„Die Krise wird uns noch lange beschäftigen“
Am Sonntag treten Eva Weber (CSU) und Dirk Wurm (SPD) in der Stichwahl gegeneinander an. Wahlkampf führten sie zuletzt kaum, fast alles drehte sich um Corona. Wer auch gewinnt, beide wollen einen neuen Politikstil
Herr Wurm, im ersten Wahlgang lagen Sie über 20 Prozentpunkte hinter Eva Weber. Mal ehrlich: Rechnen Sie sich für die Stichwahl am Sonntag wirklich noch eine Chance aus?
Dirk Wurm: Ja, ich rechne mir Chancen aus. Eva Weber hat im ersten Wahlgang etwas mehr als 43 Prozent geholt, aber nicht die absolute Mehrheit. Es gibt noch mehr Stimmen zu verteilen, als Eva Weber geholt hat. Am 29. März wird man sehen, ob ich die Chance nutzen kann.
Und wie fühlt es sich an in der Favoritenrolle, Frau Weber?
Eva Weber: Die Augsburgerinnen und Augsburger werden genau schauen, wem sie ihr Vertrauen aussprechen. Mit der CSU steht im Stadtrat die stärkste Fraktion hinter mir ...
Wie intensiv ist der Wahlkampf überhaupt noch angesichts der Coronakrise, die sie ja beide beschäftigt? Weber: Mein Tagesablauf ist im Moment vor allem von Corona geprägt und nicht vom Wahlkampf. Natürlich versucht man, die digitalen Möglichkeiten auszuschöpfen. Ich habe Kontakt mit Wählerinnen und Wählern, die Fragen haben, zur Stichwahl, aber auch zur aktuellen Situation.
Wurm: Aufgrund meines Amtes als Referent für Ordnung und Gesundheit fordert mich die Coronakrise natürlich stark. Ein bisschen Wahlkampf gibt es schon. Wir haben Anzeigen geschaltet und auch neu plakatieren lassen. Was ich neben dem Online-Thema mache, ist in dieser Woche jeden Abend eine Telefonsprechstunde im Bürgerbüro der SPD. Es geht um politische Fragen, aber natürlich auch um Fragen zur aktuellen Situation rund um Corona.
Welche Themen sind den Menschen denn jetzt trotz Corona noch wichtig? Wurm: Vieles tritt in den Hintergrund, aber es geht auch weiter um die drei großen Themen, die im Wahlkampf prägend waren. Verkehr und Mobilität in Zusammenhang mit Klimaschutz. Das Wohnen und gerade da auch der soziale Zusammenhalt. Das rückt jetzt noch stärker in den Vordergrund, aufgrund der Coronakrise und der Beschränkungen, die es jetzt für uns alle gibt. Auch das Thema Bildung ist wichtig. Ausgehend von Corona, wo es auch um die Frage der Kin
geht, kommt man schnell zu grundsätzlichen Fragen.
Wird bezahlbares Wohnen durch die Coronakrise noch wichtiger?
Weber: Natürlich. Unsere Wirtschaftsförderung hat seit zwei Wochen eine Hotline eingerichtet, nicht nur für Unternehmer, auch für Arbeitnehmer. Da bekommen wir mit, dass viele sich Gedanken machen, wie es für sie weitergeht. Die Möglichkeit zur Kurzarbeit war vor zehn Jahren bei der Finanz- und Wirtschaftskrise eine gute Sache, weil sie vor Arbeitslosigkeit geschützt hat. Das sehe ich auch jetzt so. Aber ich weiß, dass viele, die betroffen sind, etwa im Handel, sowieso nicht viel verdienen und jetzt mit Kurzarbeitergeld klarkommen müssen. Das ist für sie sehr hart. Auch für Eltern, die ihre Kinder betreuen müssen. Es gibt Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber ein paar Tage Abwesenheit akzeptieren muss, aber dann muss man Urlaub oder unbezahlt freinehmen. Das treibt die Menschen um, weil das Familieneinkommen wegbrechen kann.
Wurm: Diese Sorgen kann ich aus meinen Erfahrungen der vergangenen Tage bestätigen. Dazu wird auch die öffentliche Diskussion noch lauter werden. Momentan sind wir stark auf gesundheitspolitische Fragen fokussiert. Das ist richtig, weil es die drängendsten Fragen sind. Aber das Thema Wohnen, wie komme ich finanziell klar, und auch die Kinderbetreuung sind existenzielle Fragen. Die müssen wir gelöst bekommen. Ohne Land und Bund wird das nicht gehen. Und wir müssen an die Vermieter appellieren, dass sie kulant sind, bis die Hilfsprogramme wirken.
Weber: Der erste Schritt ist getan, mit dem, was der Bundestag beschlossen hat. Mietverträge dürfen vorerst nicht gekündigt werden wegen Corona. Ich habe auch an gewerbliche Vermieter appelliert, dass sie kleinen Unternehmen eine Chance geben. Für manche ist aber die Vermietung die einzige Einkunftsquelle, das ist schwierig. Wir als Stadt gehen mit Gewerbemietern so um, dass wir Zahlungen stunden.
Weber: Die Krise ist nicht vorbei, wenn die Ausgangsbeschränkungen aufgehoben werden. Wir werden länger zu tun haben, vielen Unternehmen wieder auf die Beine zu helfen. Das gilt nicht nur für Handel und Gastronomie. Das gilt auch für Firmen, die aufgrund von Auftragseinbrüchen, etwa in der Autoindustrie, Probleme haben. Wir müssen optimistisch bleiben und gute Konzepte entwickeln, wie wir das vor zehn Jahren auch gemacht haben.
Will man in diesen Krisenzeiten wirklich noch Oberbürgermeister werden? Weber: Dass es einfach wird, hat niemand gesagt.
Wurm: Das ist natürlich herausfordernd und jeder würde es sich anders wünschen. Aber wenn wir die richtigen Maßnahmen ergreifen, sehen wir auch einen Silberstreif am Horizont. Die Situation ist echt schwierig, sie wird uns noch länger beschäftigen. Wir dürfen auch nicht den Fehler begehen, dass wir alle anderen Themen nicht mehr behandeln. Es gibt Themen, die für unsere Zukunft wichtig sind. Hier liegt auch die Chance, um gut aus dieser Krisenphase, die wir jetzt durchleben müssen, rauszukommen. Derjenige, der am Sonntag gewählt wird, hat eine Mammutaufgabe vor sich. Der neue OB braucht Unterstützung von allen Seiten. Und einen Stadtrat, der sich im Konsens auf Ziele und Maßnahmen der nächsten Monate oder eher Jahre einigt. Sonst wird das nichts. Weber: Es ist wichtig, dass wir alle auch ehrlich zueinander sind. Die Coronakrise wird viel ändern, auch bei den finanziellen Spielräumen. Wir müssen trotzdem nach vorne schauen. Wir reden momentan alle über Corona, aber die Klimakrise ist auch noch da. Wir müssen uns Gedanken machen, wie die Verkehrswende vorangebracht werden kann. Wir müssen den Umweltschutz auf dem Schirm haben. Und wir können uns das nur mit einer starken Wirtschaft leisten, wenn möglichst viele Menschen eine Arbeit und ein gutes Auskommen haben. Ich war vor zehn Jahren schon dabei, als die Fiderbetreuung nanz- und Wirtschaftskrise zu einem Einbruch bei der Gewerbesteuer um fast 40 Prozent geführt hat. Da scheint erst mal nicht mehr viel möglich. Wir haben dann als Stadt aber gut die Konjunkturprogramme nutzen und auch neue Impulse setzen können, etwa mit dem Innovationspark oder dem digitalen Gründerzentrum.
Wenn die Finanzen knapper werden, kann sich die Stadt die teure Theatersanierung dann noch leisten?
Weber: Beim Theater hat der Stadtrat den Auftrag gegeben, dass noch einmal eine Alternative geprüft wird. Am Ende des Tages wird man dann entscheiden müssen, was man umsetzt. Das wird auch unter der Frage zu betrachten sein, was die Stadt sich leisten kann. Ich warne nur davor, die jetzige Interimslösung einer Dauerlösung vorzuziehen. Das führt aus meiner Sicht zu weniger Kultur in dieser Stadt. Man muss auch schauen, was die Interimslösung genau kosten würde. Wurm: Es ist richtig, jetzt noch mal zu prüfen. Nicht nur aus finanziellen Gründen, die jetzt aber noch einmal maßgeblicher werden. Ich bleibe dabei: Im Gaswerkareal und in der Nutzung durch das Staatstheater liegt eine große Chance. Auch das gibt es nicht zum Nulltarif, das muss man sich in der Tat genau anschauen. Ich halte das Gaswerk als Ort für eine dauerhafte zweite Spielstätte aber für sehr interessant.
Weber: Eine Stadt unserer Größenordnung wäre aber gut beraten, auch eine Spielstätte zu haben, wo etwas anderes außer Theater stattfinden kann. Ich habe mich mit der Club- und Kulturkommission und der freien Szene unterhalten. Die sagen, so was wie eine Muffathalle oder das Zenit in München wäre schön. Kleinere Städte kriegen das hin, Augsburg bisher nicht.
Mehr als die Hälfte der Stadträte ist neu. Ein Problem in Krisenzeiten? Wurm: Als Erstes müssen wir uns verständigen, wie wir im Mai den neuen Stadtrat überhaupt zusammentreten lassen. Wir haben ja die Schwierigkeit, dass wir bis auf Weiteres keine Sitzungen abhalten. Und wir können nicht abschätzen, wie sich die Gesundheitslage entwickelt. Die Frage ist: Wann kommen wir wieder in einen normalen Arbeitsmodus? Es gibt ja, gerade auch wegen der Coronakrise, viel zu tun. Wir müssen einen Weg finden, wie wir als Stadtrat arbeitsfähig werden. Weber: Es wird auch auf Führungsstärke ankommen. Ich würde Führungsstärke für mich etwas anders definieren, als es Kurt Gribl vielleicht getan hat. Für mich ist es wichtig, dass sich die Gruppierungen im Stadtrat auch wiederfinden. Ich glaube, dass diese Krise noch mal eine andere Sichtweise bringen wird. Dass wir versuchen müssen, die Themen im Stadtrat noch breiter zu bearbeiten. Es wird unterschiedliche Positionen geben. Aber die Augsburgerinnen und Augsburger möchten, dass der Stadtrat zusammenarbeitet und um gute Lösungen ringt. Das ist wichtiger als irgendein Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition.
Wurm: Das wurde im Wahlkampf auch deutlich. Wir brauchen eine andere Art von Politik, die möglichst viele Menschen mitnimmt. Weber: Das Thema Miteinander ist sehr aktuell. Ich finde es schön, dass sich viele Bürger melden und helfen wollen, weil ihnen ihre Nachbarn wichtig sind, weil ihnen die Stadt wichtig ist. Ich glaube, wir Kommunalpolitiker sollten das als Ansporn sehen. Eine der schönsten Mails, die ich erhalten habe, stammt von einem Syrer, der 2015 nach Augsburg gekommen ist. Er schreibt, dieses Land habe so viel für ihn getan, er würde sich gerne erkenntlich zeigen und helfen. Bei solchen Erlebnissen bekomme ich Gänsehaut.
Sie müssen in der Stadtregierung als Krisenmanager gut zusammenarbeiten. Was schätzen Sie am anderen? Weber: Dirk ist entspannt. Das ist in Krisensituationen gut, er bringt immer noch einen Spruch raus. Wurm: Auch bei Eva schätze ich ihre Entspanntheit, die sie vermittelt. Bei einem öffentlichen Amt, gerade in schwierigen Lagen, ist es wichtig, wie man wirkt. Sie bleibt entspannt. Außer, wenn man sie zu sehr anpiekst. Aber das machen wir jetzt nicht, Wahlkampf steht hinten an.
Die Fragen stellten Nicole Prestle und Jörg Heinzle.
Eva Weber, 42, ist Finanz- und Wirtschaftsbürgermeisterin und tritt für die CSU an. Dirk Wurm (SPD), 40, ist als Ordnungsreferent Teil der aktuellen Stadtregierung.
Viele machen sich Gedanken, wie es für sie weitergeht Wir brauchen eine Politik, die viele Bürger mitnimmt