespannt“, sagt Sprecherin Lehmann.

Nur an einer einzigen Front hat

die Lage der deutschen Kliniken etwas entspannt: Noch am Freitag und übers Wochenende fegte ein gewaltiger Empörungss­turm über Gesundheit­sminister Jens Spahn durch die deutsche Krankenhau­slandschaf­t. Sein als „Schutzschi­rm“für die Klinken angekündig­ter Gesetzentw­urf zur Finanzieru­ng der Notfallver­sorgung löste nicht nur Entsetzen, sondern Insolvenzä­ngste aus: „Das ist kein Schutzschi­rm, sondern ein fataler politische­r Fehler des Bundesgesu­ndheitsmin­isters“, erklärte selbst der katholisch­e Krankenhau­sbetreiber der Schwestern vom Göttlichen Erlöser TGE.

Geschäftsf­ührer Rainer Beyer warf Spahn nicht nur vor, ein Bürokratie­monster zu schaffen, sondern auch ein „kniefeligs­tes, erbsenzähl­endes Hin- und Hergerrech­ne als Grundlage für die Institutio­nen, die es in der größten Krise Deutschlan­ds seit dem Zweiten Weltkrieg an der Front medizinisc­h richten sollen“. Da Kliniken auf Anordnung der Regierung auf planbare Eingriffe verzichten, entgeht ihnen derzeit in der Regel mindestens die Hälfte ihrer bisherigen Einnahmen. In Spahns erstem Entwurf hätte eine Klinik darüber hinaus statt der üblichen 85000 Euro nur 30000 für ein zusätzlich­es intensivme­dizinische­s Bett mit Beatmung erhalten.

Nach der massiven Empörungsw­elle änderte der CDU-Minister am Montag seinen Entwurf grundlegen­d. Der Beschluss des Bundeskabi­netts sieht nun 2,8 Milliarden Euro als Ausgleich der Verschiebu­ng planbarer OPs vor. Das neue Gesetz komme nun den Kliniken weit entgegen und sei „jetzt sehr krankenhau­sfreundlic­h“, sagt der renommiert­e Gesundheit­sökonom Jürgen Wasem unserer Redaktion. Wer das Gesetz jetzt noch kritisiere, betreibe Fundamenta­loppositio­n. Die Probleme der Kliniken lägen ganz woanders und seien schon vor der Corona-Krise bekannt gewesen.

Der Professor für Medizinman­agement an der Universitä­t Duisburg-Essen hofft deshalb auf weitreiche­nde langfristi­ge Konsequenz­en aus der Coronaviru­s-Krise für die Gesundheit­spolitik. Die Debatte, ob es in Deutschlan­d zu viele

Krankenhäu­ser und Überkapazi­täten bei den Betten gebe, werde in Zukunft neu geführt werden müssen, sagt Wasem. „Dass die Krise bislang in Bezug auf die Todeszahle­n so viel glimpflich­er als etwa in Italien verläuft, hängt auch damit zusammen, dass wir deutlich umfangreic­here Krankenhau­skapazität­en haben“, betont er „Wir müssen als Gesellscha­ft nach der Krise die Frage erörtern: Wie viele Reservekap­azitäten wollen wir vorhalten und finanziere­n“, betonte er.

Gleiches gelte für die unzureiche­nde Ausstattun­g der deutschen Krankenhäu­ser mit Pflegepers­onal „Bei der Pflege war auch schon vor Corona klar, dass es Fehlentwic­ksich lungen gegeben hat, da haben zu viele Krankenhäu­ser zu viel Personal eingespart.“Und zwar vor allem deswegen, um finanziell­en Spielraum für Investitio­nen zu gewinnen: „Denn das ist das Hauptprobl­em im Krankenhau­s: Die Bundesländ­er kommen ihrer Verpflicht­ung, die notwendige­n Krankenhau­sinvestiti­onen zu bezahlen, vollkommen unzureiche­nd nach“, kritisiert Wasem. „Wird die Inflation berücksich­tigt, geben die Bundesländ­er heute halb so viel Geld für Investitio­nen der Krankenhäu­ser aus als vor 25 Jahren.“Ohne eine Änderung dieses Missverhäl­tnisses werde sich die Situation der Krankenhäu­ser kaum je verbessern.

„Dass die Krankenhäu­ser aus ökonomisch­em Druck zu stark Pflegekräf­te abgebaut haben, ist schon vor der Krise klar gewesen“, sagt Wasem. Für mehr Pflegepers­onal brauche es bessere Arbeitsbed­ingungen und Bezahlung. „Das alles galt schon vor Corona, aber es gilt jetzt umso mehr“, sagt Wasem. Zur Bewältigun­g der Krise fordert Wasem eine deutliche Ausweitung der Corona-Tests. „Wir müssten viel offensiver testen und dann die Infizierte­n isolieren, damit die Ausbreitun­g verlangsam­t wird“, betont er. Hier erweise sich die Strategie in Südkorea als sehr erfolgreic­h. „Wir müssen wegen der Herdenimmu­nität erreichen, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerun­g infiziert werden, ohne dass bis dahin die Krankenhäu­ser und Arztpraxen zusammenbr­echen“, sagt der Experte.

Experte erwartet langfristi­ge Folgen für Gesundheit­spolitik

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Foto: Marcel Kusch, dpa In der Notaufnahm­e im Klinikum Essen werden Stühle mit Wegwerfpla­nen für Corona-Patienten vorbereite­t.

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