Mit Frischhaltefolie auf gesunde Distanz
In Zeiten von Corona organisieren sich viele Arztpraxen neu. Sprechstunden gibt es nun per Video, „Hausbesuche“auf der Terrasse und ein Apotheker greift zum Schutz der Mitarbeiter zu ungewöhnlichen Mitteln
Florian Schwarz spricht mit seinen Kunden in diesen Tagen nicht nur durch eine Atemschutzmaske, sondern zusätzlich durch Frischhaltefolie. Der Geschäftsführer der Sternapotheke am Moritzplatz hat daraus für die Verkaufstheken einen Coronaschutz gebaut – für Kunden, Mitarbeiter und sich. Denn Plexiglaswände sind gerade Mangelware. Mit dem Schutz wird bei Husten, Niesen oder feuchter Aussprache die Gefahr einer Übertragung zumindest eingedämmt.
Distanz untereinander wahren und am besten daheim bleiben, lauten die Aufforderungen der Politiker und Virologen in dieser Zeit. Viele Berufsgruppen können das nur schwer einhalten. Die Menschen in Bäckereien, Metzgereien, Lebensmittelgeschäften und Supermärkten etwa, wie auch Paketzusteller und Postboten sowie Ärzte und Apotheker. Sie haben weiterhin Kontakt zu vielen Menschen. Philipp Sturz etwa will sich da nicht wegducken. Nach wie vor behandelt der Zahnarzt Patienten. „Als Arzt muss man mit so einer Situation umgehen können.“Für ihn käme es nicht infrage, die Praxis vorübergehend zu schließen. Dennoch habe sich die Arbeit deutlich reduziert.
Ein Grund ist: Die Menschen seien verunsichert. Viele Kunden sagen weniger dringliche Termine wie eine Zahnprophylaxe ab. Dabei seien Zahnarztpraxen aufgrund der hohen Hygienestandards und der meist eigenen Sterilisatoren derzeit wohl mit die sichersten Orte, meint Sturz. Auf der anderen Seite ist es in Praxen nicht immer möglich, in Wartezimmern den notwendigen Sicherheitsabstand zwischen den Patienten zu wahren. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung stellt deshalb auch beim Notdienst am Wochenende um. Wer unvorhergesehen zum Zahnarzt muss, muss vorher einen Termin vereinbaren. So soll verhindert werden, dass zu viele Patienten auf einmal zum diensthabenden Arzt kommen.
Ein Problem ist der Engpass an Schutzbekleidungen. Hier kam dem Augsburger Zahnarzt Christian Leonhardt eine Idee. Er startete eine Internetplattform. Auf www.gemeinsamaerztenhelfen.de können Zahnärzte nun Arztpraxen ihre Hilfe anbieten, die keinen Mundschutz mehr haben. Da die meisten Zahnarztpraxen mit Sterilisatoren ausgestattet sind, bieten sie über die Plattform anderen Praxen an, gebrauchte Mundschutze entgegenzunehmen und zu sterilisieren. Leonhardt sieht hier eine Chance, schnell und unbürokratisch zu unterstützen. Die ersten Zahnärzte stünden auf der Unterstützer-Liste.
Auch als Tierarzt arbeitet Oliver Dietrich nur noch mit Mundschutz und Handschuhen. Der 57-Jährige erlebt zum Teil schwierige Situationen. Tiere behandele er nur noch ohne Beisein der Besitzer. Herrchen oder Frauchen müssen solange im Wartezimmer Platz nehmen – allein. Ohnehin nehme er nur noch Kunden mit telefonischer Terminvereinbarung an. Die meisten seien vernünftig. Aber eben nicht alle. „Neulich habe ich mich geärgert, weil eine Frau ihren hustenden Sohn mit in die Praxis brachte.“Er habe sie gebeten, das Kind während der Behandlung des Tieres im Auto sitzen zu lassen. Auch bei Hausbesuchen ist der Augsburger achtsam. Katzen einer Klientin behandelte er unlängst auf der Terrasse. Der Tierarzt wollte das Haus der mehrköpfigen Familie nicht betreten. Eine Situation habe ihm schier das Herz gebrochen. Es ging um einen Mann, der schon lange mit seinem Hund zu ihm kommt. Das Tier hat einen Tumor und ist schwerstkrank. Der Hund hätte längst eingeschläfert gehört, aber das Herrchen habe sich bislang nicht trennen können, sagt Dietrich. Vor ein paar Tagen bat der Mann ihn nun um einen Hausbesuch. Dietrich lehnte jedoch ab. Er wusste, dass der Mann stark erkältet war. „Das war mir ganz arg, aber so etwas geht gerade einfach nicht.“
Gerade Ärzte versuchen in diesen Tagen, den Spagat zwischen dem eigenen Schutz, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können, und der Hilfe für Erkrankte, hinzubekommen. Markus Beck, Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbandes, bittet Patienten, Hausärzte nur nach telefonischer Terminvereinbarung aufzusuchen. Kein Mediziner will, dass ein Patient mit Grippesymptomen plötzlich und unerwartet in seiner Praxis steht. Manche Ärzte bieten inzwischen Videosprechstunden an, andere unterteilen ihre Sprechstunden zeitlich in eine „normale“und eine Infektionssprechstunde.
Auch der Haunstetter Hausarzt Stefan Doesel macht das so. Nach jeder Infektionssprechstunde wird seine Praxis extra desinfiziert und gelüftet.
Bei Florian Schwarz in der Sternapotheke dürfen nur noch drei Kunden gleichzeitig den Verkaufsraum betreten. Die anderen müssen solange draußen warten. Für seinen Geschmack herrsche nach wie vor zu viel Betrieb in der Stadt. Gerade ältere Kunden sage er zig mal am Tag, sie sollen daheim bleiben.
„Vor Kurzem kam eine ältere
Kundin mit dem Taxi und stand mit ihrem Gehwägelchen bei uns drin. Ich sagte ihr, dass wir doch einen Lieferservice haben.“Sie kriege das Coronavirus schon nicht, habe die hochbetagte Dame geantwortet. Schwarz schüttelt da nur den Kopf. Vor allem für diese Risikogruppe betreibe man den Aufwand. Der Apotheker wurde am Wochenende sogar zum Bastler. Aus den Kinderzimmern seiner Söhne lieh er sich Stehlampen. Sie stehen nun auf seinen Verkaufstheken – dazwischen hat er die Frischhaltefolie gespannt.